Bundesregierung will Telegram unter Kontrolle bringen Und erntet dafür Spott aus Russland

Sehen Sie hier mein Video von der gestrigen Bundespressekonferenz.

Das hätte ich mir nicht träumen lassen: Dass ich mal aus russischen Medien brisante Informationen aus Deutschland erfahre, die mir hier entgangen sind. Am Sonntag rief mich der Moskauer Oppositionskanal „Doschd“ an und bat mich um ein Interview: „Was halten Sie von der Drohung der Bundesregierung, den Messenger-Dienst Telegram mit einer Strafe von 50 Millionen Euro zu belegen?“ Ich konnte nichts davon halten, weil ich nichts davon wusste. Die Nachricht ging erst am Montag durch die deutschen Medien. Und auch da nur unter ferner liefen.

Das Bundesamt für Justiz hat laut Justizministerium zwei Anhörungsschreiben an Telegram in den Vereinigten Arabischen Emiraten gesandt. Zwei Bußgeldverfahren gegen das Unternehmen seien anhängig, weil es die im „Netzwerkdurchsetzungsgesetz“ (NetzDG) geforderten „leicht erreichbaren und unmittelbar erkennbaren“ Meldewege für straffähige Inhalte nicht zur Verfügung stelle. Zudem sei keine Person für Gerichtskontakte in Deutschland benannt worden. Das „Netzwerkdurchsetzungsgesetz“ mit seinen erheblichen Einschränkungen der Freiheit gilt inzwischen in autoritären Staaten als Exportartikel „Made in Germany“. Es führte zu einer Welle von Zensur im Internet, bemängeln Kritiker.

Vor-Schadenfreude in Russland

Zeitungen wie die Frankfurter Allgemeine jubelten angesichts der Nachricht: „Der Sumpf ist tief auf der Plattform Telegram. Die Bundesregierung ist trotzdem viel zu lange nicht tätig geworden.“ Die russischen Journalisten-Kollegen dagegen sind eher verwundert: An dem in Russland gegründeten Netzwerk und seinem Gründer Pawel Durow haben sich schon die russischen Behörden die Zähne ausgebissen – und die sind gewöhnlich durchsetzungsstärker als die Deutschen. Im Kreml ist Internet nicht Neuland; und man ist dort gut gewappnet.

„Wie Russland sich bei dem Versuch blamiert, Telegram zu stoppen“, titelte etwa 2018 der Stern: „Russland hat den populären Internetdienst Telegram verboten. Doch der Kreml schafft es bislang nicht, die Nutzung der Messenger-App zu verhindern – ganz im Gegenteil.“ Die Häme in den deutschen Medien war groß. Doch wer zuletzt lacht, lacht bekanntlich am besten. So erwartet man in Russland schon mit einer kaum verhohlenen Vor-Schadenfreude, wie die Deutschen Telegram an die Kandare nehmen wollen.

Ich nahm das zum Anlass, am Montag in der Bundespressekonferenz nachzufragen, wie man die Drohungen gegen Telegram überhaupt umsetzen will. In meinen Augen blieb die Regierung eine Antwort schuldig – aber urteilen Sie selbst.

Hier das Wortprotokoll:

Die Kollegin Denise Reese von Ruptly fragte die Sprecherin des Innenministeriums Rabea Bönnighausen: „Können Sie Medienberichte bestätigen, dass Ihr Ministerium den Messengerdienst Telegram zur rechtlichen Verantwortung ziehen möchte? Falls ja: Können Sie bitte die Vorwürfe gegen Telegram ausführen und sagen, welche rechtlichen Maßnahmen möglich sind oder in Erwägung gezogen werden?“

Bönnighausen antwortete: „Ja, das kann ich gerne machen. Es ist zutreffend, dass das Bundesamt für Justiz im Wege internationaler Rechtshilfe zwei Anhörungsschreiben an das Unternehmen Telegram in den Vereinigten Arabischen Emiraten gesandt hat. Das Bundesamt für Justiz führt zwei Bußgeldverfahren gegen Telegram wegen des Fehlens eines vom Netzwerkdurchsetzungsgesetz vorgeschriebenen leicht erkennbaren und unmittelbar erreichbaren Meldewegs für strafbare Inhalte auf Telegram sowie wegen der Nichtbenennung eines Zustellungsbevollmächtigten für Ersuchen von Gerichten in Deutschland. Das Unternehmen hat nun Gelegenheit Stellung zu nehmen. Darüber hinaus kann ich Ihnen wie gewohnt zu Details einzelner Verfahren nichts sagen.“

Ich fragte dazu Innenministeriums-Sprecher Steve Alter und Bönnighausen: „Genau zu diesem Thema gibt es in Russland sogar von den oppositionellen Medien schon spöttische Berichte. Die sagen: Die Putin-Regierung hat sich die Zähne an Telegram ausgebissen, die konnten das nicht durchsetzen. Wie will die Bundesregierung da etwas durchsetzen?“

Alter antwortete: „Ich glaube, zunächst einmal sollte man das, was bereits in Gang gesetzt ist, abwarten. Wir haben ja, wie Sie gerade gehört haben, noch keine Rückäußerung erhalten. Die Bundesregierung, auch das Bundesinnenministerium hat ein großes Interesse daran, dass das Netzwerkdurchsetzungsgesetz mit Leben gefüllt werden kann. Das Gesetz ist ja überhaupt erst mit einem bestimmten Zweck entstanden. Es geht darum, stärker gegen strafbare Inhalte im Netz vorzugehen, und das unterstützen wir.“

Ich fragte nach: „Sie haben jetzt aber nicht die Frage beantwortet. Die Frage war: Wie wollen Sie das technisch umsetzen, wenn Telegram sich nicht daran hält, wie wollen Sie technisch dagegen vorgehen? Haben Sie die Möglichkeiten überhaupt?“

Darauf Alter: „Die Kollegin hat es ja gerade gesagt: Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz sieht bestimmte Vorkehrungen vor, die geschaffen werden müssen, damit die Behörden auch mit den Netzwerkbetreibern und mit den Anbietern gut zusammenarbeiten können. Im Moment besteht ganz offenbar zumindest noch die Chance, dass diese Voraussetzungen geschaffen werden. Deswegen ist es zum jetzigen Zeitpunkt sicherlich noch zu früh, um über eventuelle Folgemaßnahmen zu spekulieren.“

Ich hakte nochmal nach: „Herr Alter, Sie sind wieder ausgewichen. Wenn der Staat etwas durchsetzen will, muss er ja eine Möglichkeit haben. Noch einmal konkret die Frage: Was haben Sie für technische Möglichkeiten, einen Messengerdienst in Dubai, Sankt Petersburg oder Moskau zu sperren, wenn er sich nicht an Ihre Vorgaben hält? Danke.“

Alter antwortete: „Und ich wiederhole meine Antwort: Die erste Maßnahme, die in einer guten Zusammenarbeit zwischen Behörden und Wirtschaft in Angriff genommen wird, sind einfach Kommunikationswege, nämlich Kontaktaufnahme mit dem jeweiligen Dienst in der Hoffnung, dass man einen guten Kompromiss für beide Seiten finden wird.“

Ich probierte es nochmal: „Aber Sie können keinen konkreten technischen Weg nennen?“

Alter: „Ich möchte das an dieser Stelle auch gar nicht tun, weil wir an diesem Punkt überhaupt noch nicht sind.“

Jung und naiv

Tilo Jung von „Jung und Naiv“ meinte sodann in seiner nächsten Frage: „Da muss man sich ja nur Gesetze durchlesen. Frau Bönnighausen, können Sie uns erklären, wie lange Telegram Zeit hat, auf Ihre Anfrage zu reagieren?“

Sie müsse das „gegebenenfalls nachreichen“, wenn ihr diese Information vorliege, antwortete Bönnighausen.

Die Vorstellung, man müsste „ja nur Gesetze durchlesen“, um einen konkreten Weg zu finden, soziale Netzwerke, die in Katar oder Russland sitzen, zu sanktionieren, halte ich für bemerkenswert. Und sie deckt sich nicht mit meinen Erfahrungen. Aber sei’s drum. Im Zweifelsfall kann sich Telegram sehr, sehr viel Zeit lassen mit dem Antworten.

Und so unschön es ist, wenn Ermittler bei realen Straftaten oder deren Verabredung auf Telegram keinen Zugriff haben: Dass die Zensur, wie sie andere Netzwerke längst betreiben, dort Einzug hält, ist auch keine schöne Perspektive. Hätte die Bundesregierung nicht mit ihrem „Netzwerkdurchsetzungsgesetz“ und der damit verbundenen Einschränkung der Meinungsfreiheit hunderttausende Nutzer regelrecht zu Telegram vertrieben – sie stünde jetzt nicht vor dem Problem.

Beachtenswert ist auch, dass man die Situation in Berlin offenbar lange Zeit völlig verkannte. Weil man Telegram für einen einfachen Messengerdienst hielt und den Aspekt des sozialen Netzwerks dort nicht erkannte bzw. unterschätzte, wurde man lange nicht tätig.

Das hat schon etwas Tragikomisches. Ebenso wie die Tatsache, dass Telegram gerade in autoritären Staaten wie Weißrussland eine wichtige Rolle bei der Kritik an und den Protesten gegen die dortigen Regierungen spielt. Und man den Dienst nun ausgerechnet in Deutschland an die Kandare nehmen will.

Diejenigen, die selbst wenig haben, bitte ich ausdrücklich darum, das Wenige zu behalten. Umso mehr freut mich Unterstützung von allen, denen sie nicht weh tut!

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Bild: Allmy/Shutterstock
Text: br


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