Vorwärts in den Dauer-Lockdown: Hat sich der RKI-Chef verplappert? Bundespressekonferenz heute lässt aufhorchen

Sehen Sie hier mein Video zum Beitrag mit dem O-Ton von Wieler.

Die Bundespressekonferenz heute hat mir Angst gemacht. Richtig Angst. Nein, nicht weil ich nicht zu Wort kam (dazu hier mehr), sondern weil da nicht nur zwischen den Zeilen, sondern ganz offen Dinge durchschimmerten, die ich bisher für abwegig gehalten hätte. Mit fast schon kindlich wirkender Freude sagte RKI-Präsident Lothar Wieler: „Die Corona-Maßnahmen wirken. Und zwar nicht nur gegen Covid-19. Wir sehen in der gesamten Bevölkerung viel weniger Infektionskrankheiten als sonst.“ Das wichtigste Beispiel sei hier die Grippe: Es sei gelungen, eine Grippewelle zu verhindern: „Normalerweise haben wir zu Beginn eines jeden Jahres eine Grippewelle. Normalerweise bekommen wir jede Woche mehrere tausend oder mehrere zehntausend Fälle übermittelt, mehrere tausend Menschen müssen im Krankenhaus behandelt werden. Im Moment sehen wir aber nur zwanzig bis dreißig Grippefälle, so wenig wie sonst im Sommer, und in dieser Saison gab es auch erst 150 schwere Grippefälle im Krankenhaus. Die Grippewelle ist ausgeblieben, übrigens weltweit.“

Hier hätte ich gerne nachgefragt, wie das zusammenpasst: Denn es ist ja nicht so, dass weltweit ein strikter Lockdown gilt. Und insofern widerspricht sich Wieler hier selbst. Zumal ja Kritiker sagen, das, was heute als „Covid-19“ bezeichnet werde, sei nichts anderes als eine eben besonders aggressive und gefährliche Grippewelle. Leider stellte dazu niemand eine Frage.

Auch bei den anderen akuten Atemwegserkrankungen, also Erkältungen, sehe es so aus. Anfang 2020 habe es etwa 5,6 Millionen solcher Erkrankungen pro Woche gegeben. Anfang Februar 2021 seien es gerade einmal ca. 900.000. Dass dazu allerdings in vielen Fällen auch Corona-Erkrankungen zählen, erwähnte und erläuterte Wieler nicht – obwohl es durchaus Fragen aufwirft. Die aber leider nicht gestellt wurden. Es gebe auch weniger Durchfallerkrankungen und Masern-Fälle, so Wieler. Bei Covid setze sich der Trend fort, die Fallzahlen gingen zurück.

„Wir alle können die Virus-Ausbreitung aktiv verhindern“, sagte Wieler in seinem Appel: „Wir müssen kein Orakel befragen, um zu sehen, dass die Maßnahmen wirken. Wir sehen in den Daten, dass unsere Anstrengungen wirken. Gegen Covid-19. Und auch gegen viele andere Krankheiten. Geben wir all diesen Krankheiten keine Chance!“

Damit hat Wieler ein völlig neues Fass aufgemacht. Bisher appellierte er immer nur an die Folgsamkeit in Sachen Covid-19. Jetzt berief er sich damit auch auf andere Krankheiten. Also ein Übergang in eine völlig neue Dimension. Die Grippewelle 2017/18 hat laut Ärzteblatt Schätzungen zufolge 25.100 Menschen das Leben gekostet in Deutschland. Nach Wielers Ausführungen wäre das mit Maßnahmen wie heute zu vermeiden gewesen. Was zwingend zwei Fragen aufwirft: Haben Politik und Robert-Koch-Institut 2017/18 verschlafen und sind sie damit mitverantwortlich für die vielen Opfer, weil sie nach der heute herrschenden Maxime ja mit Hygiene-Maßnahmen zu vermeiden gewesen wären? Und zweitens: Wie will man künftig von den Hygiene-Maßnahmen wieder wegkommen, wenn sie auch ohne Covid-19 so viele Menschen retten können?

Steilvorlage für einen Dauer-Lockdown

Leider hat diese Fragen auf der Bundespressekonferenz niemand gestellt. Und ich kam nicht dran, aber sie gingen mir die ganze Zeit durch den Kopf. Und machten mir große Angst. Denn Wieler hat heute die Steilvorlage für einen Dauer-Lockdown geliefert, ja, eigentlich eine Argumentationskette, die einen solchen bei den aktuell geltenden Prioritäten geradezu zwingend erforderlich machen würde.

Und nicht nur mit diesen Aussagen. Der Kollege Hans Jessen, bekannt von „Jung und Naiv“, fragte Wieler, ob nicht ein Inzidenzwert von acht oder zehn erstrebenswerter wäre, wie das manche Wissenschaftler empfehlen. Wieler sagte: „Die Inzidenz ist eine gute Kennzahl, wo man schnell eskalieren sollte. Wenn man sieht, die Inzidenz geht hoch, dann muss man schnell reagieren. Wenn man über Deeskalation spricht, also darüber, dass man quasi hier und dort lockern möchte, dann ist die Inzidenzzahl nicht die beste Zahl, da gibt es andere Parameter, die besser geeignet sind, zum Beispiel die Belegungszahl der Intensivbetten, weil die ja in der Regel etwa zwei Wochen den Krankheits- und Infektionszahlen hinterherläuft.“

Damit gibt Wieler zu, dass die Gesundheitsämter selbst mit einer Inzidenz von 35 überfordert sind und höchstens bei einer von zehn oder etwas mehr zu einer „Kontrolle“ in der Lage seien. Warum wurde dann beim „Corona-Gipfel“ 35 als wichtige Messlatte vereinbart? Warum konnten die Gesundheitsämter in der fast ein Jahr andauernden Corona-Krise nicht besser auf Vordermann gebracht werden? Warum sagte „Kanzlerin Angela Merkel mehrmals, das Nachverfolgen von Kontakten sei für Gesundheitsämter erst bei einer Corona-Inzidenz von 50 möglich“, wie das Redaktionsnetzwerk Deutschland, noch am Sonntag schrieb. Hat Merkel gelogen? Oder lügt Wieler? Dass beide die Wahrheit sagen, schließt sich aus. Eine Inzidenz von 10 unterschreiten laut „Statista“ in Europa nur das schwach besiedelte Island und die Färöer-Inseln. Damit wirkt sie zumindest in den kühleren Jahreszeiten als völlig unrealistisch. Die logische Konsequenz wäre dann nur ein Dauer-Lockdown.

Wieler hat mit seinen Aussagen – offenbar unbedacht – offenbart, dass aus Sicht der Regierung, deren oberster Gesundheitsbeamter er ist, eigentlich der Lockdown unbegrenzt weiter gelten müsste. Wenn sie ihre eigenen Maßstäbe ernst nimmt. Erstaunlich ist, dass dies nicht zu Nachfragen führte auf der Bundespressekonferenz, bzw. nur solcher Nachfragen wie von Tilo Jung von „Jung und Naiv“, der sich faktisch beklagte, dass die umstrittene „Null-Covid-Strategie“ nicht ganz offen die regierungsamtliche Linie ist: „Es ist ja auch eine politische Diskussion, und es würde helfen, wenn sich da mehr Virologen zusammenfinden, gegen die Fraktion von Spahn, die dagegen sind.“ Spahn antwortete: „Herr Jung, Sie haben es doch gut eingeleitet, das ist eine politische Frage. Auf der einen Seite geht es um Fakten und auf der anderen Seite um die politische Entscheidung.“ Damit bestätigte er erneut, dass die Corona-Maßnahmen politische Entscheidungen sind.

‘Gesundheitssystem nicht überlastet‘

Spahn sagte heute: „Auf vielen Intensivstationen entspannt sich die Situation, sie ist aber insgesamt immer noch angespannt. Trotzdem sind wir auf einem guten Weg.“ Und: „Aber unser Gesundheitssystem hat auch standgehalten, es hat sich als robust und widerstandsfähig erwiesen, es war zu keiner Zeit bisher überlastet, es ist stark belastet, unter Anspannung, aber nicht überlastet, wie wir es in anderen Ländern gesehen haben.“ Das klang in vielen Medien und auch aus der Politik bisher tendenziell durchaus etwas anders.

„Bei den PCR-Tests haben wir eine Entwicklung, dass wir wieder Kapazitäten frei haben“, sagte Spahn: „Deswegen wollen wir die Empfehlung so überarbeiten, dass immer dann, wenn Symptome erkennbar sind, wir haben das ja Anfang November geändert, als die PCR-Kapazitäten sehr stark überlastet waren, dass nicht mehr jeder mit Symptomen getestet werden soll, die Kapazitäten lassen das wieder zu, so dass wir ab Anfang nächster Woche wieder empfehlen können, dass jeder mit Symptomen auch eine PCR-Testung erhalten kann“. Auf gut Deutsch: Es wird wieder deutlich höhere Positiven-Zahlen geben, weil mehr getestet wird.

Mein Eindruck nach der Bundespressekonferenz heute: Ich sehe die massive Gefahr, dass uns die Grundrechte noch weiter entzogen werden. Und das Bewusstsein dieser Gefahr scheint gerade in der Politik und in den Medien sehr vielen zu fehlen. Spätestens nach den Aussagen von Wieler heute kann niemand mehr Ängste vor einem „Dauer-Lockdown“ als „Verschwörungstheorien“ abtun. Die Gefahr ist real. Und auch nachles- bzw. per Video nachsehbar.

PS: Besonders bedauerlich finde ich, dass ich heute in der Bundespressekonferenz nicht zu Wort kam, nachdem ich schon bei der letzten Spahn-Pressekonferenz als letzter das Wort erhielt und deshalb anders als die meisten Kollegen keine Möglichkeit für eine Nachfrage hatte – ohne die das Fragerecht sehr viel weniger wert ist. Ich fand dieses Nicht-Erteilen des Wortes insbesondere deshalb bedauerlich, weil es so viele Ansatzpunkte gab heute, die kritisches Nachhaken geradezu zwingend erforderlich gemacht hätten. Und weil in meinen Augen auch mit der Auswahl der Fragesteller gewährleistet werden sollte, das ein möglichst breites Meinungsspektrum zu Wort kommt (Hintergründe hier in meinem Livestream).

PS: Sie können sich die ganze Bundespressekonferenz heute hier ansehen und sich selbst ein Bild machen.

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Bild: Boris Reitschuster
Text: br


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