Trotz Corona: Atemwegserkrankungen „auf extrem niedrigem Niveau“ Entwicklung stellt Mediziner vor Rätsel

Was das Robert-Koch-Institut auf seiner Internet-Seite veröffentlicht, wirkt überraschend: Laut aktuellem Influenza-Wochenbericht ist die „Aktivität der akuten Atemwegserkrankungen (ARE-Raten) in der Bevölkerung (GrippeWeb) in der 6. Kalenderwoche 2021 im Vergleich zur Vorwoche zwar bundesweit deutlich gestiegen“. Aber: „Die ARE-Rate liegt trotz des Anstiegs weiterhin unter den Werten der Vorsaisons auf einem extrem niedrigen Niveau. Im ambulanten Bereich (Arbeitsgemeinschaft Influenza) wurden in der 6. Kalenderwoche 2021 insgesamt etwa gleich viele Arztbesuche wegen ARE im Vergleich zur Vorwoche registriert, die Werte befinden sich in der 6. Kalenderwoche weiterhin deutlich unter den Vorjahreswerten um diese Zeit.“

Weiter steht auf der Seite der Bundesbehörde: „Im Nationalen Referenzzentrum (NRZ) für Influenzaviren wurden in der 6. Kalenderwoche 2021 in insgesamt 29 (20 %) der 147 eingesandten Sentinelproben respiratorische Viren identifiziert, darunter 15 (10 %) mit Rhinoviren, elf (7 %) mit SARS-CoV-2 und vier (3 %) mit humanen saisonalen Coronaviren. Influenzaviren wurden nicht nachgewiesen.“ Sodann ist in dem Wochenbericht des RKI zu lesen: „Die Zahl stationär behandelter Fälle mit akuten respiratorischen Infektionen (SARI-Fälle)“ – also akuten Atemwegsinfektionen in Krankenhäusern – „ist in der 5. Kalenderwoche im Vergleich zu den Vorwochen insgesamt weiter zurückgegangen. In allen Altersgruppen unter 80 Jahre waren die SARI-Fallzahlen deutlich niedriger als in den Vorsaisons um diese Zeit. Der Anteil an COVID-19-Erkrankungen bei SARI-Fällen ist in den letzten Wochen leicht zurückgegangen und lag in der fünften KW 2021 bei 60 %.“

Erstaunliche Zahlen. Und eine Entwicklung, die nicht neu ist. Weil ich mich über sie schon im Januar gewundert habe – einerseits Covid-19, andererseits wenig Atemwegserkrankungen, habe ich noch im Januar beim Robert-Koch-Institut zu den Berichten der Arbeitsgemeinschaft Influenza nachgefragt – um sicher zu gehen, dass ich da nichts verwechsle:

Verstehe ich das richtig, dass zu den „akuten Atemwegserkrankungen“ im Sinne des Textes auch Covid-19 gehört?“

Zunächst kam folgende Antwort:

Der Praxis-Index erfasst Akute respiratorische Erkrankungen (ARE). ARE sind laut Glossar auf dieser Seite definiert als das klinische Syndrom »akute Pharyngitis, Bronchitis oder Pneumonie mit oder ohne Fieber«. Als ICD-10-Codes sind im SEEDARE-System die Diagnosecodes J00 – J22, B34.9 und J44.0 als ARE-Syndrom festgelegt

Offen gestanden, war mir das etwas zu kompliziert – vielleicht bin ich zu dumm für medizinische Fachtermini. Ich fragte zurück:

Interpretiere ich die richtig, dass Covid-19 dann bei diesen AREs im Sinne des Textes nicht inkludiert ist?

Die Behörde schrieb zurück:

Es kommt drauf an. Da bei Covid schon sehr häufig Atemwegssymptome auftreten, würden sie dann beim Praxis-Index auftauchen. Aber wenn jemand z.B. nur Geschmacksstörungen und Muskelschmerzen hat und positiv getestet würde, würde er beim Praxisindex nicht mitgezählt.

Vor diesem Hintergrund wirkt es beachtlich, dass ausgerechnet im Corona-Winter die Zahl der Menschen, die sich mit akuten Atemwegserkrankungen an Arztpraxen wenden, geringer ist als im vergangenen Winter ohne Covid-19. Und dass sie auch in den Krankenhäusern in allen Altersgruppen unter 80 Jahre deutlich niedriger waren als im entsprechenden Vorjahreszeitraum. Vor diesem Hintergrund ist beachtlich, dass nach Recherchen der Wochenzeitung „Zeit“ zwischen 20 und 30 Prozent der Menschen, die die offizielle Statistik führt, nicht wegen Corona in stationärer Behandlung im Krankenhaus sind, sondern dort zufällig positiv getestet wurden. Etwa Schwangere, die zur Entbindung kommen, oder verunfallte Personen.

Dass ausgerechnet in einer Pandemie mit einem Erreger, der akute Atemwegserkrankungen auslöst, die Zahl von akuten Atemwegserkrankungen laut der obersten Bundesbehörde für Gesundheitsfragen „auf einem extrem niedrigen Niveau“ ist, wirkt zumindest auf den ersten Blick etwas verwirrend. Auch auf die Gefahr hin, dass ein Nachfragen sofort wieder als böser „Populismus“ gewertet werden wird, will ich der Frage nachgehen.

Eine erste Antwort hat mir bereits ein befreundeter Arzt gegeben – der unter dem Pseudonym Jonas Franz für meine Seite schreibt: „Tatsächlich stellt der Verlauf der Erkältungs- und Grippe-Saison alle kritischen Mediziner vor ein Rätsel, es gibt nach meinem besten Wissen und Gewissen keine wissenschaftliche Antwort auf die Frage, warum etwa die Influenza faktisch verschwunden ist, und auch viele anderen Viren außer des Rhinovirus und Sars-CoV-2“, so der Mediziner: „Es ist merkwürdig, ja grenzt an ein Mysterium. Ich habe keine vernünftige Erklärung dafür. Als Sie in der Bundespressekonferenz offiziell anfragten, hieß es, das liege an den Schutzmaßnahmen. Aber das greift nicht, dieses Argument: Denn sonst müssten ja auch der Sars-CoV-2-Virus und die Rhino-Viren von den Schutzmaßnahmen genauso wirksam erfasst werden. Wobei, wenn man ganz spitzfindig ist, könnte man die Präsenz des Sars-CoV-2-Viruses durch die Neuartigkeit des Virus erklären, und die Abwesenheit der Influenza durch eine geringere Anfälligkeit über Herdenimmunität bzw. das, was man früher stille Feiung nannte. Aber spätestens bei den Rhino-Viren fällt diese Argumentation in sich zusammen. Stille Feiung ist ein Phänomen, das viele vergessen haben: So nennt man das Erwerben einer Immunität, ohne selbst Krankheitszeichen bemerkt zu haben, was vor allem für medizinisches Personal sehr wichtig ist, um im Winter nicht komplett auszufallen. Die stille Feiung wirkt aber nicht gegen hochpathogene Erreger.“

Fragen über Fragen.

Diejenigen, die selbst wenig haben, bitte ich ausdrücklich darum, das Wenige zu behalten. Umso mehr freut mich Unterstützung von allen, denen sie nicht weh tut!

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Bild: Aliaksandra Post/Shutterstock
Text: br


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