„Wie ein Gelee an die Wand nageln“ Diskurs in den Zeiten von Corona

Von Ekaterina Quehl

Kennen Sie die eristischen Kunstgriffe von Schopenhauer? Also bestimmte Kunstgriffe, mit denen man das Gegenüber in einem Dialog argumentativ besiegen kann – unabhängig davon, ob Sie recht haben oder nicht? Beherrschen Sie sie, so ist es möglich, aus einer beliebigen Diskussion als Gewinner herauszugehen, ohne im Recht zu sein. An diese Kunstgriffe musste ich mich erinnern, als ich vor kurzem eine Diskussion über den Sinn des Lockdowns mit einem alten – und wohl gemerkt einem klugen – Freund hatte. Doch nicht, weil ich diese Kunstgriffe anwenden wollte. Ich kenne sie nur in der Theorie. Sondern deshalb, weil ich den Eindruck hatte, mein Freund würde mit seinen „Kunstgriffen“ selbst Schopenhauer zur Weißglut bringen. Die Diskussion war so absurd, dass mir fast schon die Worte fehlten, um die Zusammenhänge darzustellen, als ich Boris Reitschuster davon erzählte. Geschweige denn, dass ich mir vorstellen konnte, sie aufs Papier zu bringen. Schließlich munterte er mich dazu auf, sie aufzuschreiben. Voilà.

Kunstgriff 1

Freund: Wir müssen uns unbedingt alle impfen lassen, dann ist der Wahnsinn vorbei. Und wegen solcher Skeptiker wie Dir wird der Lockdown ewig dauern.

Ich: Ich habe ja nichts gegen Impfen an sich. Ich lasse mich nur nicht mit einem Impfstoff impfen, von dem ich nicht weiß, ob er wirkt und ob er für meine Gesundheit schädlich ist. Und schon gar nicht gegen eine Krankheit, die ich höchstwahrscheinlich mit meiner Immunabwehr besiegen könnte. Bist Du sicher, dass der Impfstoff wirkt?

Freund: Natürlich weiß ich nicht, ob der Impfstoff wirkt! Dafür wurde er nicht ausreichend untersucht in der kurzen Zeit. Und Folgen werden wir erst viel später sehen können.

Ich: Aber Du hast doch eben gesagt, dass die Lösung gegen einen Lockdown eine Massenimpfung sein soll?

Freund: Ja, klar ist es die Lösung!

Kunstgriff 2

Freund: Wir verlieren alte Menschen! Diese Erkrankung ist für sie besonders gefährlich! Deshalb brauchen wir diese Einschränkungen. Um sie zu schützen.

Ich: Aber merkst Du hier keinen Widerspruch? Wenn ich mich an den Zahlen aus der allgemeinen Berichterstattung orientieren würde, dann müssten doch die Einschränkungen deren Senkung bewirken oder? Also bringen die Einschränkungen theoretisch nicht viel.

Freund: Natürlich bringen sie nicht viel! Und schon gar nicht bei alten Menschen, die in Altenheimen leben.

Kunstgriff 3

Ich: Offenbar wirken die Einschränkungen gegen die Verbreitung von Grippe und Rhinovirus, wenn man der RKI-Statistik glauben soll. Warum wirken sie dann nicht gegen Covid-19, wenn die Ausbreitung auf dem gleichen Weg erfolgt?

Freund: Ach, bei Corona brauchst Du keine besonderen Einschränkungen! Da reicht es, wenn Du allgemeine Hygieneregeln beachtest.

Kunstgriff 4

Freund: Sieht Du, was in Krankenhäusern passiert? Wenn das so weiter geht, haben wir bald keinen Platz mehr für Covid-Patienten.

Ich: Wir bekommen aber einige Meldungen von unseren Lesern, die Ärzte sind. Sie schreiben, dass in den Krankenhäusern, in denen sie arbeiten, „business as usual“ herrscht. Also schon voll, aber nicht voller, als all die letzten Jahre.

Freund: Ach! Ärzte haben Scheuklappen. Sie sehen nur das, was in ihrem eigenen Krankenhaus los ist.

Ich: Aber wie willst Du sonst erfahren, was in Krankenhäusern tatsächlich los ist?

Freund: Na, aus den Medien! Du liest doch, was berichtet wird. Krankenhäuser voll, Intensivstationen voll.

Ich: Aber würdest Du einem Arzt glauben, der von vor Ort berichtet, oder den Medien, die eher allgemein berichten und so gut wie nie vor Ort sind?

Freund: Ach, den Medien glaube ich sowieso nicht! Sie manipulieren nur!

Kunstgriff 5

Ich: Wem glaubst Du denn dann?

Freund: Ich glaube nicht an die Berichterstattung der Medien, ich glaube daran, was unsere Regierung sagt. Komm lass uns Tagesschau sehen.

Nach dem Kunstgriff 5 merkte ich, dass ich endgültig verloren hatte. Die Widersprüche stapelten sich, aber ich konnte sie nicht widerlegen. Sachlichkeit oder Fakten brachten mir nichts. Es war wie ein Gelee an die Wand zu nageln. Wem das gelingt, der wird Eristik neu erfinden.

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Ekaterina Quehl ist gebürtige St. Petersburgerin, russische Jüdin, und lebt seit über 15 Jahren in Berlin. Pioniergruß, Schuluniform und Samisdat-Bücher gehörten zu ihrem Leben wie Perestroika und Lebensmittelmarken. Ihre Affinität zur deutschen Sprache hat sie bereits als Schulkind entwickelt. Aus dieser heraus weigert sie sich hartnäckig, zu gendern. Mit 27 kam sie nach einem abgeschlossenen Informatik-Studium aus privaten Gründen nach Berlin und arbeitete nach ihrem zweiten Studienabschluss viele Jahre als Übersetzerin, aber auch als Grafik-Designerin. Mittlerweile arbeitet sie für reitschuster.de und studiert nebenberuflich Design und Journalismus.

Bild: Olivier Le Moal/Shutterstock
Text: eq

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