Es gibt sie doch: Kritik an (Lockdown–)Politik in großen Medien "Öffentlicher Diskurs von einer kollektiven Amnesie geprägt"

Und sie bewegt sich doch. Langsam, nur vereinzelt, aber es gibt Risse in der Einheitsfront der großen deutschen Medien. Vorgestern habe ich hier auf der Seite eine böse ironische Abrechnung mit den unglaublichen Widersprüchen und Absurditäten der deutschen Corona-Politik veröffentlicht (siehe hier). Und dann einen Tag darauf das! Unter der Überschrift „Nicht mehr nachvollziehbare Irrationalität“ schlägt die Frankfurter Allgemeine Zeitung plötzlich in einem Bericht über die Talkshow von Ex-SED-Kader Maybrit Illner in haargenau die gleiche Kerbe. Schon der Vorspann hat mich elektrisiert – und ich wollte mich fast schon zwicken, um alle Zweifel zu beseitigen, dass mir solch kritischer Journalismus vom Feinsten nicht nur im Traum erscheint: „Als erschütterndes Dokument werden wohl zukünftige Historiker diese Sendung von Maybrit Illner beurteilen. Immerhin könnten sie damit zugleich rekonstruieren, was in dieser Pandemie so alles schief gelaufen ist.“

Statt dem Zwicken half dann genaueres Hinsehen: Der Beitrag stammt von Frank Lübberding. Einem von mir überaus geschätzten Kollegen. Der allerdings nicht zur inzwischen in weiten Teilen brav auf Linie eingeschwenkten Redaktion der einstmals konservativen Zeitung gehört. Sondern als freier Autor offenbar Freiheiten hat, die anderen fehlen (ob innerlich oder redaktionell, sei dahingestellt). In brillanter Weise deckt Lübberding die Widersprüche auf. Er verweist etwa auf die Aussage des Präsidenten der Vereinigung der Intensivmediziner, Gernot Marx. Der sagte am Donnerstag, es sehe so aus, „als hätten wir den Höhepunkt bei den intensivpflichtigen Patienten überschritten“. Zudem bestritt er die Notwendigkeit der so genannten Triage – einer Auswahl, welche der schwerkranken Patienten man noch behandeln kann. Marx machte deutlich, dass er den 26. Januar für ein gutes Datum für neue Entscheidungen halte.

Am gleichen Abend wurde dann bei Illner vor einem Millionenpublikum so geredet, als hätte es solche Aussagen nie gegeben. Unsere Politik sei „in den Modus panikartiger Entscheidungen gewechselt“ schreibt Lübberding, „wo wir Bürger alle paar Stunden mit Kurswechseln rechnen müssen, denen es offenkundig an einem Minimum an Logik fehlt. Diese Sendung von Maybrit Illner war ein erschütterndes Dokument für diesen Sachverhalt.“ Der SPD-Abgeordnete Karl Lauterbach, Dauergast in den gebührenfinanzierten Talkshows und im Dauer-Alarm-Modus, sagte in der Sendung, niemand habe mit der Mutation des Virus und dessen dadurch angeblich höheren Infektiosität rechnen können. Dabei ist es in der Realität umgekehrt: Niemand kann damit rechnen, dass Viren nicht mutieren.

„Lauterbach repräsentiert jenen Typus, der schon immer alles weiß“, schreibt Lübberding: „In Wirklichkeit wissen wir gar nichts. Wir wissen zur Zeit nicht, wo sich die Menschen anstecken.“ So fehlten nach wie vor repräsentative Studien, die etwa soziale Merkmale wie Berufe und mit diesen zusammenhängende  Risiken umfassten: „Wir wissen auch nicht, wie viele Menschen sich aktuell infizieren. Es werden seit längerem nur noch Menschen mit Symptomen getestet. Es gibt zudem keine Statistik über die Anzahl und die Ergebnisse bei Schnelltests. Diese Daten werden nicht erhoben. Wir wissen noch nicht einmal, wie sich die neuen Virusvarianten in der Bevölkerung ausbreiten. Bisher wurden die dafür nötigen Genom-Sequenzierungen bei uns nicht gemacht.“

Dafür weiß die Bundesregierung offenbar, dass ein längerer und härterer Lockdown hilft. Sie kann zwar keine wissenschaftlich fundierten Studien nennen, die das belegen, und druckst herum (siehe hier). Sie will sich auch nicht zu einer wissenschaftlichen Studie äußern, die einen Nutzen des Lockdowns widerlegt. „Kein Wunder, wenn der öffentliche Diskurs von einer kollektiven Amnesie geprägt wird“, schreibt Lübberding. Zu all dem fällt einem erneut die wunderbar treffende Überschrift seines Artikels ein: „Nicht mehr nachvollziehbare Irrationalität“. Nicht nachvollziehbar ist auch, dass gefühlt 99 Prozent der Journalisten in den großen Medien sich hartnäckig weigern, diese Irrationalität zu bemerken. Oder zumindest auf sie hinzuweisen. So ist Lübberdings brillanter Artikel leider kaum mehr als ein Feigenblatt im Kleingedruckten.



[themoneytizer id=“57085-3″]

 
Bild: C. Nass/Shutterstock
Text: br
 

[themoneytizer id=“57085-2″]

 

[themoneytizer id=“57085-1]

[themoneytizer id=“57085-16″]
[themoneytizer id=“57085-19″]

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert