Merkel: Harter Corona-Kurs ist politische Entscheidung Kanzlerin schließt weitere hohe politische Funktion aus

Gut zehn Jahre ist es her, dass ich Angela Merkel das letzte Mal Fragen stellte. Damals noch als Büroleiter des „Focus“ in Moskau. Heute konnte ich ihr auf der Bundespressekonferenz zwei Fragen stellen, die mich sehr bewegen. Und viele von Ihnen auch. Die beiden Antworten von ihr halte ich für ausgesprochen wichtig: Zum Einen schloss sie definitiv aus, als Kanzlerin in eine wie auch immer geartete „Verlängerung“ zu gehen und weiter ein politisch einflussreiches Amt auszuüben. Aufgrund etwas unklarer Formulierungen gab es dazu ja in der Vergangenheit immer wieder Zweifel, über die ich auch mehrfach berichtete. Allerdings ist auch diesmal wieder ein kleines „Aber“ enthalten – aber lesen Sie selbst unten den genauen Wortlaut nach oder sehen Sie  sich hier die Passage in meinem kurzen Videobeitrag zu der heutigen BPK an.

Noch wichtiger ist aber ihre Aussage zum harten Corona-Kurs und zum Lockdown. Bisher glauben ja viele, die Bundesregierung sei aus wissenschaftlichen Gründen zum harten Kurs gezwungen. Auf meine Frage hin erklärte Merkel heute explizit, dass ihr bewusst sei, dass es auch andere Stimmen in der Wissenschaft gebe, die gegen einen solchen harten Kurs sind. Dass es aber ihre politische Entscheidung sei, auf genau diesen zu setzen: „Es gibt in dem ganzen auch politische Grundentscheidungen, die haben mit Wissenschaft nichts zu tun.“ Und weiter: „Mit der Einladung von bestimmten Wissenschaftlern wollen wir auf bestimmte Fragen, die uns interessieren und die nicht politischer Natur sind, Antworten bekommen.“ Dies ist der Vorwurf von Kritikern, dass eben nur „bestimmte“ Wissenschaftler mit Antworten auf „bestimmte“ Fragen gehört werden und deshalb „bestimmte“ Antworten und „bestimmte“ Entscheidungen herauskommen. Angaben zu Studien, mit denen sie ihren Kurs untermauert, machte sie nicht. Die Wichtigkeit ihrer Aussagen kann in meinen Augen kaum unterschätzt werden. Die Kanzlerin räumt damit faktisch ein, dass ihr Kurs nicht alternativlos ist. Dass sie sich aber gegen die Alternative entschieden habe.

Lesen Sie unten ein Wortprotokoll von Fragen und Antworten, das Martina Grabl aus meinem tollen Team im fernen Norwegen gleich erstellt hat. Ansehen können Sie sich den Wortwechsel in meinem kurzen Video direkt über diesen Link hier,  die ganze Pressekonferenz hier, und meinen Lifestream mit meinen Kommentaren und ersten Eindrücken direkt nach der Pressekonferenz hier. Interessant ist, dass laut Zuschauern die Tagesschau ihre Direktübertragung während meiner Fragen an Merkel abbrach (mehr dazu hier).

Am Freitag Morgen um 10 Uhr werden Bundesgesundheitsminister Spahn (CDU), RKI-Chef Wieler und der Virologe Drosten auf der Bundespressekonferenz zu Besuch sein. Ich werde für Sie hingehen und berichten. Wegen des Hygienekonzepts durfte die Ankunft Merkels von den großen Sendern mit ihren großen Kameras nicht gefilmt werden. Ich schaffte eine hygienekonforme Aufnahme mit dem Smartphone. Sie finden Sie unten, ganz exklusiv: reitschuster.de-Leser sehen mehr ;-).

(Sorry für den Tippfehler und dem „s“ statt „n“ vor dem „Eindruck“)

Leserkommentare:

In den Schlagzeilen der großen Medien habe ich bei flüchtiger Suche keine Hinweise auf Merkels Aussage, dass die Entscheidung eine politische ist, gefunden. Manche Überschriften klingen dafür wie Helden-Verehrung. Etwa in der Süddeutschen oder im Tagesspiegel:



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Bild: Boris Reitschuster
Text: br


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Stenogramm

 

Boris Reitschuster: „Frau Merkel, Sie haben gesagt, später wird immer mehr in den Vordergrund rücken, was erwartet uns in den nächsten Jahren. Nun werfen Ihnen Kritiker vor, dass das bei Ihnen im Moment nicht genügend im Vordergrund steht. Auch in der Unionsfraktion wurde Ihnen gestern vorgeworfen, dass Sie sich einseitig beraten ließen, in der Expertenrunde waren zwei Vertreter von Null-Covid, es war kein einziger expliziter Kritiker dabei, es gibt die Studie von Ioannidis, wissenschaftlich belegt. Der sagt Lockdown schadet, hilft nicht, es gibt keine wissenschaftlich belegte, die die Bundesregierung nennen konnte. Warum tauschen Sie sich nicht mit den expliziten Kritikern offensiver aus, warum wird diese Ioannidis-Studie nicht berücksichtigt, als Wissenschaftlerin müssen Sie doch immer beide Seiten hören, und woher kommt der Glaube, wie das Ihre Sprecherin ausdrückte, wenn ja auch viele Wissenschaftler andere Meinungen haben.“

Und die zweite Frage, ganz kurz. Sie haben ja wiederholt gesagt, dass Sie sich zurückziehen wollen, aber da war immer so bisschen ein Hintertürchen offen, z.B. bei der Neujahrsansprache, da sagten Sie…“

Der Vorsitzende: „Eine Frage war die Regel.“

Boris Reitschuster: „….voraussichtlich ist es die letzte. Da wäre noch die Frage um die Spekulationen…

Der Vorsitzende: „Wir haben gesagt nur eine Frage….“

Boris Reitschuster „Aber Herr Jung hat auch zwei Fragen gehabt. Und die Dame vorher auch.“

Der Vorsitzende: „Sie sagen, das war eine kurze Frage. Dann stellen Sie eine kurze Frage.“

Boris Reitschuster: „Schließen Sie aus, dass Sie nach dem Herbst nochmal in hoher politischer Funktion weiter verantwortlich sind, definitiv. Danke.“

Merkel: „Also ich finde, wenn Sie so gut meiner letzten Ansprache zugehört haben, dann haben Sie sicherlich alles gehört. Und als erstes habe ich ja gesagt, dass ich nicht wieder antrete. Punkt.“

Boris Reitschuster: „Als Kanzlerin?“

Merkel: „Ja. Und dann, also weder als Bundestagsabgeordnete noch für das Amt der Bundeskanzlerin. Und dann hab ich gesagt, voraussichtlich im Blick auf die letzte Regierungsbildung, ich wünsche mir aber, dass die nächste Regierungsbildung superschnell von statten geht. Aber das hatte ich mir 2017 schon gewünscht, und dann hat sie bis ähm, hat sie etwas länger gedauert. Und deshalb kam das voraussichtlich rein. Aber der Kernsatz war, ich trete nicht wieder an und zwar für keine politische Funktion.

So. Dann die Wissenschaftler. Also wissen Sie, das überrascht mich ein bisschen. Erstens haben wir, wählen wir die Wissenschaftler immer aus nach der Frage, was steht im Zentrum der Beratung. Diesmal stand die Mutation im, auf, im Zentrum. Und da hatten wir sehr interessante Wissenschaftler. Den Herrn Altweiler, der für Großbritannien die Sequenzierung durchgeführt hat. Dann haben wir den Professor Nagel hier von der Technischen Universität Berlin gehabt. Der genauso wie Herr Maier-Hermann Modellierungen macht. Wir hatten Herrn Professor Krause, der vom Helmholtz-Institut in Braunschweig, der dezidiert in vielen Fragen anderer Meinung ist und, schauen Sie, es gibt ein breites Spektrum an Wissenschaftlern und nicht nur die, die jetzt gerade eingeladen sind, sind diejenigen mit denen ich spreche oder mit denen, mit deren Ergebnissen ich mich befasse. Aber es gibt in dem ganzen auch politische Grundentscheidungen, die haben mit Wissenschaft nichts zu tun. Jeder Wissenschaftler arbeitet nach bestem Wissen und Gewissen. Aber die Grundentscheidung heißt, wie will ich darauf setzen, doch natürlich durch den Impfstoff etwas weniger ausgeprägt, darauf setzen, immer sich so viel wie möglich Leute anstecken zu lassen, um dann doch irgendwo zu einer besseren Durchseuchung vielleicht der Jüngeren, schrecklich, anderes Wort, also besseren Infektionsimmunität sag ich mal, jüngerer Altersgruppen zu kommen. Oder will ich das nicht. Und diese politische Entscheidung, die habe ich getroffen. Dann kann ich trotzdem die wissenschaftlichen Studien lesen, aber  uns nimmt ja keiner die Entscheidungen ab. Und diese politische Entscheidung habe ich getroffen, weil ich weiß, Prof. Kulmer hat mir gesagt, aus der Charite, vor kurzer Zeit war das Durchschnittsalter der dort liegenden Menschen 63. Und da, wie Sie wissen, dass die Todesrate natürlich bei den Älteren viel, viel höher ist, oder der viel schwerere Verlauf. Wissen Sie, wenn 63 der Durchschnitt ist, wie viel jüngere auch davon betroffen sind. Und ich finde, das kann man, dieses Risiko kann man nicht eingehen. Ich möchte es nicht eingehen. Aber daraus leiten sich dann natürlich politische Handlungen ab. Und trotzdem verfolge ich natürlich alle Meinungsbildungen und wir haben ja, wir sind ja nicht jemand, der irgendwie ignorant ist. Aber, und mit der Einladung von bestimmten Wissenschaftlern wollen wir auf bestimmte Fragen, die uns interessieren und die nicht politischer Natur sind, Antworten bekommen. Aber dahinter liegen natürlich auch politische Grundentscheidungen. Und die -sozusagen – Gruppe, die eher zur Herdenimmunität neigt, da gibt es viele, viele Nuancen, diese Grundentscheidung treffe ich anders.“

 


 


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