Klammheimliches Löschen Rätsel um Suizid

Der hessische Finanzminister Thomas Schäfer (CDU) ist tot. Laut Polizeibericht soll es sich um einen Selbstmord handeln. Aus Ermittlerkreisen sei zu hören gewesen, dass der promovierte Jurist, der seit dem 31. August 2010 Finanzminister war und als möglicher Nachfolger von Ministerpräsident Volker Bouffier bei den Landtagswahlen 2023 gehandelt wurde, einen Abschiedsbrief hinterlassen habe, heißt es in einem Beitrag der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ).

In einer ersten Version des Berichtes der Online-Version der FAZ war auch von den möglichen Motiven die Rede. In Windeseile war die entsprechende Stelle aber bereits klammheimlich wieder gelöscht – als „google-News“ das Erscheinungsdatum des Artikels noch mit „vor einer Stunde“ angab. Möglicherweise hat das schnelle Löschen seinen Grund in der großen Brisanz der Informationen, die nun nicht mehr abrufbar sind. Dort stand, der Minister habe Gründe für seinen Suizid genannt: „Dem Vernehmen nach soll Schäfer darin von einer ,Aussichtslosigkeit´ gesprochen haben, die er gesellschaftlich, aber auch bezogen auf die wirtschaftliche Lage des Landes sehe. Diese Aussichtslosigkeit habe er unter anderem konkret auf die derzeitige Situation bezogen, die ihm offenbar ,zu schaffen´ gemacht habe.

Weiter hieß es in der so schnell gestrichenen Passage, es sei auch für die Ermittlungsbehörden derzeit nicht ersichtlich, ob Schäfers Aussagen mit konkreten Ängsten in Bezug auf den Coronavirus zusammenhänge oder eher allgemeiner Art gewesen sei.

Dass diese Passagen gelöscht wurden und warum, wurde auf der Seite der Frankfurter Allgemeinen zunächst nicht angegeben. Über die google-Suche konnten diese Stellen aber am späten Abend noch eingesehen werden, wenn man den Inhalt kannte und gezielt suchte. Auch ein Screenshot liegt mir vor. Die Aussagen haben erhebliche politische und wirtschaftliche Brisanz, insbesondere in Zeiten wie diesen; insofern ist das klammheimliche Löschen aus einem Artikel ohne Begründung, Korrektur oder Hinweis mehr als merkwürdig – und auch journalistisch fragwürdig, insbesondere für eine Traditions-Zeitung wie die Frankfurter Allgemeine.

(Aktualisierung am Sonntag, 13.25 Uhr: Erst nach Erscheinen dieses Artikels hier am Samstag fügte die FAZ in ihren Beitrag nachträglich eine Erklärung ein, dass sie die Passagen gelöscht habe – „Zum Schutz der Familie und wegen der anhaltenden Ermittlungen“. Ich finde: Wenn ein Finanzminister beim Ausbrechen einer gewaltigen Krise Suizid begeht, und in einem Abschiedsbrief als Motiv wirtschaftliche und gesellschaftliche Aussichtslosigkeit aufzählt, hat das eine große Relevanz – ganz anders als bei einem Privatmann. Und ab dem Moment, wo ein solches Motiv veröffentlicht und dann wieder gelöscht wird, ist die Relevanz eine noch größere. Pietätlos wäre es bei vielen anderen Motiven für einen Freitod, diese anzugeben. Wenn jemand aber ein öffentliches Amt hat und der Freitod laut Abschiedsbrief in Zusammenhang mit seinen Aufgaben steht, ist es sehr gut nachvollziehbar und in meinen Augen richtig, dass die Kollegen der Frankfurter Allgemeinen genau das zunächst vermeldeten. Dass diese Entscheidung dann revidiert und die Passage zunächst klammheimlich gelöscht wurde, wirft die Frage auf, wer hier intervenierte).

Wie die Polizei in Wiesbaden mitteilte, war am Samstag, 28. März, gegen 10.20 Uhr ein lebloser Körper im Bereich der Gemarkung Hochheim, Main-Taunus-Kreis an einer ICE-Strecke entdeckt worden. „Es handelte sich dabei um die Leiche des 54-Jährigen. Aufgrund der Gesamtumstände, der umfangreichen Tatortarbeit, der Befragung zahlreicher Zeugen, der Auffindesituation vor Ort sowie technischer und kriminalwissenschaftlicher Auswertungen und Untersuchungen, ist von einem Freitod von Herrn Dr. Schäfer auszugehen.“ heißt es in der Presseerklärung der Polizei.

Der Finanzminister war verheiratet und hinterlässt eine Tochter und einen Sohn. „Wir sind alle geschockt und können es kaum glauben, dass Thomas Schäfer so plötzlich und unerwartet zu Tode gekommen ist“, erklärte Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier in Wiesbaden. Bouffier weiter: „Wir alle müssen seinen Tod jetzt verarbeiten und trauern mit seiner Familie. Unser aufrichtiges Beileid gilt daher zuerst seinen engsten Angehörigen, und wir wünschen ihnen für diese schwere Zeit Kraft und Stärke“.

P.S.: Ich habe mich in diesem Fall entschieden, über das Thema Suizid zu berichten – insbesondere, weil durch die Streichung in dem FAZ-Artikel auch eine medienpolitische Relevanz vorhanden ist. Leider kann es passieren, dass depressiv veranlagte Menschen sich nach Berichten dieser Art in der Ansicht bestärkt sehen, dass das Leben wenig Sinn habe. Sollte es Ihnen so ergehen, kontaktieren Sie bitte umgehend die Telefonseelsorge. Hilfe finden Sie bei kostenlosen Hotlines wie 800-1110111oder 800 3344533.

P.S.: Am Sonntag versuchte Ministerpräsident Bouffier laut n-tv, ebenso ehrlich wie dezent zu informieren. Er habe nach dem Tod von Landesfinanzminister Thomas Schäfer an die hohe Belastung des Ministers in der Corona-Krise erinnert, berichtet n-tv und zitiert den Regierungschef wie folgt: „Er hat bis zuletzt Tag und Nacht daran gearbeitet, diese Krise finanziell und organisatorisch zu bewältigen“, sagte Bouffier über Schäfer. Bouffier gehe davon aus, dass sich Schäfer große Sorgen gemacht habe, ob er die riesigen Erwartungen der Bevölkerung erfüllen könne, sagte Bouffier in Wiesbaden. „Ich muss davon ausgehen, dass ihn diese Sorgen erdrückt haben.“


Bild: Martin Kraft/Wikicommons/Lizenz CC BY-SA 4.0

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