„Wie kann man Menschen so etwas antun?“ Ahrweiler – erschütternder Bericht einer Ärztin

Bericht einer Ärztin

Ich bin Fachärztin für Allgemeinmedizin und Notärztin und ich habe in meinem Urlaub die aus Privatinitiative entstandene Notfallambulanz im Hilfszentrum in der Aloisius-Grundschule in Ahrweiler fünf Tage lang geleitet. Mit zahlreichen wunderbaren Helfern und vielen Sachspenden haben wir eine Ambulanz mit vier Behandlungsplätzen geschaffen.

Weder Polizei noch Feuerwehr haben die Bevölkerung über unsere Anwesenheit informiert, doch durch Mund-zu-Mund-Propaganda haben die Menschen in zunehmender Zahl zu uns gefunden. Wir haben hunderte Menschen behandelt, Wunden versorgt, Augen ausgespült, Menschen mit dringend notwendigen Medikamenten versorgt, zugehört, völlig verzweifelte Menschen in den Arm genommen und getröstet und an unser, ebenfalls auf Privatinitiative gegründetes Seelsorge- und Psychologenteam weitergeleitet. Wir haben selbst Tetanusimpfungen organisiert und gespritzt, ich habe im Schein von Taschenlampen und einem Rollator als Instrumententisch Wunden genäht. Einem Menschen haben wir definitiv das Leben gerettet, indem wir ihn mit Medikamenten aus meinem persönlichen Notfallkoffer so lange stabilisieren konnten, bis der Hubschrauber-Notarzt ihn übernommen hat.

An Ironie nicht zu überbieten: In dem Moment, in dem wir um das Leben des Patienten kämpften und sich gerade der Notarzt aus dem Hubschrauber auf den Schulhof abseilte, wurde dort verkündet, dass wir die Schule räumen müssten, weil wir nicht gebraucht würden! Nach meinem Wissenstand war unsere Ambulanz zeitweise die einzige medizinische Einrichtung in Ahrweiler, da sowohl etliche* Arztpraxen als auch das Krankenhaus abgesoffen waren.

Dann, als die Ambulanz etabliert und gut angenommen war, wurde von der Stadt Ahrweiler in Person von Herrn Wiemer das Hilfszentrum geschlossen. Was bedeutet das für die durch die Flut schwer traumatisierten Menschen? Sie hatten gerade wieder einen Hauch von Stabilität und Sicherheit durch das Hilfszentrum. Sie wussten, sie durften jeden Tag kommen, sich medizinisch versorgen lassen, von ihren Sorgen reden, sie waren versorgt mit warmem Essen und anderen lebensnotwendigen Dingen und menschlichem Zuspruch. Das wird diesen schwerst traumatisierten Menschen von einem Tag auf den nächsten wieder weggenommen, was einer schweren Re-Traumatisierung entspricht. Wie kann man Menschen so etwas antun? Zumal die Argumentation, die Schule müsse saniert werden, einfach nur lächerlich ist. Hier werden aus politischen Gründen – es kann nicht sein, dass eine private Hilfsaktion viel erfolgreicher ist als alles, was die Stadt auf die Beine stellt – Menschenleben gefährdet.

In der Aloisius-Grundschule in Ahrweiler wurden täglich bis zu 1000 warme Essen an Helfer und Anwohner ausgegeben, die Menschen haben bei uns Essen, Wasserflaschen, Kleidung, Decken, Schaufeln bekommen und praktische Hilfe in Form von Hilfstrupps, die mit in die Häuser gegangen sind und Schlamm und Schutt weggeschaufelt haben. Die einzigen Dixi-Klos standen bei uns auf dem Schulhof und weitere wurden von uns auf die umliegenden Straßen verteilt. Alle Anwohner haben uns gesagt, dass wir die einzigen waren, die ihnen zeitnah geholfen haben. Bundeswehr und Feuerwehren aus anderen Bundesländern waren erst eine Woche nach der Flutkatastrophe vor Ort. Ich selbst habe Feuerwehrleute aus Norddeutschland versorgt, die mit 700 Mann tagelang nicht helfen DURFTEN, weil man sie nicht eingesetzt hat, obwohl überall dringend Hilfe gebraucht wurde. Als sie denn endlich helfen durften, haben insbesondere Bundeswehr und Feuerwehr, aber auch die anderen Hilfsorganisationen tatkräftig mit angepackt und geholfen.

Solche Katastrophen-Situationen holen das Beste und das Schlechteste aus den Menschen hervor — ich habe ganz viele wunderbare Menschen kennenlernen dürfen, die sich Tag und Nacht für ihre Mitmenschen engagierten, hatte das großartigste Ambulanzteam aller Zeiten, aber ich sehe auch Politiker und Amtsmenschen, denen das Wohl der Menschen völlig egal ist, die nur von ihrem eigenen Versagen ablenken wollen und auch Menschen, die sich an der Not der Opfer bereichern und plündern. Die meisten Medien haben die Helfer in der Aloisius-Grundschule geframet (siehe SWR – „Querdenker“-Helfer müssen Schule in Bad Neuenahr-Ahrweiler räumen, und ZDF – „Die Aloisiusschule in Ahrweiler, vergangen Freitag – Hier sollen sich Corona-Leugner und Rechte unter die Fluthelfer gemischt haben) und ihr Engagement und ihre Hilfsbereitschaft mit Füßen getreten. Ich habe weder Reichsbürger noch Rechte getroffen, übrigens auch keine Antifa, sondern Menschen mit Herz, die andere Menschen in Not tatkräftig, teilweise bis zur kompletten Erschöpfung, unterstützt haben.

Warum war die Bundeswehr nicht vom ersten Tag an vor Ort? Wo waren die Sanitätszelte, die mobilen OP-Einheiten, die schweren Räumfahrzeuge? Man denke an die große Flutkatastrophe von Hamburg, wo Helmut Schmidt durch den frühzeitigen Einsatz der Bundeswehr seinerzeit vielen Menschen das Leben gerettet hat. Wo waren die vielen Tragluft-Zelte von den nicht mehr gebrauchten Flüchtlingsunterkünften, die viele Städte auf viele Jahre hinaus geleast haben? Die großzügigen 300 Euro Soforthilfe empfinden die Menschen in Ahrweiler als Unverschämtheit und als Schlag ins Gesicht.

* In Ahrweiler gibt es 146 Allgemein- und Hausärzte (lt. Website der Gemeinde).

Diejenigen, die selbst wenig haben, bitte ich ausdrücklich darum, das Wenige zu behalten. Umso mehr freut mich Unterstützung von allen, denen sie nicht weh tut!

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Gastbeiträge geben immer die Meinung des Autors wieder, nicht meine. Ich schätze meine Leser als erwachsene Menschen und will ihnen unterschiedliche Blickwinkel bieten, damit sie sich selbst eine Meinung bilden können.

Bild: Nick_ Raille_07ZShutterstock

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