„Bezahl-Fernsehen“ der anderen Art Lanz bietet "maßgeschneidertes Wunschpublikum" an

Markus Lanz, das ZDF und kein Ende: Nachdem ich hier auf der Seite darüber berichtete, dass die Sendung mit Hans-Georg Maaßen gekürzt wurde (und viele andere auch, obwohl die meisten Zuschauer in dem Glauben gewogen werden, es sei live), und nachdem hier enthüllt wurde, dass die Firma „Fernsehmacher“, die „Lanz“ produziert, auf einer ihrer Website damit wirbt, dass sie maßgeschneidert „innerhalb kurzer Zeit“ ein „Wunschpublikum“ fürs Studio „generieren“ kann nach „zielgruppenspezifischen Merkmalen“, machte ich jetzt die nächste unglaubliche Entdeckung.

Ja, ich muss es gestehen, als ich Ende 2018 in einer Talkshow im russischen Staatsfernsehen war, enthüllte man mir dort, dass alle Zuschauer bezahlte Schauspieler seien (siehe hierzu meinen Bericht in der Frankfurter Allgemeinen hier). Auch wenn ich es geahnt hatte, dass das Publikum stramm auf Linie ist, und auch wenn ich nach ein paar Minuten kapierte, wo der Einpeitscher saß (direkt hinter mir, und es gelang mir sogar, einmal Fehlalarm auszulösen, und dadurch im falschen Moment, bei heftiger Kritik Putins, Applaus auszulösen) – dass es immer wieder die gleichen Zuschauer und Schauspieler sind, war mir vorher nicht klar. „Ist doch bei euch genauso“ wunderte sich der russische Moderator über meine Empörung. „Wäre bei uns undenkbar“, entgegnete ich in echter Überzeugung.

Und jetzt das! Nach meinen Berichten zu Lanz schickte mir ein Leser einen Stellenanzeige von einer Online-Job-Vermittlung. Glaubt man den Angaben dort, so hat die Firma „Fernsehmacher“, die „Lanz“ produziert und auf ihrer Website als Kunden auch diverse andere Sendungen und Talkshows im öffentlich-rechtlichen Fernsehen angibt, folgende Anzeige aufgegeben: „Zuschauergäste für Fernsehproduktionen gesucht.“ Einsatzort: 22761 Hamburg. Also da, wo auch „Lanz“ gedreht wird. Und weiter: „Vergütung: 15,- bis 20,- Euro pro Aufzeichnung“. „Zeitraum der Beschäftigung: Nach Vereinbarung“.

Die Job-Beschreibung laut Stellenanzeige: „Für gelegentliche Einsätze als Zuschauergast unserer TV-Produktionen suchen wir motivierte und zuverlässige Unterstützung unseres Publikums.“ Anforderungsprofil: „Du solltest motiviert und interessiert sein“. Erschienen sein soll die Anzeige auf „Stellwerk – dem Jobportal der Hamburger Hochschulen“. Die Unis der Hansestadt gelten bei Kritikern als sehr links. Und dort wurden etwa Lesungen von Professor Lucke in diesem Jahr verhindert. Wenn jemand dort Zuschauer anwerbt, kann er also davon ausgehen, dass deren politische Ausrichtung wohl überwiegend nicht stramm konservativ ist. 

Ich suchte nach einem Strohhalm und schrieb dem Leser zurück, dass die Anzeige doch alt sei, und sicher nicht mehr aktuell. Steht doch immerhin oben: „Online seit: 10.04.2017“. Und überhaupt – das muss doch ein Fake sein, also eine Fälschung! Und außerdem: Man kann sich doch beim besten Willen nicht vorstellen, dass die Produktionsfirma von „Lanz“ ungeniert Jobanzeigen für bezahlte Studiogäste aufgibt – wenn überhaupt, müssten die so etwas doch sehr diskret machen! Als Antwort auf meine Zweifel schickte mir der Leser einen Link: Und siehe da, eine fast identische Anzeige ist dort noch online zu sehen.

Eingestellt oder aktualisiert am 24.10.2019 mit der Überschrift: „Zuschauergäste gesucht.“ Es heißt zwar weiter unten: „Sorry, the opening has been filled“. Also: Die Vakanz ist vergeben. Aber wer weiß. Das könnte auch daran liegen, dass jetzt Weihnachtspause ist, und etwa bei „Lanz“ Ferien sind. Meine Hoffnung, dass es sich um ein Fake handelt, ist jetzt massiv geschwunden – sollte jemand ein ganzes Job-Portal fälschen, um die Produktionsfirma von „Lanz“ und damit indirekt auch das ZDF in Misskredit bringen? Zumal ich auch noch ähnliche Anzeigen fand – hier etwa für „Statisten“ als „Publikumsunterstützung“ vom 16.11.2019:

Auch wenn für die Medien, insbesondere die öffentlich-rechtlichen, nicht der nur für die Strafjustiz bindende Ausspruch „Im Zweifel für den Angeklagten“ gilt: Es spricht viel dafür, dass die Anzeigen, wenn sie echt sind, ggf. lediglich den Zweck erfüllen, kurzfristige Zuschauer-Ausfälle zu ersetzen. So steht es da zumindest, allerdings mit dem Zusatz „unter anderem“. Und es wäre interessant zu wissen, was die anderen Zwecke sein könnte. Aber das ist nicht die einzigen Frage, die in diesem Zusammenhang an das ZDF und Lanz zu stellen wären. „Statisten“ als „Zuschauer-Unterstützung“ etwa klingt schon nach mehr als nach gelegentlichem Ersatz für ausgefallene Besucher.

Wenn ich mir künftig wieder einmal notgedrungen – um darüber zu schreiben – eine Talkshow im öffentlich-rechtlichen Fernsehen ansehen muss, werden mir dabei beim Applaus und bei den Einblendungen zu den Zuschauern ins Studio immer ketzerische Gedanken durch den Kopf gehen. Wurde jemand von ihnen bezahlt?

Und ich bin sehr gespannt – aber leider nicht optimistisch – wie viele andere Medien dieses Thema aufgreifen werden.


Bild: Screenshot ZDF

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