Gastbeitrag von Professor Felix Dirsch, katholischerTheologe und Politikwissenschaftler.
Kürzlich ließ die linkradikale Frankfurter Ex-Grünen-Politikerin Jutta Ditfurth, von Corona-Folgen heftig gebeutelt, aber mittlerweile wieder in alter Agitationslaune, auf den sozialen Netzwerken verlautbaren (Rechtschreibung und Grammatik kann offensichtlich vernachlässigt werden): „Welche kolonialistischen, militarist, rassist und antisemit Denkmäler wollen wir abgerissen sehen? Meine to do-Liste: alle ‚Judensau‘-Reliefe, Dammtordenkmal und alle Kriegerdenkmäler, Humboldt-Forum (Kuppel und Kreuz zuerst), Garnisonskirche, Lettow-Vorbeck-Gedenkstätten usw.“
Löst man derartige Polemik von ihren tagespolitischen Hintergründen und ordnet sie in längere geschichtliche Zeiträume ein, so wird ihr tieferer Sinngehalt offenbar. Größere Umwälzungen kamen selten ohne bilderstürmerische Begleitaktionen aus. Von der Antike bis in die unmittelbare Gegenwart zieht sich eine Spur des Vandalismus. Die Folgen des Bilderstreits im 8. und 9. Jahrhundert – er dreht sich um die Frage, ob man Bilder anbeten oder „nur“ verehren dürfe – vertieften die Gegensätze zwischen dem Abendland und Byzanz. Die reformatorischen Umstürze gingen ebenso mit ikonoklastischen Bewegungen einher wie die Französische Revolution. Solche Zerstörungen lassen sich kulturübergreifend feststellen. Vor fast zwei Jahrzehnten rief die Vernichtung von Buddhafiguren in Afghanistan durch die Taliban weltweite Proteste hervor.
Viele von denen, die damals gegen den islamistischen Furor Sturm liefen, sind heute still, wenn ein prominentes Denkmal, das die Südstaaten-Ikone General Robert E. Lee zeigt, geschliffen werden soll. Auch einer berühmten Statue des Entdeckers Christopher Kolumbus droht Demontage. Der weiße Kolonialist Winston Churchill steht ebenfalls längst auf der Streichliste der Antirassismus-Kämpfer. Beim geplanten Abbau dieser Gestalten stehen ja emanzipatorische Absichten im Vordergrund und nicht das für westliche Kommentatoren unverständliche islamische Bilderverbot! Die Sprecherin des US-Repräsentantenhauses Nancy Pelocy gab unlängst sogar eine To-do-Liste mit entsprechenden Beseitigungswünschen bekannt. Diese dürften von den Mitgliedern der „Black Lives Matter“-Bewegung freudig goutiert werden, die mit dem bloßen Austausch von Trump durch Biden wohl nicht zufrieden sein dürften.
Dass die regelmäßig ausbrechenden Unruhen infolge von Polizeigewalt gerade in den USA solche Brisanz erreichen, hängt nicht nur mit der unstrittigen Tatsache von Diskriminierungen von Schwarzen in der US-Gesellschaft und der Instrumentalisierung der Proteste durch einflussreiche politische Kreise zusammen, die vor allem den weißen Präsidenten treffen sollen; vielmehr indizieren die Konflikte tektonische Verschiebungen der US-Gesellschaft. Die traditionelle Leitkultur, die WASP („White Anglo-Saxon Protestant“),dankt schleichend ab – und das vor allem aufgrund demographischer Verwerfungen. Aufsteiger sind die Angehörigen eher junger und vergleichsweise dynamischer Einwanderungskulturen wie die Hispanics. Der vor über einem Jahrzehnt verstorbene US-Politologe und Bestseller-Autor Samuel P. Huntington, ein Verteidiger des weißen und christlichen Amerika, das zusehends älter wird, hat die Entwicklungs- und Konfliktlinien bereits vor rund zwei Jahrzehnten in seiner Schrift „Who are we?“ skizziert. Seinen Analysen ist kaum etwas hinzuzufügen.
Welche Funktion besitzen Denkmäler? Im 19. und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts entstand besonders in Deutschland eine Welle von gemeinschaftsarchitektonischen Bauten, die vor allem Volk und Vaterland, das Gedenken an die Toten und an die eigene Geschichte herausstellten. Der komplizierte Prozess der Nationswerdung kam nicht ohne identitätsstiftende Symbole, Riten und Erinnerungskultur aus. So schreibt der Kunsthistoriker Hubert Schrade in seinem Buch „Das deutsche National-Denkmal“ im Jahre 1934: „In der Geschichte seiner Denkmäler erleben wir das Werden des deutschen Volkes zur Nation“.
Es war und ist allgemein bekannt, dass sich nationale Identität nicht von allein einstellt. Es reicht nicht, einen Staat auszurufen wie das deutsche Kaiserreich von 1871. Bis heute ist nur wenig so schwer zu definieren wie das kollektive „Wir“. Jeder kann sich diese Problematik selbst verdeutlichen, wenn er versucht, die Frage „Was ist deutsch?“ zu thematisieren. Die Antworten sind meist zahlreich.
Vor 1871 war das Königreich Bayern unter den deutschen Territorien führend bei der Errichtung von berühmten Bauwerken, die seit einiger Zeit unter dem Stichwort „Erinnerungsorte“ rege Konjunktur unter Historikern entfalten. Als bis heute bekannte Beispiele sind die Feldherrnhalle in München, die Walhalla bei Donaustauf, das Münchner Siegestor und die Befreiungshalle in Kelheim zu nennen.
Nach 1871 häuften sich die Denkmäler im deutschen Reich. So wurden im Bismarck-Reich – um nur eine knappe Auswahl anzuführen – das Hermanns- und Kyffhäuserdenkmal eingeweiht, weiter das Reiterstandbild Wilhelms I. am Deutschen Eck, ebenso im Jahre 1894 der Reichstag mit der (heute selbstredend stark umstrittenen) Inschrift „Dem deutschen Volke“. Dieses soll, geht es nach der Linken und ihren Helfershelfern im bürgerlichen Lager, in eine atomistisch-multikulturell strukturierte Bevölkerung aufgelöst werden. Solche Prozesse sind realiter schon längere Zeit im Gang.
Wurden Denkmäler aller Art in der Zeit vor 1945 mitunter durch einen zu euphorischen Nationalismus missbraucht, setzte nach dieser Zäsur in beiden deutschen Staaten ein Wandel in die komplett andere Richtung ein. Insgesamt kann man vom „Schwinden architektonischer Symbolkraft“ (Norbert Borrmann) nach dem Zweiten Weltkrieg sprechen. Die schillernden Variationen des „negativen Germanozentrismus“ (Ernst Nolte) treiben von Anfang an üppige Blüten. Der Hass des SED-Regimes auf deutsche kulturelle Traditionen dürfte nur noch von heutigen „Deutschland, Du mieses Stück Scheiße“-Transparentträgern und ihren Sympathisanten übertroffen werden. So ließen Stalins Stellvertreter 1950 das Berliner Stadtschloss sprengen, dessen historisierender Nachbau Ende 2020 fertiggestellt sein dürfte. Besonders die geplante Kuppel und das Kreuz werden seit einiger Zeit heftig befehdet, nicht nur von Frau Ditfurth. Der Gerechtigkeit ist es geschuldet darauf zu verweisen, dass die DDR-Oberen nicht alle älteren Bauwerke von erinnerungspolitischer Brisanz abgelehnt haben. Dem Leipziger Völkerschlachtdenkmal konnte man aufgrund der Waffenbrüderschaft von Preußen und Russland gegen Napoleon durchaus etwas abgewinnen.
Die Erben der roten Diktatur im vereinigten Deutschland offenbaren ähnliche Destruktionsphantasien wie ihre Vorgänger. So verübten die Revolutionären Zellen 1991 ein Sprengstoffattentat auf die Berliner Siegessäule. Anschläge ihrer linken Gesinnungsgenossen auf missliebige Symbole, insbesondere Kriegerdenkmäler, sind bis heute an der Tagesordnung.
Wie sehr die Linke – allem Populismus-Gerede zum Trotz – immer noch die Meinungshegemonie besitzt, belegt auch der Denkmalsstreit der letzten Jahre. Rote Säulenheilige wie Marx und Lenin werden nicht nur nicht von Podesten heruntergeholt, es werden für sie sogar neue errichtet. 2018 machte China Trier, der Geburtsstadt Marx‘, ein Geburtstagsgeschenk: ein großes Denkmal, das den Vater des wissenschaftlichen Sozialismus verewigen soll. Darüber hinaus sind 52 Plätze und über 500 Straßen hierzulande nach ihm benannt. In Gelsenkirchen dürfen sich Linksextremisten neuerdings sogar über eine Lenin-Statue freuen.
Bekannt ist, dass sich in den letzten Jahrzehnten das nationale Geschichtsgedächtnis stark auf das Andenken an die NS-Opfer fokussiert hat. Prominentes Beispiel ist das Holocaust-Mahnmal in Berlin. Diese Entwicklung ist nicht zu beanstanden. Sie ist der Monstrosität der NS-Verbrechen geschuldet. Die Millionen Leidtragende, die von ehemaligen Kriegsgegnern Deutschlands geschädigt wurden, stehen in der Opferhierarchie dagegen schon etwas weiter unter. Problematisch ist die Verabsolutierung eines bestimmten Geschichtsgedächtnisses als „Gründungsmythos“ (Joschka Fischer), die Hypostasierung der Schuld zur „Staatsräson“ (Thomas Schmid) und die pauschale Einordnung der Vorfahren in ein „Verbrecheralbum“ (Helmut Schmidt). Diese Art der Vergangenheitsbewältigung führt längst zum Umschwung des Pendels auf die andere Seite. Das heißt konkret: Welt- und Europarettung unter Inkaufnahme massiver Selbstschädigung und Hypermoralismus bis zur Selbstaufgabe sowie zum Rechtsbruch, kurz: die Exekution des Niedergangs Deutschlands auf mehreren Ebenen.
Die Folgen sind weitreichend. Ein eigenes Kapitel stellt die Beschreibung der Ikonographie in den längst realen islamischen Parallelgesellschaften der Bundesrepublik dar. Muslimische Bauherren nennen manche ihrer Häuser offen „Eroberer-Moschee“ (Fatih-Camii). So wird die von der EU und dem Land Nordrhein-Westfalen finanzierte Merkez-Moschee in dem Stadtteil Duisburg-Marxloh, in welchem kriminelle Clans längst offiziell die Herrschaft fordern, als Beispiel für eine gelungene Integration gefeiert. Wäre es möglich, eine Kirche in einem islamischen Land mit Unterstützung des Staates zu errichten und mit willkommenskulturellem Brimborium zu unterlegen? Politisch-religiöse Architektur hat stets mit Selbstbewusstsein zu tun. Dieses wird von Bauwerken und ihrem Geist mehr oder weniger symbolisch gespiegelt. Jeder kann also sehen, wie es damit im heutigen Deutschland bestellt ist.
Professor Felix Dirsch ist katholischer Theologe und Politikwissenschaftler. Er ist Autor diverser Publikationen, u.a. von „Nation, Europa, Christenheit“ und „Rechtes Christentum„. Dirsch kritisiert den Einfluss der 68er-Generation und der „politischen Korrektheit“.