Man braucht keine schwäbische Hausfrau zu sein, um sich bei einem Risiko von 6,384 Milliarden Euro, für das man im Zweifelsfall bürgen muss, zu sagen: Das sollte man gründlich prüfen und gut darüber nachdenken. Nicht so der deutsche Bundestag: Der will am Mittwoch und Donnerstag im Hauruck-Verfahren quasi durch die Corona-Hintertür den ersten Schritt zu etwas machen, das Kritiker als Einstieg in eine europaweite Arbeitslosenversicherung und eine EU-Schuldenunion monieren: Im Rahmen des „Sure“-Programms sollen Länder mit einer stabilen Wirtschaft wie Deutschland mit bürgen für kriselnde Länder etwa im Süden. Besonders brisant wird das, wenn man berücksichtigt, dass das Pro-Kopf-Vermögen etwa in Italien und Frankreich mehr als doppelt so hoch ist und von den alten EU-Ländern nur in Portugal die Menschen ärmer sind als in Deutschland (siehe meinen Beitrag „Die Deutschen sind die armen Würstchen der EU“ hier).
Das Ziel von „Sure“: Durch EU-Anleihen auf dem Kapitalmarkt soll EU-weit Kurzarbeitergeld finanziert werden. Für die Rückzahlung der Anleihen haften die Mitgliedstaaten entsprechend ihren Anteilen am Bruttoinlandsprodukt der EU (Deutschland hat über ein Viertel). Auch eine Nachschusspflicht auf Abruf der Kommission ist vorgesehen.
Wenn man das googelt, findet man kaum Nachrichten zu „Sure“. Dabei hat der Bundesrat dem Gesetz bereits vorab zugestimmt. Am Mittwoch soll um 13 Uhr die erste Lesung ohne Aussprache stattfinden. Formell wird das Gesetzesprojekt in den zuständigen Ausschuss verwiesen – aber offenbar nur, um das vorgeschriebene Prozedere einzuhalten. Denn dass es dort wirklich so geprüft und diskutiert werden kann, wie das der Summe von mehr als sechs Milliarden angemessen wäre, darf bezweifelt werden: Die zweite und dritte Lesung soll bereits am Tag drauf, am Donnerstag um 14.55 Uhr beginnen – keine 26 Stunden nach der ersten Lesung und der Überweisung in den Ausschuss. Insgesamt wird der Bundestag 35 Minuten über das Programm mit seiner Milliarden-Haftung diskutieren. Und dank Corona-Sonderregeln ist nicht einmal das normale Mindestquorum im Bundestag erforderlich: Schon die Anwesenheit von einem Viertel der Abgeordneten ist ausreichend.
In den Korridoren des hohen Hauses rumort denn auch das Unbehagen. Von Umgehung des Parlaments und seinem Missbrauch als (Gesetzes-)Druckerpresse ist die Rede. Nur an die Öffentlichkeit kam bisher so gut wie nichts. Das Schweigen der Medien zeigt, wie diese ihrer Kontrollfunktion immer schlechter nachkommen.
Jürgen Joost, Bundesvorsitzender der Partei „Die Liberal-Konservativen Reformer (LKR)“, versucht, mit einer Online-Petition gegen das Gesetz mobil zu machen: „Damit soll uns eine Kröte untergejubelt werden, die wir niemals schlucken dürfen: Denn faktisch wird damit der Weg in eine Europäische Arbeitslosenversicherung geebnet, für die Deutschland ebenfalls als Gesamtschuldner haften soll.“ Die geplante Schuldenaufnahme über den EU-Haushalt sei ein „eklatanter Bruch der geltenden Europäischen Verträge“, kritisiert Joost: „Faktisch wird mit dem Gesetzentwurf und der zugrunde liegenden EU-Verordnung nichts anderes versucht, als unter dem Deckmantel einer „vorübergehenden Unterstützung bei der Minderung von Arbeitslosigkeitsrisiken in einer Notlage (SURE) im Anschluss an den COVID-19-Ausbruch“ den Einstieg in eine Gemeinschaftshaftung im Rahmen einer Europäischen Arbeitslosenversicherung vorzubereiten.
Tatsächlich spricht viel dafür, dass hier eine neue Geld-Pipeline in der EU von Nord nach Süd verlegt wird. Gäbe es noch eine kritische, funktionierende Medienlandschaft wäre das Thema angesichts der Summen in den Schlagzeilen. Es gäbe heftige Diskussionen, ganze Talkshows dazu, viel Pro und Contra. Die Menschen bekämen Informationen und könnten sich ein Bild machen. So wie das in einer Demokratie sein muss. So wie früher. Aber heute bei uns? Nichts als Schweigen.
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