„Schlauer Schlange stehen“ – Zeitungs-Tipps wie zu DDR-Zeiten Umdeutung von Versagen in Tugend: "Man könnte sich auch über zusätzliche Mußemomente freuen"

Besonders beeindruckend waren für mich bei meinen ersten Besuchen in der Sowjetunion Ende der 1980er Jahre die allgegenwärtigen Warteschlangen. Nachdem ich 1990 zum Studium nach Moskau zog, machte ich mir zuweilen einen Spaß daraus, westliche Freunde, die mich besuchten, etwas aufzuziehen: Ich erklärte ihnen im Spaß, dass es in Russland einen Ausbildungsberuf „Schlangenwirt“ und in der akademischen Version „Diplom-Schlangenwirt“ gibt, und sich diese mit der Organisation von Schlangen beschäftigen. Zudem machte ich mir oft einen Spaß daraus, zu erklären, dass Schlangestehen nach Erkenntnissen der sowjetischen Wissenschaft gut für die Gesundheit sei. Etwa wegen seines beruhigenden Effekts, und weil es den Alltag entschleunige.

Der damalige Schelm in mir wurde inzwischen von der Realität in Deutschland eingeholt. Tröstete mich in meiner frühen Moskauer Zeit die Gewissheit, dass es in Deutschland kaum Schlangen gibt, so reicht inzwischen eine kurze Einkaufstour, um zu sehen, dass die Warteschlange inzwischen auch in den deutschen Alltag Einzug gehalten hat. Vor Corona gab es noch mutige Mitbürger, die in Geschäften lautstark forderten, eine zweite oder dritte Kasse zu öffnen (wie ich selbst auch). Seitdem jede Kassiererin und jeder Kellner dank Corona-Maßnahmen eine zuvor ungeahnte Machtfülle und seine Kunden eine entsprechende Machtlosigkeit erlebten, scheint die Aufmüpfigkeit erstickt, und der Normal-Kunde ergibt sich untertänigst in sein Warteschicksal.

Mein Lesetipp

Auch meine Witze von einst wurden von der Realität eingeholt. Ich traute meinen Augen nicht, als ich jetzt im rot-grünen Berliner Verlautbarungsblatt „Tagesspiegel“ folgende Schlagzeile las, die auch aus der DDR stammen könnte (hätte man dort das Thema nicht eher gemieden): „Schlauer Schlange stehen: Das Mittel gegen Stress beim Warten.“

Echt jetzt?

Statt sich über das neudeutsche Phänomen der Schlange zu empören und Abhilfe zu fordern, erklären die rot-grünen Hofberichterstatter, wie sich der Untertan im neuen, „woken“ Feudalismus in derselben einzurichten hat.

In dem Artikel von Ariane Bemmer, der hinter einer Bezahlschranke steckt, steht unter anderem: „Kann das hier mal schneller gehen, wann bin ich endlich dran, was dauert das so ewig?! Die Ferien sind vorbei, die Stadt ist wieder voll, und Schluss ist mit Expressbedienung, direkt zur Kasse gehen oder sofort durchs Drehkreuz. Überall und immerzu wachsen Warteschlangen. Das nervt und stresst und strengt an – und es zeigt den Menschen in zweierlei Hinsicht ihre Grenzen.“

Das klingt so, als sei die Warteschlange etwas ganz Natürliches, quasi Gottgegebenes. Das es schon immer gab.

Was für den Sozialismus, der bei uns wieder Einzug hält, natürlich zutrifft. Allerdings nicht für die alte Bundesrepublik.

Heute, im „besten Deutschland aller Zeiten“, das in Wirklichkeit das disfunktionalste Deutschland aller Zeiten ist, ist die Schlange allgegenwärtig, wie die Autorin durchaus korrekt aufzählt: „Seien es die zähen Prozeduren auf Ämtern, die übervollen Praxen, die Terminpläne kippen, die nicht geöffneten Kassen im Supermarkt, der Klimakleber-Stau auf der Straße, die ausgefallenen Bahnen und Busse, die viel zu wenigen Servicekräfte im Restaurant.“

Wie wahr!

Doch sodann erfolgt die politisch-korrekte Quadratur des Kreises: „Der Warte-Stress ist dabei eine Kopfgeburt, er ist psychisch, nicht physisch, denn faktisch ist man untätig!“

Also alles gar nicht so schlimm!

Denn, so die Autorin: „Man könnte sich also entspannen, man könnte die ungeplante Pause positiv besetzen und sich über zusätzliche Mußemomente freuen. Das regt beispielsweise Timo Reuter an, dessen Buch „Warten. Eine verlernte Kunst“ gerade neu rausgekommen ist. „Menschen können sich beim Warten begegnen – und sie können sich durch das Warten näherkommen“, heißt es da.“

Ein schöner Trost sicher auch für eine Bekannte von mir, die gerade nach der Diagnose einer schweren Krankheit erfuhr, dass der nächste verfügbare Termin bei dem empfohlenen Arzt im Oktober ist – nächsten Jahres.

Ob sie wirklich beim Warten anderen Menschen näher kommen wird?

Ich warte ebenfalls seit fünf Tagen darauf, dass mein Gepäck am Münchner Flughafen gefunden wird. Bringt mich auch niemandem näher, außer diversen Mitarbeitern in diversen Hotlines, die keinerlei Kompetenz haben und in der Regel auch eher dürftig Deutsch und Englisch sprechen.

„Denn es gibt sie ja, die entspannten Wartenden“, heißt es dann im dem Text weiter.

Dann steht da: „Und die Warteschlange selbst darf als ein seltenes Refugium von Gleichheit gelten.“

Wie bitte? Will uns die Autorin verhöhnen?

Oder ist sie wirklich selbst derart auf kommunistische Gleichmacherei getrimmt?

Sodann wird in bester rot-grüner Manier die Realität verkehrt: „Was zu der schon fast philosophischen Frage führt, ob man überhaupt wartet, wenn man sich gar nicht als wartend empfindet?“

Wie soll man sich denn sonst empfinden in einer Warteschlange? Als im Schwimmbad oder im Meer Schwimmender?

Es geht noch weiter bei der Autorin: „Wenn Menschen ihr Leben ohnehin weitgehend mit Blick ins Smartphone verbringen, kann es ihnen dann nicht egal sein, wo sie die neuen Mails lesen, Kurznachrichten schreiben, lesen oder löschen, Tweets kommentieren, Videos anschauen, Datingvorschläge hin- oder herschieben, Aktien kaufen oder verkaufen? Macht es einen signifikanten Unterschied, ob sie sich damit an der Supermarktkasse, im Behördenwartesaal oder auf dem Sofa beschäftigen? Theoretisch nicht. Wenn sie sich praktisch darüber aufregen, dann vielleicht als Überbleibsel einer wartefeindlichen Erziehung?“

Mit anderen Worten: Regt Euch nicht auf, ist doch eh alles egal! Und: Die Erziehung ist schuld. Die reaktionäre, bundesrepublikanische, „kapitalistische“ sicher.

Geht´s noch?

Ich komme mir vor wie im falschen Film. Zumindest aber im falschen Artikel. Oder genauer gesagt: Im falschen Deutschland. Einem, das mit der alten Bundesrepublik immer weniger zu tun hat.

Der Artikel ist geradezu ein Spiegelbild für die Realitäts-Allergie im rot-grünen polit-medialen Komplex. Für den „Pöbel“, die „Un-Woken“, die Nicht-Rot-Grün-Erleuchteten“, gibt es Umerziehung und Verhaltenstipps. Die sollen sich mal nicht so anstellen! Nur weil sie „wartefeindlich“ oder „fossial-afin“ oder „bargeldbezogen“ erzogen worden sind, dürfen sie sich den revolutionären Umwälzungen auf dem Weg zur Schaffung eines neuen, besseren, klimaneutralen und „woken“ Menschen nicht in den Weg stellen. Sie müssen einfach umerzogen werden, etwa durch solche Artikel, damit sie ihr rot-grünes, öko-sozialistisches Glück zu schätzen lernen.

Unter Beschuss – aber umso wichtiger ist Ihre Unterstützung!  

„Verschwörungsideologe“, „Nazi“ oder „rechter Hetzer“: Als kritischer Journalist muss man sich heute ständig mit Schmutz bewerfen lassen. Besonders aktive dabei: die öffentlich-rechtlichen Sender. Der ARD-Chef-Faktenfinder Gensing verklagte mich schon 2019, der Böhmermann-Sender ZDF verleumdete mich erst kürzlich als „Verbreiter von Verschwörungserzählungen“ – ohne einen einzigen Beleg zu benennen, und in einem Beitrag voller Lügen. Springer-Journalist Garbor Steingardt verleumdete mich im „Focus“, für den ich 16 Jahre lang arbeitete, als „Mitglied einer Armee von Zinn­soldaten“ und einer „medialen Kampf­maschine“ der AfD. Auf Initiative des „Westdeutschen Rundfunks“ wurde ich sogar zur Fahndung ausgeschrieben. Wehrt man sich juristisch, bleibt man auf den Kosten in der Regel selbst sitzen. Umso wichtiger ist Ihre Unterstützung. Auch moralisch. Sie spornt an, weiter zu machen, und nicht aufzugeben. Ich danke Ihnen ganz herzlich dafür, dass Sie mir mit Ihrem Beitrag meine Arbeit ermöglichen – ohne Zwangsgebühren und Steuergelder.
Aktuell sind (wieder) Zuwendungen via Kreditkarte, Apple Pay etc. möglich – trotz der Paypal-Sperre: über diesen Link. Alternativ via Banküberweisung, IBAN: DE30 6805 1207 0000 3701 71. Diejenigen, die selbst wenig haben, bitte ich ausdrücklich darum, das Wenige zu behalten. Umso mehr freut mich Unterstützung von allen, denen sie nicht weh tut.

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Weil er aus Verzweiflung über Corona-Maßnahmen auf Staat schimpfte: 1.500 Euro Strafe für Studenten. Frei nach Mao: Bestrafe einen, erziehe Tausende!

Bild: Shuttesrtock

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