Die DDR-Bürgerrechtlerin Bärbel Bohley hat es kommen sehen. „Alle diese Untersuchungen“, sagte sie 1991 bei einem Treffen mit Freunden, „die gründliche Erforschung der Stasi-Strukturen, der Methoden, mit denen sie gearbeitet haben und immer noch arbeiten, all das wird in die falschen Hände geraten. Man wird diese Strukturen genauestens untersuchen – um sie dann zu übernehmen.“ Die Gesprächspartner schwiegen verblüfft, wie sich Chaim Noll, der damals dabei war, später erinnerte. Bohley fuhr fort: „Man wird sie ein wenig adaptieren, damit sie zu einer freien westlichen Gesellschaft passen. Man wird die Störer auch nicht unbedingt verhaften. Es gibt feinere Möglichkeiten, jemanden unschädlich zu machen. Aber die geheimen Verbote, das Beobachten, der Argwohn, die Angst, das Isolieren und Ausgrenzen, das Brandmarken und Mundtotmachen derer, die sich nicht anpassen – das wird wiederkommen, glaubt mir. Man wird Einrichtungen schaffen, die viel effektiver arbeiten, viel feiner als die Stasi. Auch das ständige Lügen wird wiederkommen, die Desinformation, der Nebel, in dem alles seine Kontur verliert.“
Mit erschreckender Frequenz findet man heute in den Nachrichten ebenso wie im Privaten Ereignisse, die Bohleys traurige Vorhersage bestätigen. Die einst freiheitliche Bundesrepublik entwickelt sich 30 Jahre nach der Wiedervereinigung mit dem sozialistischen Stasi-Staat DDR immer mehr zu einem Land, in dem Diffamieren, Denunziation, Bespitzeln und das Ausgrenzen von Menschen mit abweichenden Meinungen Alltag sind.
Das neueste erschreckende Beispiel: Maximilian Rieger, Radiojournalist beim Deutschlandradio und Absolvent der Henry-Nannen-Schule, mit 896 Followern auf Twitter und 215 Likes für seine Seite auf Facebook abseits des öffentlich-rechtlichen Sektors eher mäßig erfolgreich, entdeckte via soziale Netzwerke auf der „Querdenken 711“-Demonstration der Corona-Maßnahmen-Kritiker in Berlin zwei Sportler, die in ihrem Bereich weitaus erfolgreicher sind als er selbst in seinem. Die Weitspringerin Alexandra Wester, die schon mal zum deutschen Olympia-Team gehörte, und den Basketballer Joshiko Saibou, seines Zeichens Bundesliga- und Nationalspieler.
Rieger denunzierte die beiden sofort auf Twitter – nicht ohne Hinweise auf angebliche Vergleiche von Mundschutzmasken mit Judensternen und auf das Schwenken von Kaiserfahnen (dass diese unter den Nationalsozialisten nur kurzfristig so verwendet und später nur noch mit dem Hakenkreuz versehen, ist Rieger offenbar im Framing-Handbuch entgangen). Der Bezug zum Groß-Themen-Bereich „Nazi“ war hergestellt, wenn auch sehr plump. Wie sagten schon die alten Römer? Wenn man mit Exkrementen schmeißt, bleibt immer etwas hängen. Ganze Internet-Portale arbeiten heute nach diesem Motto, nennen sich unverhohlen „Volksverpetzer“ und werden dafür mit Preisen ausgezeichnet und von einem CSU-Ministerpräsidenten gelobt (siehe hier – „Söder gratuliert ‘Volksverpetzer‘“)
Keine zwei Tage nach dem Tweet des öffentlich-rechtlichen Netz-Denunzianten titelte n-tv: „Nach Corona-Demo in Berlin – Bonn wirft Nationalspieler Saibou raus“. Weiter heißt es in dem Bericht des Senders, der den Sportler auf so subtile und infame Weise diffamiert bzw. in Nazi-Kontext stellt, dass ich darüber einen eigenen Beitrag machen möchte: „Seit Monaten kritisiert der deutsche Basketball-Nationalspieler Joshiko Saibou die Corona-Maßnahmen als überzogen und unsinnig. Am vergangenen Samstag nimmt er an der Anti-Hygiene-Demo in Berlin teil – und ist nun arbeitslos. Die Telekom Baskets Bonn entlassen ihn fristlos, mit einer klaren Ansage.“
Nach Angaben des Basketball-Bundesligisten sind Verstöße „gegen Vorgaben des laufenden Arbeitsvertrags als Profisportler“ der Kündigungs-Grund. Der Deutsche Basketball-Bund (DBB) hatte sich zuvor der Ketzerverfolgung noch verweigert und keine Konsequenzen gezogen. Doch da tobte schon der digitale Mob, die Forderung nach Hexenverbrennung lag in der Luft. „Wir als Verband distanzieren uns“, sagte DBB-Präsident Ingo Weiss, ohne das sprachlich klar wurde wovon (aber das weiß ohnehin jeder): „Wir akzeptieren aber auch, dass unser Nationalspieler Joshiko Saibou eine andere Meinung hat.“
Der Bundesligist warf seinem Ex-Angestellten vor, es „erfülle schon fast den Tatbestand der fahrlässigen Körperverletzung, wenn ich mich diesen Gefahren in Berlin aussetze und damit auch meine Mitmenschen und Teamkollegen gefährde.“ Mit Saibous Meinung habe die Kündigung natürlich nichts zu tun. Merkwürdig. Ob Saibou auch gekündigt worden wäre, wenn er am 6. Juni auf der Anti-Rassismus-Demo (BLM) am Alexanderplatz unter der gleichen Missachtung der Abstandsregeln gewesen wäre? Stellen Sie sich nur für einen Moment die Schlagzeilen vor: Basketball-Nationalspieler mit Migrationshintergrund wegen Teilnahme an Anti-Rassismus-Demo gekündigt. Kein Arbeitgeber in dieser Republik, der noch halbwegs bei Sinnen ist, hätte so etwas gewagt. Warum ignoriert der Arbeitgeber die offizielle Auskunft des Berliner Senats, dass nach der BLM-Demo keine erhöhten Infektionszahlen festzustellen waren (siehe hier).
Das Ausmaß dieser Doppelmoral und Politisierung lässt sofort an Bohleys Warnung denken. Selbst einstmals bürgerliche Medien stimmten sofort in die Ketzerverfolgung ein. Saibou sei durch „krude Verschwörungstheorien“ aufgefallen, schreibt die Welt. Und in ihrer Titelzeile heißt es: „Sportlerpaar Saibou und Wester – Wie sich zwei Coronaleugner die Karriere zerstören“. Das ist Lüge, Framing und Diffamierung zugleich. Einen Beweis, dass die beiden Sportler Corona leugnen, bleibt die „Welt“ schuldig. Kritik an Maßnahmen gegen das Virus ist nicht gleichzusetzen mit einem „Leugnen“ des Virus. Und nicht die beiden Sportler zerstören sich ihre Karriere, sondern Denunzianten und Manager, die dem Zeitgeist und totalitärem Denken hinterher kriechen. Und Journalisten wie die, die solche Artikel schreiben, redigieren und zur Veröffentlichung freigeben.
Der Rauswurf sei „eine unglaubliche Sache“, empörte sich Saibou in seinem Instagramkanal: „Ich bin Basketballer, aber in erster Linie bin ich Mensch. Wenn ich eine polarisierende Meinung habe, ist Gegenwind vorprogrammiert. Daraufhin jedoch meinen Job zu verlieren, ist totalitär und ein Schlag ins Gesicht der Meinungsfreiheit.“
„Bestrafe einen, erziehe hundert“, soll der kommunistische Diktator Mado Zedong gesagt haben. Zu seinen Zeiten gab es noch kein Internet. Heute kann man die „hundert“ sicher getrost vervielfachen.
PS.: Die Entlassung von Saibu und die lauten Forderungen nach einer Einschränkung der Versammlungsfreiheit habe ich heute in einem Livestream auf youtube mit Lesern und Zuschauern diskutiert. Hier finden Sie die Sendung:
Bild: Granada/Wikicommons/CC BY-SA 4.0/bearbeitet/Boris ReitschusterText: red