Die Meinungen zwischen der Augsburger Staatsanwaltschaft und den Jugendrichtern in der Fuggerstadt gehen weit auseinander. Für die Ankläger sind die sechs jungen Männer, die nach der Tötung eines 49-Jährigen Feuerwehrmanns Anfang Dezember in Untersuchungshaft kamen, der Beihilfe zum Totschlag verdächtig. Die Jugendkammer des Landgerichts hat daran zumindest erhebliche Zweifel, sie sieht keinen „dringenden Tatverdacht“. Knapp drei Wochen nach der der grausamen Tat wurden sechs der sieben Beschuldigten wieder auf freien Fuß gesetzt, wie die Augsburger Allgemeine berichtet. Der mutmaßliche Haupttäter Halid S. bleibt weiter in Untersuchungshaft.
Die Jugendlichen hatten offenbar den 49-Jährigen und seine Frau sowie ein befreundetes Ehepaar angepöbelt. Der Mann forderte sie auf, Ruhe zu geben. Danach kam es zu einem Schlag, der tödlich war. Manche Medien schilderten den Hauptverdächtigen als freundlich und hilfsbereit. Mitschüler dagegen bezeichneten ihn als „sehr boshaft“ und „gewaltbereit“ (siehe Bericht hier). In einer Mitteilung des Landgerichtes heißt es nun: „“Die Jugendkammer verneinte nach eingehender Prüfung auf der Basis der bisherigen Erkenntnisse und Beweismittel, insbesondere der Sichtung der Videoaufzeichnungen bei allen sechs Beschuldigten den dringenden Tatverdacht der Beihilfe zum Totschlag. Nach der ausführlichen Begründung des Gerichts handelte es sich bei dem tödlichen Schlag gegen den Kopf des getöteten Opfers um eine spontane, sofort abgeschlossene Handlung des siebten, sich noch in Untersuchungshaft befindlichen Beschuldigten.“ Bei zwei weiteren Beschuldigten bestehe zwar der dringende Tatverdacht der gefährlichen Körperverletzung zu Lasten des zweiten, schwer verletzten Opfers, berichtet SPON. Allerdings gehe man derzeit weder von einer Flucht- noch von einer Verdunkelungsgefahr aus.
Die Staatsanwaltschaft sieht das anders. Sie glaubt, dass die sechs jungen Männer bzw. Jugendlichen das Opfer umringt und damit zumindest psychologisch Beihilfe zum Totschlag geleistet hätten. Die Augsburger Allgemeine berichtet von einer Frontkamera-Aufzeichnung eines Taxis, auf dem der Tathergang zu sehen sei und das der Redaktion vorliege. Dieses belege, so die Zeitung, „dass einige aus der siebenköpfigen Gruppe zu diesem Zeitpunkt mehrere Meter entfernt stehen und erst zurückkommen, als der 49-Jährige schon auf den Boden gestürzt ist.“
Die Freilassung von sechs von sieben Tatverdächtigen sei eine „Verhöhnung des Rechtsstaates“, ist nun im Internet zu lesen. Ganz anders dürften wohl die Kommentare von anderer Seite ausfallen: So hatte etwa der frühere Vorsitzende Richter am Bundesgerichtshof Thomas Fischer bereits kurz nach der Tat im Spiegel Kritik geäußert am Vorgehen der Augsburger Staatsanwaltschaft und deutlich gemacht, dass diese in seinen Augen wohl zu streng vorgehe. Die Richter in Augsburg neigen in ihrer Entscheidungsfindung in Sachen Haftbefehl wohl eher zu ihrem Kollegen Fischer als zu den strengen Anklägern.
Ein in den Fall involvierter Jurist in meiner Heimatstadt Augsburg sagte mir, die Sachlage sei sehr kompliziert – sowohl für die Entscheidung des Gerichts als auch die strengere Herangehensweise der Staatsanwaltschaft gebe es durchaus ernst zu nehmende Argumente. Erst das Urteil wird letztendlich Klarheit schaffen.
So zeigen die Nachricht von der Freilassung von sechs Verdächtigen und vor allem die Reaktionen darauf insbesondere eines: Wie stark das Vertrauen in den Rechtsstaat in Deutschland mittlerweile untergraben ist. Eben deshalb löst die Entscheidung der Richter von Augsburg Empörung aus – was sicher nicht der Fall wäre, wenn gesellschaftlicher Konsens darüber herrschen würde, dass unsere Justiz, wenn nötig, hart durchgreift.
Meine erster Gedanke, als ich von er Freilassung hörte, war eine kürzliche Entscheidung eines Gerichtes in Bielefeld. Das ließ im Falle von zwei Angeklagten, die mit dem Messer fünfzehnmal und tödlich auf ihr Opfer einstachen, nur eine Anklage wegen Körperverletzung mit Todesfolge zu – und nicht wegen Mordes, wie es die Staatsanwaltschaft gefordert hatte.
Die Liste solcher Beispiele, wo bei Gewalttaten zumindest für Laien schier unerträgliche Milde gezeigt wird (etwa hier, hier und hier), während andererseits Delikte ohne Gewalt oft mit aller Härte geahndet werden, wäre schier endlos. Hier sei nur an die 85-Jährige Rentnerin erinnert, die wegen Diebstahls von Sahnesteif und Haarklammern im Wert von 18 Euro im April zu einer Gefängnisstrafe verurteilt wurde. (Bericht hier). Ja, die Dame war keine Unschuldige, sondern eine Wiederholungstäterin, trotz des Fortgeschrittenen Alters. Aber umgekehrt ist auch in vielen Fällen, in denen die Gerichte bei Gewalttätern ungewöhnlich mild vorgehen, ein Vorstrafenregister vorhanden.
Es ist nicht von der Hand zu weisen: Der Rechtsstaat weicht zurück, wie auch Insider wie der Richter Thorsten Schleif beklagen: sieht die Justiz in Deutschland teilweise auf dem Rückzug. „Eine schwache Staatsgewalt, die sich zurückzieht, bildet eine Art rechtsfreien Raum“, klagte der Jurist, der als Vorsitzender des Schöffengerichts und als Jugendrichter am Amtsgericht Dinslaken arbeitet, im Gespräch mit dem Magazin Tichys Einblick. „Egal ob für Links- oder Rechtsextreme oder für gewaltbereite Ausländer: Toleranz kann sich nur der Stärkere erlauben. Diese Stärke haben wir momentan nicht. Wir haben den Rechtsstaat zurückweichen lassen.“
Schleif hält auch zu viel Rücksichtnahme auf Täter aus fremden Kulturkreisen für falsch. „Ein in Deutschland geschehenes Verbrechen muss nach hiesigen Maßstäben beurteilt werden. Ehrenmorde sind nicht akzeptabel“, klage er im Gespräch mit dem Magazin. Gleiches gelte für Clankriminalität. Doch die Justiz sei aktuell völlig überfordert. „Unser System funktioniert nur so lange, wie sich keine Herausforderungen stellen“, sagt der Jurist.
Es ist bitter, dass seine Worte in Politik und Medien kaum Widerhall finden. Solange sich daran nichts ändert, wird das Vertrauen in unseren Rechtsstaat weiter weg brechen. Und viele Gewalttäter können sich weiter durch sehr milde Urteile geradezu ermuntert fühlen.