Ja zum Kopftuch, nein zum Kreuz

Gastbeitrag von Professor Felix Dirsch, katholischer Theologe und Politikwissenschaftler.

Der Kampf um Identitäten im zunehmend multireligiösen Staat wird schärfer. Christliche Glaubenssymbole werden von der politmedialen Klasse, anders als islamische, durchwegs abgelehnt

Unlängst machte der CDU-Ortsverband Bochum auf Facebook von sich reden. Man beglückwünschte die Muslime zu der geplanten Grünen Moschee Ruhr. Sie sei „innovativ, umweltfreundlich und verbindend“. Natürlich fehlten gute Wünsche zum Fastenbrechen nicht. Vor lauter Freude über die (in dem Bau zum Ausdruck kommende) Vielfalt vergaß man ganz, den Träger im Hintergrund unter die Lupe zu nehmen: den Islamischen Kulturverein Bochum, in dem Salafisten aus- und eingehen. Natürlich sind entsprechende Kontakte auch dem Verfassungsschutz von Nordrhein-Westfalen bekannt.

Unabhängig von diesem Facebook Post überboten sich Politiker verschiedener Parteien in Grüßen zum Ramadan-Ende. Den Vogel abgeschossen hat dabei der SPD-Politiker Helge Lindh. In einer Videobotschaft wünschte er auf Arabisch ein „gesegnetes Zuckerfest zum Abschluss eines außergewöhnlichen Ramadan“. Ebenso brav apportierte Außenminister Heiko Maas. Dass er den Christen ein schönes Pfingstfest wünscht, wäre ihm wohl nicht eingefallen. Kann man von derartigen Staatsmännern eine „Verteidigung des Eigenen“ (Martin Lichtmesz) erwarten?

Die kulturelle Entleerung ist bei solchen Entscheidungsträgern unübersehbar. Ihnen geht es bei diversen Verlautbarungen weniger um die Inhalte der islamischen Religion, als um eine kaum kaschierte „Verachtung des Eigenen“ (Frank Lisson). Der niederländische Politiker Thierry Baudet veröffentlichte eine Schrift mit dem Titel „Oikophobie“, die solche Tendenzen scharfsinnig analysiert.

Nun spielen christliche Symbole jenseits des persönlichen Bekenntnisses in kulturgeschichtlichen Zusammenhängen eine Rolle. Die christliche Prägung unseres Gemeinwesens ist von der individuellen Konfession unabhängig. Bereits einige Zeit dauern die Auseinandersetzungen um das vor Kurzem aufgesetzte christliche Kreuz auf der Kuppel des rekonstruierten Berliner Stadtschlosses. Bei den Berliner Deutungseliten kam die historische Lösung natürlich nicht gut an, erst recht nicht die Inschrift darunter: „Es ist in keinem andern Heil, ist auch kein anderer Name den Menschen gegeben, denn in dem Namen Jesu, zur Ehre Gottes des Vaters. Daß in dem Namen Jesu sich beugen sollen aller derer Knie, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind.“ Den Schriftzug ließ König Friedrich Wilhelm IV. am Vorgängerbau anbringen.

Die Reaktionen der bekannten Meinungsmacher fallen eindeutig aus: Jens Bisky nannte die Wiedererrichtung des Kreuzes im „Süddeutschen Beobachter“ einen Missgriff. Sein Kollege Andreas Kilb kritisierte in der FAZ den angeblichen „absoluten christlichen Herrschaftsanspruch“, von dem auch er weiß, dass es ihn schon seit geraumer Zeit nicht mehr gibt.

Blicken wir kurz zurück auf die Auseinandersetzungen um das Kreuz seit 1949. Die Kirchenverfolgung des Nationalsozialismus und die anschließende kurze Renaissance des Glaubens in den 1950er Jahren, die auch in der Jurisprudenz Spuren hinterließ, wirkten einige Zeit nach. Doch schon 1973 entschied das Bundesverfassungsgericht, dass ein Kreuz im Gerichtssaal – Anlass war die Klage eines im Dritten Reich Geschädigten jüdischen Glaubens auf Wiedergutmachung – das Recht auf Religionsfreiheit beeinträchtige. Den Wunsch nach Abhängen des Kruzifixes im Gerichtssaal äußerten auch die Anwälte der türkischen Nebenkläger im NSU-Prozess.

Aufsehen erregte ein Karlsruher Kruzifix-Beschluss 1995. Geklagt hatte ein anthroposophisch orientiertes Elternpaar aus Bayern, das seinem Kind den „Zwang“ des Blickes auf den leblosen Körper eines Toten ersparen wollte. Das einschlägige Gesetz des bayerischen Erziehungs- und Unterrichtsgesetzes, das das Kreuz im Klassenzimmer verpflichtend anordnet, wurde für verfassungswidrig erklärt. Die bald darauf erfolgte Neufassung berücksichtigte Konfliktfälle, die der Schulleiter zu regeln hat, unterscheidet sich im Grundsatz aber von der früheren Verordnung nur wenig. Die kulturelle Prägung des Landes erfordere eine Anbringung von Kreuzen, so die Begründung des Gesetzgebers. 2018 evozierte das bayerische Kabinett heftige Reaktionen, als es die Präsenz von Kreuzen in Amtsstuben anordnete.

Längst spielen auch andere religiöse Symbole in religionspolitischen Konflikten eine Rolle. Vornehmlicher Aufreger in mehreren Gerichtsurteilen und in den anschließenden medialen Kontroversen ist das Kopftuch. Dessen Bedeutung im schulischen Bereich ist von der des Kreuzes zu differenzieren – nicht zuletzt deshalb, weil die Stellung dieses Symbols im Zusammenhang der islamischen Glaubenslehre eine andere ist als die des Kreuzes im christlichen.

Laizistische Bestimmungen, wie sie in Berlin vorherrschen, führen zunehmend dazu, dass religiöse Symbole aus dem öffentlichen Raum hinausgedrängt werden. Einer Neuköllner Lehrerin wurde folgerichtig das Tragen eines Kreuzes im Unterricht untersagt, selbst einen Fisch-Anhänger (als Ersatz) bewerteten die Vorgesetzten der Beamtin als Anspielung auf christliche Hintergründe.

Gleicher Ort, anderer Kampfplatz: Das von der SED 1950 gesprengte Berliner Schloss konnte mit Hilfe von 80 Millionen Euro Spendengeldern wiedererrichtet werden. Die Verantwortlichen entschlossen sich zur Variante der historischen Rekonstruktion, zu der auch das sichtbare Kreuz auf der Kuppel zählt. Genau das wollen die einflussreichen Erben der roten Diktatur jedoch verhindern. Der früher nur in engen Kreisen bekannte heutige Berliner Kultursenator und Politiker der Linken, Klaus Lederer, machte sich zum Sprecher der Gegner einer „Bekreuzigung“ des Gebäudes.

Multikulturalisierung und Pluralisierung bewirken eine Aufwertung herkunftskultureller Identitätssuche. Die Frage „Wer bin ich?“ erschließt sich zunehmend weniger durch einfachen Blick auf Abstammung und Umgebung. Identitätsverluste und -unsicherheiten führen immer öfter zu Krisen für den Einzelnen. Der Blick auf die unübersehbaren Identitäten der anderen Seite bewirkt eine Aufwertung des kollektiven Eigenen. Konkret sind diese dialektischen Prozesse nicht ohne die quantitativ deutliche Zunahme von Muslimen zu verstehen. Der Theologe und Blogger David Berger notierte: „Wo das Kreuz verdrängt wird, wird bald der Halbmond leuchten.“ Der Kunsthistoriker Horst Bredekamp spitzt in Anspielung auf den bekannten Titel von Michel Houellebecqs Roman zu: „Wenn ihr das Kreuz nicht baut, seid ihr ein leise knackendes Rädchen der Kulturmaschine namens Unterwerfung.“

Populistisch-identitäre Stimmen repräsentieren eine dritte Richtung in der Debatte um das Kreuz neben dem konfessionellen Christentum und dem Laizismus der politischen Linken sowie der Liberalen. Die neue Welle in Europa, von Putin über Orban und Pegida bis zu Le Pen, vertritt das christlich-abendländische Erbe höchstens in gebrochener Weise. In Dresden gelingt den dortigen „Patrioten“ eine Anknüpfung wegen ihrer säkularistischen Grundhaltung nicht, ebenso wenig der Vorsitzenden des Front National, Marine Le Pen, in Frankreich. Anders hingegen verhält es sich bei ihrer Nichte Marion Maréchal, die klar für das christliche Erbe eintritt. Sie engagiert sich gegen kostenlose Verhütungsmittel, Abtreibung und die „Ehe für alle“. Dennoch stellt sie wohl eher eine Ausnahme innerhalb des Front National dar. Bei führenden Politikern der polnischen PiS sowie bei Putin und Orban finden sich hingegen glaubwürdigere Bezüge zur christlichen Überlieferung.

Inwieweit sich Spielarten der heutigen Rechten diese Traditionen zu eigen machen, ist unklar. Das gilt auch für die Einstellung des Hauptstromes der „Identitären“, die über längere Zeiträume sehr präsent waren. Sie wenden sich gegen Multikulturalismus und propagieren sichere Grenzen. Kritisiert wird ihre Nähe zum Ethnopluralismus. Der Verfassungsschutz sieht Verbindungen zu rechtsextremen Gruppierungen. Im Rahmen einer Kreuz-Aktion in Erfurt-Marbach als Zeichen gegen Moscheebaupläne demonstrierten Identitäre für den Erhalt des Christentums als Widerlager gegen den Islam. Inwieweit derartige Bekenntnisse als Bejahung von Glaubensinhalten zu werten sind, bleibt offen. Zuvörderst geht es bei solchen Bekundungen um ethnische und nationale Loyalitäten, erst sekundär um religiöse. Lokales Aufsehen erregte die Segnung eines „Pegida“-Holzkreuzes durch den einer – so hört man – schismatischen katholischen Gruppierung in den USA angehörigen deutschen Priester auf dem Münchner Marienplatz. Die Amtskirchen distanzierten sich umgehend.

Christliche Glaubenssymbole kommen von zweierlei Seiten unter Druck: Moslemische Verbände unterstützen Klagen ihrer Anhänger, die den Islam stärker im öffentlichen Bereich verankern wollen. Der durch sämtliche Gerichtsinstanzen ausgetragene Kampf um die Zulässigkeit des Kopftuches in Schulen ist hierfür ein Beispiel. Einheimische Politiker propagieren hingegen den konsequenten Säkularismus im öffentlichen Bereich. Besonders tat sich vor einigen Jahren der SPD-Politiker Martin Schulz hervor. Die Verbannung religiöser Symbole betrifft primär das Christentum. In Berlin ist ein Urteil zugunsten einer „Kopftuch-Referendarin“ schon vor einiger Zeit rechtskräftig geworden. Damit wird dem strengen Laizismus ein Riegel vorgeschoben. Daraus Honig saugen werden eher die, die sich Allah unterwerfen als jene, die Christus anbeten. Duckmäuserei vor der liberalistischen „Diktatur des Relativismus“ (Papst em. Benedikt XVI.), die vorrangig unter der Dampfwalze der Gleichheit agiert, fordert auch hier ihren Tribut. Auf diese Weise wird ein Vakuum geschaffen, in das eine relativ „heiße Religion“ wie der Islam einströmen kann, der in einem noch relativ starkem Maß alltagsprägend wirkt.


Professor Felix Dirsch ist katholischer Theologe und Politikwissenschaftler. Er ist Autor diverser Publikationen, u.a. von „Nation, Europa, Christenheit“ und „Rechtes Christentum„. Dirsch kritisiert den Einfluss der 68er-Generation und der „politischen Korrektheit“.


Bild: Pixabay

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