TÄTER-OPFER-UMKEHR made in Germany:

In Reaktion auf Russlands Aggression gegen die Ukraine beschloss die Bundesregierung, das Zentrum für Osteuropa- und internationale Studien (ZOiS) zu gründen. Bislang agierte es trotz Millionen-Investitionen sang- und klanglos. Jetzt setzte das regierungsnahe Institut erstmals Akzente – nach der neuesten Aggression Moskaus gegen Kiew an der Meerenge von Kertsch kam von Instituts-Chefin Gwendolyn Sasse eine scharfe Verurteilung – des Opfers der Aggression. Unten die Stellungnahme. Das falsche Datum ist dabei noch der geringste Fehler. Man man Argumente für und gegen die Verhängung des Kriegsrechts durch die Ukraine geltend machen. Es ist auch legitim, dieses zu verurteilen. Aber nur das zu tun, auf das Schärfste, und mit keinem Wort Russlands Aggression auch nur zu erwähnen, ja mehr, noch, diese zu verharmlosen („militärischer Vorfall“) ist eine Vertauschung von Täter und Opfer. Unfassbar – besonders, wenn man die Entstehungsgeschichte des ZOiS berücksichtigt. Es sollte Russlands Propaganda entgegenwirken. Jetzt hilft es ihr.

 

 

Pressemitteilung 21.11.2018

Expertenstimme
Kriegsrecht in der Ukraine ab Mittwoch: “Nur” für 30 Tage? Was bedeutet das genau?
Die Tatsache, dass die in Poroschenkos Dekret vorgesehene Frist von 60 Tagen auf 30 Tage reduziert wurde, und die Beschränkung des Gebiets auf die an Russland und Transnistrien grenzenden Regionen erwecken den fälschlichen Eindruck, auf demokratischem Wege eine maßvolle Entscheidung bewirkt zu haben, meint Gwendolyn Sasse, Direktorin des ZOiS.

Die Verhängung des Kriegsrechts ist eine extreme politische Maßnahme, egal für welchen Zeitraum sie gilt. Und das jetzt definierte Gebiet umfasst immerhin 10 der 24 Regionen der Ukraine. Auch die Beteuerung des Präsidenten, dass das Kriegsrecht die bürgerlichen Rechte nicht beeinträchtigen werde, greift zu kurz.
Was sind die Folgen des Kriegsrechts?
Das Kriegsrecht hat vor allem Folgen für die ukrainische Gesellschaft und die Innenpolitik. Auch wenn nicht alle Elemente des 2015 gesetzlich verankerten Kriegsrechts umgesetzt werden, schafft es die Grundlage für eine mögliche Generalmobilmachung sowie die Kontrolle von Politik, Wirtschaft, Medien und des öffentlichen Raumes durch den Präsidenten und die Armee.
Auf die aktuelle in der Meerenge von Kertsch wird das Kriegsrecht nur bedingt Einfluss haben. Der Schritt bringt die Krim und den Krieg in der Ostukraine zurück auf die internationale Tagesordnung, wird aber nicht als Abschreckung gegenüber Russland wirken.
Warum kommt es gerade jetzt zu diesem Schritt?
Das Kriegsrecht ist bisher weder infolge der Annexion der Krim noch im Zusammenhang mit dem Krieg im Donbass eingesetzt worden. Der jetzige Schritt ist zum einen ein Signal an westliche Staaten und internationale Organisationen, die die sich zuspitzende Lage im Asowschen Meer bisher zu wenig beachtet haben. Zum anderen kann auch innenpolitisches und wahltaktisches Kalkül des ukrainischen Präsidenten nicht ausgeschlossen werden. Poroschenko versucht seit längerem, seiner schwindenden Popularität durch eine von Kriegsrhetorik durchzogene Kampagne entgegenzuwirken.
Welche Auswirkung hätte das Kriegsrecht auf die 2019 anstehenden Wahlen?
Die Verkürzung der Frist auf 30 Tage bewahrt die Möglichkeit, dass der Wahlkampf der für den 31.März 2019 geplanten Präsidentschaftswahlen wie vorgesehen zum Jahresende beginnen kann. Allerdings kann auch eine Verlängerung der Frist nicht ausgeschlossen werden.
Wie wird die Bevölkerung darauf reagieren?
Der militärische Vorfall in der Meerenge von Kertsch und die Verhängung des Kriegsrechts bringen die Krim und die Ostukraine zurück ins Bewusstsein der ukrainischen Bevölkerung insgesamt. Dennoch ist das Kriegsrecht für die meisten wahrscheinlich weit entfernt von ihrem Verständnis vom ukrainischen Staat. In den nächsten 30 Tagen mag die öffentliche Kritik beschränkt bleiben, doch die Stimmung zu Beginn des Wahlkampfes, wenn er denn plangemäß beginnt, wäre polarisiert und das Ergebnis noch offener als jetzt.

ZOiS-Expertin:

Prof. Dr. Gwendolyn Sasse ist wissenschaftliche Direktorin am Zentrum für Osteuropa- und internationale Studien (ZOiS). Sie ist Professor of Comparative Politics im Department of Politics and International Relations und in der School of Interdisciplinary Area Studies an der Universität Oxford.

 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert