Sehnsucht nach dem Süden wird den Deutschen ja schon seit Jahrhunderten nachgesagt. Und wer kennt sie persönlich nicht! In diesen Tagen erfährt diese Sehnsucht aber eine ganz neue Bedeutung. Wenn man sich ansieht, wie Staatsmänner in Österreich, Italien und Frankreich mit der Corona-Krise umgehen, und das dann vergleicht mit dem Agieren unserer Politiker in Berlin, ergreift einen eine ganz besondere Sehnsucht: Nach Politikern, die agieren, statt lavieren.
Allein schon vom Auftreten her könnte der Kontrast kaum größer sein: Ob Giuseppe Conte in Italien, Emmanuel Macron in Frankreich oder Sebastian Kurz in Österreich – sie traten staatsmännisch vor die Öffentlichkeit in ihren Ländern, sachlich, sehr ernst, Führungsstärke ausstrahlend. Sie kündigten entschiedene Maßnahmen an, und machten auf den Ernst der Lage unmissverständlich aufmerksam.
Ganz anders Angela Merkel. Nachdem sie zuerst sehr lange faktisch wegtauchte, traute man bei ihrem Auftritt am Mittwoch vor der Bundespressekonferenz seinen Augen und Ohren nicht (anzusehen hier): Statt mit Hinweis auf den Ernst der Lage wie etwa Kurz beginnt sie ihren Auftritt mit Eigenlob – wie viel die Regierung gemacht habe. Für die Wirtschaft. Emotionslos wie immer liest sie die meiste Zeit vom Blatt ab. Sie redet, redet, und redet – von Wirtschaft, von föderalem Aufbau, von Förderalismus, von lokalen Verantwortungsträgern, von Konferenzen. Immer wieder lobt sie die Arbeit der eigenen Regierung. Keine Spur von Empathie, die in so einer Situation so nötig wäre. Dienst nach Vorschrift.
Die Kanzlerin grinst, lächelt, ja scherzt sogar, vor dem vertrauten Kreis ihrer Hauptstadtkorrespondenten (siehe hier, hier, hier oder hier); während Macron und Conte direkt an die Menschen im Lande sprechen und Ernsthaftigkeit vermitteln, vermittelt die Kanzlerin vor allem eines: Arroganz, Überheblichkeit und Abgehobenheit von den Menschen.
Auf der Pressekonferenz hat man den Eindruck, Spahn, der noch vor kurzem vor einer „Ausgrenzung“ von Corina-Infizierten warnte und das Virus mit Grippe verglich, und Merkel fühlten sich als Sonderpädagogen, die Lernbehinderten – den Bürgern – einfachste Zusammenhänge erklären, sie vor Panik in Schutz nehmGrundregeln der Hygiene beibringen müssen.
Während in Berlin auf die eigene Brust geklopft, gescherzt, gelacht, schöngeredet und über Maßnahmen diskutiert und die Lage offenbar nicht allzu erst genommen wird, ist der Auftritt von Österreichs Kanzler Sebastian Kurz wie ein Kontrastprogramm – das genaue Gegenteil von Merkel. Kurz ist sehr ernst – ein Lachen oder Feixen könnte man sich gar nicht vorstellen, ohne Eigenlob, spricht Klartext und Tacheles – und ergreift bzw. verkündet konkrete Schritte (anzusehen hier, ab Zeitmarke 6:46). Statt zu beschwichtigen, macht Kurz das Gegenteil: Er erklärt noch einmal, warum das Virus so gefährlich ist: „Die Sterblichkeit ist um ein zehn bis dreißigfaches höher als die Grippe. Insofern sind wir gezwungen, all die Maßnahmen zu setzen, die wir vorbereitet haben“.
Kurz verkündet einen Einreise-Stopp für Personen aus Italien, die Heimholung aller Österreicher, Einschränkungen bei Veranstaltungen, den Abbruch von Lehrveranstaltungen. Der Christdemokrat zeigt Empathie, spricht die Gefühle der Zuschauer an, mit bewegenden Beispielen, die er in freier Rede vorträgt. Kein einziges Mal lobt Kurz sich bzw. die eigene Regierung. Was für ein Kontrast. Merkel wirbt verglichen mit ihm wie Sowjet-Führer Leonid Breschnew in der Spätphase neben Helmut Schmidt zu Zeiten der Hamburger Sturmflut, als er sich mit beherztem Krisenmanagement einen Namen machte.
Als am Abend aus Italien die Eilmeldung kommt, dass alle Geschäfte – bis auf Lebensmittelläden und Apotheken – in dem Land wegen Corona geschlossen bleiben, ist gleichzeitig in der Neuen Zürcher Zeitung die Überschrift zu lesen, dass Merkel „auf eine Politik der ruhigen Hand setzt“.
Was für eine Symbolik!
Merkel tut – genauso wie in den Tagen und Wochen zuvor – genau das, was man bei einer Pandemie, bei der jeder Tag zählt, nicht tun sollte. Schon heute hinkt Deutschland – im Verhältnis zum Ausmaß der Verbreitung – den Maßnahmen weit hinterher, die Italien ergriffen hat – und die trotzdem nicht in der Lage waren, das Land vor katastrophalen Zuständen zu retten. Nicht auszudenken, wie hoch der Preis sein könnte, den die Menschen in Deutschland für die Politik des Aussitzens, die Verantwortungs- und Entscheidungs- und Realitäts-Allergie bezahlen müssen.
+++ AKTUALISIERUNG +++
Ich bin ungern Cassandra und hoffe inständig, dass ich mich irre mit meinen Sorgen – aber nach Veröffentlichung dieses Beitrags bin ich auf folgende Information in der „WELT“ gestoßen – „Berlins Amtsärzte zu Coronavirus: Abwarten kann Menschenleben kosten„:“Berlins Amtsärzte machen Druck auf die Politik: In einem offenen Brief fordern sie den Senat der Hauptstadt zum „radikalen Handeln“ auf. Alle Veranstaltungen mit Publikum müssten abgesagt, auch Clubs geschlossen werden. „Wir müssen jetzt radikal handeln, sonst überrollt uns das Geschehen“, sagt Patrick Larscheid, der Amtsarzt von Berlin-Reinickendorf
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