Ein Gastbeitrag von Josef Kraus, Bildungs- und Bundeswehrexperte
Der „grüne“ Co-Vorsitzende Robert Habeck versucht, unbedingt auch ein Trittbrett des „Corona“-Zuges zu erklimmen. Dabei gibt er sich vor allem pädagogisch, während die andere grüne Co-Vorsitzende Baerbock mit naturwissenschaftlichem und ökonomischem „Wissen“ glänzt: Für Annalena gibt es zum Beispiel keinen Unterschied von Kobold/Kobalt, das Netz ist für sie der Stromspeicher und Deutschland ist die angeblich größte Wirtschaftsnation der Welt.
Nun will Robert Habeck Jugendlichen ab 16 Jahren die Teilnahme an der nächsten Bundestagswahl ermöglichen. Als Kinderbuchautor kann er hier ja mitreden, nachdem es beim Mitdiskutieren um die Pendlerpauschale nicht so recht klappen wollte.
Und dann erst die umwerfende Begründung des Habeck-Vorstoßes: Mit einem Wahlalter 16 soll die „politische Reife“ und das „vorbildliche Veralten“ der jungen Leute in der Coronakrise gewürdigt werden. Wegen der Pandemie hätten Schüler wochenlang zu Hause bleiben müssen, es sei „über ihre Köpfe hinweg und teils gegen ihre Interessen gehandelt“ worden. Welche Interessen Habeck meint, bleibt mehr als im Ungefähren. Dass sie am Freitag nicht die Schule schwänzen konnten, weil sie einfach ausfiel? Habeck wärmte damit einen Vorschlag auf, den er schon im Zusammenhang mit den Schulstreik der Friday-for-Future-Bewegung gemacht hatte.
Klar doch, wenn die Grünen von der Habeck-Beinahe-Kanzlerschaft auf 15 Prozent abstürzen, weil die Grünen zum „Corona“-Virus bzw. dessen Eindämmung nichts beizutragen haben, dann muss man irgendwie an der Prozentschraube drehen.
Bleiben wir dennoch kurz beim Habeck-Vorstoß: Begann im deutschen Kaiserreich die Wahlmündigkeit mit 25, in der Weimarer Republik mit 20, in der Bundesrepublik bis zum Jahr 1971 mit 21 Jahren, so ist sie seitdem – wie fast überall in der Welt – auf die Vollendung des 18. Lebensjahres festgesetzt. Bestimmte Politiker und Jugendforscher freilich meinen gar, dass Kinder schon mit zwölf oder 14 Jahren wahlmündig seien. Da hinkt Habeck aber gewaltig hinterher.
Aber: Während die tatsächliche Jugendphase immer mehr verlängert wird und junge Menschen immer später selbstständig werden, während im Jugendstrafrecht immer mehr Nachsicht wegen «Unreife» geübt wird, glaubt man, mit Jungwählern im Kindes- und Jugendalter auf Stimmenfang gehen zu können. Dahinter steckt ein Populismus, der als Jugendfreundlichkeit verkauft wird. Wer allerdings den Wahlakt infantilisiert, der degradiert ihn zum Kinderspiel.
„Wann gibt es den ersten Kinderpapst?“, habe ich in meinem Bestseller von 2013 mit dem Titel „Helikopterelter“ gefragt. Heute ist die Frage beantwortet. Seit Ende 2018 gibt es eine 16jährige, psychiatrisch auffällige Kinderpäpstin namens Greta, um deren Zuneigung nicht wenige europäische Parlamente und Staatenlenker buhlen, die CO²-Moleküle „sehen“ kann, die neuestens Corona-Expertin ist und der mittlerweile Chancen eingeräumt werden, den Friedensnobelpreis zu erhalten.
Alle dies sind Beispiele von Egalisierung und Infantilisierung. Kein Geringerer als Norbert Elias weist in seinem Aufsatz «Zivilisierung der Eltern» von 1980 darauf hin, dass ein maßgebliches Zivilisationsproblem der schwindende Erfahrungs- und Machtunterschied zwischen Eltern und Kindern, zwischen Alt- und Jung sei.
Ja, es ist dies ein echtes Zivilisationsproblem in diesen westlich-saturierten Gesellschaften geworden. „Wenn ihr nicht umkehrt und werdet wie die Kinder, werdet ihr nicht in das Himmelreich hineinkommen. Wer sich so klein macht wie dieses Kind, der ist im Himmelreich der Größte.“ Diese biblische Empfehlung (Matthäus 18,7) ist gründlich missverstanden worden und damit ein Grund, warum uns andere Kulturkreise östlicher Prägung sehr bald hinter sich lassen werden.
Also stecken wir den Habeck-Vorstoß schleunigst dorthin, wo er hingehört: In die Archivakte „Beispiele für plump-populistische Anbiederung an Heranwachsende“.
Josef Kraus (*1949), Oberstudiendirektor a.D., Dipl.-Psychologe, 1987 bis 2017 ehrenamtlicher Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, 1991 bis 2013 Mitglied im Beirat für Fragen der Inneren Führung beim Bundesminister der Verteidigung; Träger des Bundesverdienstkreuzes am Bande (2009), Träger des Deutschen Sprachpreises 2018; Buchautor, Publizist; Buchtitel u.a. „Helikoptereltern“ (2013, auf der Spiegel-Bestsellerliste), „Wie man eine Bildungsnation an die Wand fährt“ (2017), „Sternstunden deutscher Sprache“ (2018; herausgegeben zusammen mit Walter Krämer), „50 Jahre Umerziehung – Die 68 und ihre Hinterlassenschaften“ (2018), „Nicht einmal bedingt abwehrbereit – Die Bundeswehr zwischen Elitetruppe und Reformruine“ (2019, zusammen mit Richard Drexl)