Ein Gastbeitrag von Dr. Manfred Schwarz
Bisher wagen es die Nahost-Korrespondenten nur hinter vorgehaltener Hand zu sagen, was jüngst der anerkannte Orient-Journalist Martin Gehlen in einem ganz neuen Artikel vorsichtig beschreibt: Der heimliche Herrscher des Hafens von Beirut ist die islamistische Terror-Organisation Hisbollah, die als Todfeind Israels gilt.
Nach den fürchterlichen Explosionen von Beirut laufen die Untersuchungen auf Hochtouren, insbesondere Geheimdienste aus den USA, Israel und Frankreich versuchen mit aller Kraft, an belastbare Informationen zu kommen. Was die Massenmedien zumeist noch schamhaftverschweigen, beschreibt die Morgenpost aus Berlin mit den Worten: So oder so – die „radikalislamische Hisbollah dürfte eine gewichtige Rolle spielen“.
Die furchtbare Explosionen in Beirut sind jedenfalls einzigartig: In 30 Sekunden verwandelte ein orangeroter Mammut-Pilz von 2.750 Tonnen Ammoniumnitrat große Teile Beiruts in ein Trümmerfeld, es gibt über 130 Tote und mehr als 5.000 Verletzte. 300.000 Bewohner verloren ihr Obdach. Natürlich stellen sich weltweit die Menschen angesichts dieser Katastrophe die Frage: Wer ist verantwortlich für diese „Beiruter Jahrhundertkatastrophe“ (Hamburger Abendblatt)?
Warum wollte niemand über lange Zeit die tödliche Gefahr entschärfen?
Zum einen geht es jetzt um die Frage, warum eine monumentale Menge Ammoniumnitrat über sechs Jahre im Hafen lagerte – und warum „niemand einen Finger rührte, diese tödliche Gefahr zu entschärfen“ (Martin Gehlen). Zum anderen gilt es zu klären, was wirklich in der nun weltweit bekannten Halle 12 am Beiruter Hafen geschah – warum dort ein Feuer ausgebrochen ist und ob dort noch anderes Explosivmaterial gelagert war, das die apokalyptische Katastrophe auslöste.
Was bisher zumeist nur israelische Medien zu schreiben wagen, ist die Tatsache: „Heimlicher Herrscher an den Kais ist die Hisbollah“ (Abendblatt). Die Importeure von den Beiruter Kais, die in der Regel unter der Kontrolle von islamischen Clans stehen, haben lange Zeit hohe Schmiergelder an staatliche Bedienstete gezahlt. So haben die beteiligten Kaufleute aus dem Orient riesige Summen Geldes verdient. Denn der Hafen ist seit langem anscheinend die lukrativste Einnahmequelle des Libanon.
Martin Gehlen berichtet: „Der Chef der Zollbehörde, Badri Daher, reklamierte (…) für sich in einem Fernsehinterview, zwischen 2014 und 2017 in sechs Briefen an die Justiz vor den Gefahren gewarnt und einen Export des Ammoniumnitrats, eine Übergabe an die Armee oder einen Verkauf an die private Lebanese Explosives Company vorgeschlagen zu haben, ohne dass je eine Reaktion erfolgte“. Anscheinend hat niemand in den anderen (Regierungs-)Behörden, die zu großen Teilen von der Hisbollah kontrolliert werden, auf diese Forderungen reagiert. Nicht reagieren wollen.
Erst nach den weltweit einzigartigen Explosionen vor einer Woche werden nun die für Beirut bestimmten Schiffe umgeleitet: in den wesentlich kleineren Hafen von Tripoli. Nach Informationen der Beiruter Tageszeitung L’Orient–Le Jour hat dort unmittelbar nach dem Beiruter Unglück auch in Tripoli ein erbitterter Streit zwischen verschiedenen libanesischen Clans darüber begonnen, wie künftig die vielfältigen Schmiergelder von wem an welche Personen verteilt werden sollten. Der libanesischen Zeitung zufolge stehen ebenfalls diese Großfamilien unter Kontrolle der Hisbollah.
Libanesische Regierung will keine internationale Untersuchung
Wegen der landesweit allgegenwärtigen Korruption und weil ganz verschiedene politischen Parteien und Gruppen erbittert darüber streiten, wie das Land regiert werden soll, bezweifeln viele Libanesen, dass jemals die ganze Wahrheit über Halle 12 ans Tageslicht kommt. Schon jetzt behauptet der Generaldirektor des Hafens von Beirut, Hassan Koraytem, er habe keine Ahnung, was das erste Feuer ausgelöst haben könnte. Der Hafendirektor weiß auch gleich hinzuzufügen, es sei jetzt nicht der richtige Zeitpunkt, nach Schuldigen zu suchen. Denn, so sagt Koraytem: „Wir leben in einer nationalen Katastrophe.“
Libanons Innenminister Mohammed Fahmi hat auch verdächtig schnell erklärt, man brauche bei den Ermittlungen keine Unterstützung internationaler Experten. Das nährt für Nahost-Experten den Verdacht, „dass sich in Halle 12 möglicherweise auch ein Waffenlager der Hisbollah befand, in dem die verheerende Apokalypse ihren Ausgang nahm“ (Abendblatt).
Sogar die US-amerikanische Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch, die sonst islamischen Organisationen nicht besonders kritisch gegenübersteht, fordert mittlerweile „eine internationale Beteiligung sowohl an den Ermittlungen zu den Explosionsursachen als auch zur Verteilung der Soforthilfen an die Bevölkerung“ (Domradio). Angesichts des „vielfachen Versagens der Verantwortlichen“ und der „schweren Versäumnisse der Regierung“ sowie des grundsätzlichen „öffentlichen Misstrauens in staatliche Stellen“ seien internationale Ermittlungen vonnöten. Das sei „die beste Garantie, dass die Opfer der Explosion die Gerechtigkeit bekommen, die sie verdienen“.
Die internationale Organisation hat ernste Zweifel an der Fähigkeit der libanesischen Justiz, eine glaubwürdige und transparente Untersuchung durchzuführen. Dieser Zweifel wird dadurch unterstrichen, dass bereits lange vor den Explosionen libanesische Richter einige Male von leitenden Zollbeamten aufgefordert wurden, gerichtlich gegen die gefährliche Lagerung des Ammoniumnitrats vorzugehen. Warum die Justiz nicht tätig geworden ist? Keiner weiß es genau. Doch viele Beobachter tippen darauf, dass die Richter mit viel Geld bestochen worden sind – mit dem Ziel, dass nichts gegen das supergefährliche Tun im Hafen unternommen werde.
Als nach den Explosionen die Feuerwehrteams zum Ort des furchtbaren Geschehens eilten, hatten sie offenbar keinerlei Informationen darüber, was an den Kais alles an hoch explosionsfähigem Material lagerte. „Keiner der Verantwortlichen hielt es offenbar für nötig, die Einsatzkräfte auf das hochgefährliche Ammoniumnitrat am Brandort hinzuweisen, sodass die Männer direkt in ihren Tod liefen“ (Abendblatt). Dies macht die chaotische Weise deutlich, wie das Land Libanon regiert und verwaltet wird.
Libanon und Israel: Die teuflische Rolle der islamistischen Hisbollah
Der Libanon war einst das einzige mehrheitlich christliche Land in der arabischen Welt. Es war wohlhabend, westlich orientiert, man sprach von der “Schweiz des Orients”. Doch dann gewährte man Millionen von arabischen Flüchtlingen, die sich meist Palästinenser nannten, großzügig Zuflucht im Libanon. Diese Flüchtlinge blieben dauerhaft, und auch die hohen Geburtenraten der Muslime drängten die Christen vielfach in die Bedeutungslosigkeit. „Heute sind die Christen in der Minderheit, das Land ist im Würgegriff der Hisbollah“.
Tatsache ist – das unterstrich vor kurzem auch wieder die Tageszeitung Die Welt –, dass die stärkste Kraft im Libanon die vom Iran unterstützte Hisbollah und ihre politischen Verbündeten sind. Ohne diese islamistischen Kräfte ist im Libanon keine Politik zu machen. In einem „Staat im Staate“ kontrolliert die Partei Hisbollah weitgehend das Regierungssystem, wesentlich gestützt durch den militärischen Arm der Partei: die Miliz. Deswegen hegen nicht nur israelische Geheimdienstexperten den dringenden Verdacht, dass die gigantischen Mengen von Ammoniumnitrat von der Hisbollah im Beiruter Hafen gelagert worden sind. Diese Experten gehen davon aus, dass dieses Ammoniumnitrat vor allem bei Anschlägen gegen israelische Einrichtungen eingesetzt werden sollte.
Ähnliche Sprengstoff-Depots werden von der Hisbollah auch im Gaza-Streifen gern in solchen Gebäuden deponiert, in denen sich überwiegend Zivilisten aufhalten. Wenn islamistische Untergrundkräfte mit Raketen oder auch mit Selbstmordattentätern israelische Dörfer oder Städte angreifen, rechnen sie in der Regel mit Vergeltungsschlägen der israelischen Armee.
Doch die Luftwaffe oder die Artillerie Israels scheut sich grundsätzlich, zum Beispiel solche Unterkünfte oder Lager anzugreifen, in denen sie ebenfalls viele zivile Personen vermuten. Eine teuflische Strategie und Taktik der schiitischen Hisbollah-Milizen: Sie selbst greifen mit Bomben und Raketen rücksichtslos auch und besonders viel zivile Objekte in Israel oder Westjordanland an – und verstecken sich anschließend gern zum Beispiel in Schulen oder Kindergärtenauf dem Terrain des Libanon.
Eine ähnliche „Kriegs“taktik verfolgt übrigens die sunnitisch-islamistische „palästinensische“ Terrororganisation Hamas, die ihre Angriffe auf Israel meist im Gazastreifen starten, dort befinden sich anschließend auch ihre Verstecke – bevorzugt in Häusern, die zu Zivilisten gehören.
Diese Art einer asymmetrischen Kriegsführung des Hisbollah-Militärs, die früher Partisanenkrieg genannt wurde, stellt die Regierung Israels immer wieder vor große Probleme. Die Medien weltweit, die mehrheitlich zumindest unterschwellig stark islamfreundlich eingestellt sind, haben meist große Mühe, die Verteidigungspolitik des territorial kleinen Israels zu verstehen: Die Regierung muss immer wieder unter Beweis stellen, dass sie – im Rahmen einer massiven Abschreckungsstrategie – gewillt und in der Lage ist, jedem Aggressor nicht nur Einhalt zu gebieten, jede Regierung ist letztlich auch bestrebt, jeden gefährlichen Angreifer wirksam zu bestrafen.
Nur so glaubt das demokratische regierte Land Israel – das von vielen feindlich gesonnenen, islamisch-diktatorisch regierten, Ländern umgeben ist, die Israel auf den Atlanten dieser Erde ausradieren wollen – auf Dauer im Nahen Osten überleben zu können.
Dr. Manfred Schwarz (Politologe): Zivillehrer an der Hamburger Landespolizeischule, dann etliche Jahre Berufsschullehrer und Dozent in der staatlichen Lehrerfortbildung (Bereich: Politik); jeweils acht Jahre Medienreferent in der Hamburger Senatsverwaltung und (nebenamtlich) Vizepräsident des nationalen Radsportverbandes BDR (verantwortlich für die bundesweite Medienarbeit / Herausgeber einer Internet-Radsportzeitung). CDU-Mitglied, sechs Jahre Mitglied des Hamburger CDU-Landesvorstands. Heute Autor für verschiedene Internetportale mit den Schwerpunkt-Themen Politik und Medien.
Bild: Սեւան Դանիէլեան Մկրեան/Wikicommons/CC BY-SA 4.0