Asyl – die große Geldverteilungs-Maschine Ein Insider packt aus, Teil 2

Ein ehemaliger Mitarbeiter (m/w) einer Asylbehörde in einer deutschen Kommune packt aus: „Das ganze System ist krank“, sagt er. Lesen Sie hier Teil zwei seiner unglaublichen, haarsträubenden Erfahrungen aus der Behördenpraxis und seine Schlussfolgerungen, was sich ändern müsste (und warum es sich eben bislang nicht ändert) exklusiv auf meiner Seite (wenn Sie Teil 1 verpasst haben, finden Sie ihn hier):

Folgeantrag: Sommer in der Heimat, Winter in Deutschland

Das Gesetz erlaubt nach einer Rücknahme oder einer Ablehnung eines früheren Asylantrags einen erneuten Asylantrag zu stellen, einen sogenannten Folgeantrag. Denn es kann ja sein, dass es im Heimatland wieder Krieg ausbricht oder eine andere Regierung an die Macht kommt und bestimmte Personenkreise aus politischen, ethnischen oder religiösen Gründen verfolgen wird. Ein plausibler Grund für einen Folgeantrag. Doch auch dieses Recht wird missbraucht – am häufigsten von Asylbewerber aus Serbien (wo Sinti und Roma nach wie vor diskriminiert werden).

In Wirklichkeit beantragen viele Asylbewerber aus Serbien so häufig Asyl, dass sie einem schon wie alte Bekannte vorkommen, die auch selbst „ihre zuständigen Mitarbeiter“ wieder erkennen und freundlich begrüßen. Jeden Herbst gibt es eine große Welle an Folgeanträgen. Dies hat häufig damit zu tun, dass Asylbewerber keine warme Unterkunft in ihrer Heimat haben und die kalten Monate gern in Deutschland verbringen wollen. Die warmen Monate verbringen sie in der Regel auf den Feldern ihrer Heimat als Erntehelfer.

Da solche Asylbeweber schon einige Male zuvor Folgeanträge gestellt haben, wissen sie ganz genau, was sie zu tun haben und kommen häufig in die Behörde bereits mit einem Ausweisdokument aus der Ausländerbehörde. Dieses Dokument hat je nach Anzahl der früheren Asylverfahren unterschiedliche Gültigkeitsdauer, manchmal sogar eine sehr kurze. Ein Antrag auf Sozialhilfe stellen diese Asylbewerber trotzdem. Sie bekommen – solange sie nicht zurückreisen oder nicht einfach untertauchen – bezahlte Unterkunft und Bargeld für Essen und sonstigen Bedarf. Und je nach persönlicher Lage – auch einmalige Beihilfen, zum Beispiel Geld für Winterbekleidung oder für Schwangerschaftsbekleidung. Läuft das Ausweisdokument aus, so zeigen sie ärztliche Atteste über eine Reiseunfähigkeit vor und das Dokument wird verlängert oder sie beantragen eine sogenannte freiwillige Rückkehr – um eine Abschiebung zu vermeiden (dazu später mehr). Das Ausweisdokument wird auch in diesem Fall verlängert und der Asylbewerber bekommt Sozialhilfe solange er sich in Deutschland befindet.

Und wieder kennen alle Beteiligten die tatsächlichen Gründe, aus welchen Folgeanträge am häufigsten gestellt werden. Nur fragt keiner, was falsch am System sein soll, dass es solche Schlupflöcher zulässt. Als ich damals gefragt habe, ob bestimmte Personenkreise, die offensichtlich das Recht auf Folgeanträge ausnutzen, nicht verschärft überprüft werden sollten, wurde ich fast der Diskriminierung beschuldigt: Vor dem Gesetz seien alle gleich, hat mir meine Vorgesetzte damals gesagt. Die Folge: Serbische Staatsbürger beantragen Asyl, um Sozialhilfe in Deutschland zu erhalten, um zu überwintern und um mit angespartem Geld in der Heimat die warmen Monate zu verbringen. Ich weiß es, weil die serbischen Asylbewerber das nicht verheimlichen und auch selbst darüber erzählen.

Freiwillige Rückkehr: Wenn es schon sein muss, dann finanziert vom Staat.

Wenn das Asylverfahren eines Asylbewerbers mit einer endgültigen Ablehnung endet, so ist er nach dem Gesetz verpflichtet, Deutschland zu verlassen. Um eine Abschiebung zu vermeiden, bietet der Staat die Möglichkeit an, sich am Programm der freiwilligen Rückkehr der Internationalen Organisation für Migration (IOM) zu beteiligen.

Da es selbstverständlich ist, dass der Asylbewerber kein Geld hat, um seine Rückreise zu bezahlen, übernimmt der Staat bzw. die IOM die Kosten. Der Asylbewerber muss dabei schriftlich bestätigen, dass er nie wieder nach Deutschland kommt und wenn er dies doch tut und wieder ausreisen möchte, dann bitte nur auf seine eigenen Kosten. Der Staat bzw. die IOM übernehmen alles: Organisation der Rückreisereise, Vorbereitung der Ausreisepapiere und sonstiger Dokumente, Flugtickets, pauschale Barauszahlungen für andere Verkehrsmittel, um den Heimatort zu erreichen, Bargeldbeträge – in der Regel mehrere Hundert Euro – für die erste Zeit im Heimatland. Die Problematik des Programms besteht darin, dass viele der so ausgereisten Asylbewerber wieder nach Deutschland kommen, zum Beispiel, um einen Folgeantrag zu stellen. Und wenn sie das Land verlassen müssen oder wollen, dann wenden sie sich wieder an den Staat, weil sie kein Geld für ihre Rückreise haben oder angeben, keins zu haben. Da es keine gesetzliche Grundlage mehr gibt für den Aufenthalt „abgelehnter“ Asylbewerber in Deutschland und eine Abschiebung sehr umfangreich und teuer sein kann, oder wenn es Abschiebungshindernisse gibt, werden sie wieder ins Programm der freiwilligen Rückkehr aufgenommen.

Kleine Lücken, große Folgen

Hier fasse ich noch ein paar Beobachtungen zusammen, die im System allgemein bekannt sind. Dies sind dubiose Auffälligkeiten oder Fehler, mit den sich aber kein Mitarbeiter der Auszahl-Maschinerie beschäftigen möchte – aus permanenter Überforderung, falscher Zuständigkeit oder einfach fehlenden Kenntnissen. Auffälligkeiten werden unauffällig, Fehler werden vertuscht.

Reisepass verloren oder von Schleppern weggenommen

Viele Asylbewerber beantragen Asyl unter einem falschen Namen, unter sogenanntem Alias-Namen. Sie geben zudem an, dass ihr Ausweisdokument, zum Beispiel, ihr Reisepass, verloren gegangen sei oder von Schleppern weggenommen wurde. Warum? Es gibt viele Gründe. Zum Beispiel, aus Angst der politischen Verfolgung. Oder auch deshalb, weil man den tatsächlichen Herkunftsort nicht verraten möchte, weil dies Einfluss auf den Verlauf des Asylverfahrens haben kann. Gibt ein Asylbeweber beispielsweise an, aus Tschetschenien gekommen zu sein statt aus dem Gebiet Murmansk (ein Gebiet in Russland, ca. 1000 km nördlich von St. Petersburg), so hat er mehr Chancen auf ein erfolgreiches Asylverfahren. Man muss kein studierter Politikwissenschaftler sein, um zu begreifen, dass eine politische Verfolgung in Tschetschenien viel wahrscheinlicher ist, als in Gebiet Murmansk.

Weitere Gründe für einen Alias Name sind beispielsweise Vertuschungen, dass man einen Asylantrag schon mal in Deutschland oder in einem anderen europäischen Land gestellt hat. Selbst wenn dies spätestens bei der Überprüfung der Fingerabdrücke auffällt, so ist es zwar ein Grund, um ein Asylverfahren mit einer Ablehnung abzuschließen, aber keiner – um keine Sozialhilfe mehr zu bekommen. Solange die Ausländerbehörde irgendein gültiges Ausweisdokument ausstellt, nach dem Anspruch auf eine Sozialhilfe besteht, wird sie auch bezahlt.

Eine interessante Wendung nimmt die Geschichte mit dem Alias Namen dann, wenn Asylbewerber Deutschland über das Programm der freiwilligen Rückkehr verlassen möchten. In fast 100% aller Fälle findet sich das Ausweisdokument dann auf einmal wieder. Denn wer möchte schon nach Tschetschenien zurückkehren, wenn seine tatsächliche Heimat Gebiet Murmansk ist? Die Logik ist nachvollziehbar. Auch das wissen alle Mitarbeiter, nur keiner beschäftigt sich mit der Problematik der falschen Angaben in der Sozialbehörde. Der Asylbewerber reist sowieso bald aus.

Sozialhilfe wird trotz Ausreise weiter bezahlt

Einer der gravierendsten, zugegebenermaßen auch relativ seltener, Fehler der Auszahl-Maschinerie ist, wenn Sozialleistungen an Asylbewerber weiter ausgezahlt werden, obwohl sie selbst nicht mehr in Deutschland sind, oder nicht mehr in der Zuständigkeit der Behörde. Stellen Sie sich vor: Ein Asylbewerber kehrt nach einem abgelehnten Asylantrag freiwillig in sein Heimatland zurück. Aus irgendeinem Grund – meist ist es die Überforderung der Mitarbeiter wegen eines enormen Arbeitspensums – stellt der zuständige Mitarbeiter das automatisierte Verfahren nicht ein und Sozialhilfe wird weiterhin auf das Konto des Asylbewerbers überwiesen. Monatelang. Macht der Asylbewerber davon Gebrauch, wenn er Kenntnis davon bekommt? Das weiß keiner, fragt keiner, überprüft keiner. Wenn solche Fehler auffallen, wird das automatische Verfahren eingestellt und der Fall geschlossen. In meiner Zeit in der Behörde gab es zwei solche Fälle. Einmal wurde das Geld länger als ein Jahr über das Ausreisedatum des Asylbewerbers hinaus überwiesen. Bei dem zweiten Fall wurde sogar die Miete mehrere Monate lang an den Vermieter überwiesen, obwohl der Asylbewerber das Land verlassen hatte.

Warum sieht die Realität anders aus, als wir es aus den Medien kennen?

Diese Frage habe ich mir lange gestellt. Obwohl das Asylsystem nicht das einzige in Deutschland ist, das nach außen hin viel besser aussieht, als in seinem Inneren, ist diese Frage dennoch sehr schwierig zu beantworten. Wie viele andere, ist das Asylsystem ein starkes politisches Instrument, das dafür benutzt wird, um die Meinungsbildung in der Gesellschaft zu beeinflussen. Es wirft zudem eine Palette aus sensiblen, heiklen und schmerzhaften Fragestellungen auf, die in der heutigen deutschen Gesellschaft nicht (mehr) aus kritischer Perspektive betrachtet werden können.

Ob Politiker, die behaupten, dass Deutschland unbegrenzt Flüchtlinge aufnehmen kann und muss, oder dass Flüchtlinge den Fachkräftemangel in Deutschland decken können, darüber Bescheid wissen, dass massiver Personalmangel in den Flüchtlingsbehörden teils durch Statistiken vertuscht wird, in denen dauerhaft kranke Mitarbeiter mit auf die Liste der aktiven kommen, und frisch eingestellte Quereinsteiger als Fachkräfte in so einem komplexen Bereich ausgegeben werden und das System deshalb aus allen Nähten platzt? Ob sie wissen, dass der in den Medien so hoch gelobter Willkommens-Geist bei den Mitarbeitern des Systems nicht vorhanden ist? Weil sie dem kranken System gnadenlos ausgeliefert sind und auch deshalb, weil sie von den Massenprügeleien in Flüchtlingsheimen, Ausnutzung von Sozialhilfen, massiver Frauendiskriminierung in bestimmten Kulturkreisen und der fast flächendeckend fehlenden Motivation, sich in der Deutschen Gesellschaft zu integrieren, wissen?

Und selbst wenn sie davon wissen, sind diese Erkenntnisse für die Entscheidungsträger relevant?

Denn es darf auch nicht unterschätzt werden, dass Missstände im Asylsystem durchaus vorteilhaft sein können: Hohe Asylbewerberzahlen und verzögerte Asylverfahren sind für Wohnheim-Betreiber, Notare, Rechtsanwälte, Krankenkassen, Pflegeheime, Sprachschulen und Einzelhändler lukrativ und verbessern insgesamt die Konjunktur.

Dies sind nun meine allgemeinen Beobachtungen, die ich mit meiner Erzählung ans Licht bringen möchte. Nach vielen Jahren Schweigens sehe ich mich gerade jetzt, in Zeiten der Corona-Pandemie und den damit verbundenen gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Folgen, sogar in der Pflicht, nicht mehr zu schweigen. Es ist jedem Leser selbst überlassen, wie er all das beurteilen mag.

In den letzten Jahren hat es sicherlich die eine oder die andere Veränderung gegeben, beispielsweise das damals vernachlässigte Dublin-Verfahren, nach dem das erste Einreiseland für das Asylverfahren verantwortlich ist, das heute aktiv angewendet wird. Aber meine ehemaligen Kollegen klagen nach wie vor über die gleichen Missstände wie damals, und die Krise von 2015 hat die Defizite des Systems noch mehr verschärft. Eine Tatsache bleibt deshalb, dass es sich beim deutschen Asylsystem um einen Tumor mit vielen Metastasen handelt, der – wenn überhaupt – dann nur mit großem Willen, Mühe und Aufwand geheilt oder entfernt werden kann. Dafür müssen aber Politiker und Akteure der Exekutive die gravierenden Mängel als solche anerkennen und eigene Defizite zugeben, ja eine Reform durchführen, statt der Gesellschaft über die Medien ein Trugbild vermitteln, dass so niemals existiert hat – aber ihren politischen Zielen entgegenkommt.

Hier finden Sie Teil eins dieser Geschichte.

Anmerkung von Boris Reitschuster: Die Identität des Autors (m/w) sowie seine Angaben bezüglich der Tätigkeit in der Behörde sind überprüft und bestätigt. Zum Eigenschutz möchte er anonym bleiben.


Bild: Freepik

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