Brief von Gunter WeißgerberRedner der Leipziger Montagsdemonstrationen 1989/90Mitglied der freigewählten Volkskammer 1990Mitglied des Deutschen Bundestages 1990-2009
An
Herrn Markus Lanz – persönlich – 18.12.2019
Flüchtlinge – Zuwanderer – Shuttleservice
Sehr geehrter Herr Lanz,
mit Interesse sah ich gestern ihre Sendung mit Dr. Maaßen.
Im Moment scheinen Sie der einzige Talkshow-Akteur der ÖR-Medien zu sein, der sich mit praktischen Beiträgen dem enorm zunehmenden Lückenpressevorwurf entgegenzustellen versucht. Das verdient Anerkennung.
Auch Sie haben Familie und müssen Berufsethos und Existenzsicherung im Einklang halten. Ich kenne das aus der DDR. Dort konnte man mit dem Versuch der Meinungsfreiheit im Zuchthaus enden, in der Bundesrepublik gibt es diese Gefahr am Punkt Meinungsfreiheit nicht. Deshalb wollte ich 1989/90 unbedingt mit der DDR der Bundesrepublik beitreten. Damit diese Gefahr für immer gebannt bleibt.
Eine andere, für die Demokratie sehr gefährliche Entwicklung, gibt es dennoch zu konstatieren. Kritisch öffentlich äußern können sich nur existenziell unabhängige Menschen in dieser Republik. Auch Sie Herr Lanz müssen sehr auf die (selbstgesteckten) Grenzen des Korridors achten. Das wissen Sie ganz genau.
Bspw. konnten Sie sich gestern Abend Dr. Maaßens sowohl logische als auch rechtsstaatliche Sicht auf die Zuwanderer, die einen Flüchtlingstatus beantragen, nicht zu eigen machen. Sie wären im Augenblick aus dem Nest gefallen und als Rechter auf die Exkommunikationsschiene gesetzt worden. Kein Zuchthaus, kein Berufsverbot, aber Liebesentzug und Existenzgefährdung. Machen Sie sich bitte nichts vor.
Nach bundesdeutschem Recht ist Flüchtling, der als solcher anerkannt wird und nicht der/die es von sich behauptet. Soweit bitte ich Sie zu folgen. Was wird mit dem empathievollem Wort „Flüchtlinge“ suggeriert? Sie wissen es und streiten „Framing“ ab? Das lasse ich ihnen nicht durchgehen. Soweit ich das sehe, lässt ihnen und ihren Kollegen eine zunehmende Bevölkerungsmenge das nicht mehr durchgehen.
Zum Thema ÖR möchte ich ihnen meinen Standpunkt ebenfalls nicht verheimlichen. Ich bin für den Grundversorgungsauftrag öffentlich-rechtlicher Medien. Dieser Auftrag bedeutete noch vor wenigen Jahren objektive Berichterstattung. Ich will nicht wissen, was der Journalist von der Sache hält, ich will über die Sache informiert werden. Denken kann ich selbst. Genau an dem Punkt verlieren die GEZ-Medien derzeit die Bevölkerung.
Wissen Sie, in der DDR gab es eine gemeinsame Erfahrung aller, vom Bautzen-Häftling bis zum IM: Was Propaganda und Steuerung waren. Deshalb sind es vor allem Ostdeutsche, die inzwischen mit Widerwillen den Fernseher einschalten.
Auch Sie Herr Lanz, berieseln uns täglich und das 24 Stunden mit ihren politischen Ansichten und wollen uns läutern. Mit Verlaub, das haben die Kommunisten nicht geschafft, das schaffen auch Sie nicht.
Herzliche Grüße
Gunter Weißgerber
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Bilder: Screenshots ZDF, Bundesarchiv, Bild 183-1990-0328-303 / Schöps, Elke / CC-BY-SA 3.0