Bauchklatscher bei Merkel-Show Kanzler-Einkauf oder The show must go on

Für wie blöd halten uns eigentliche manche Journalisten und die Kanzlerin? Ich bin ja wirklich hart gesotten, was Propaganda angeht nach 16 Jahren Russland – umso überraschender, dass es mir nun hierzulande immer wieder die Sprache verschlägt. Jüngstes Beispiel: Ein Bericht und ein Video bei „Bild“ und vielen anderen Medien über Merkel, die Heiligen-Bildbändchen bzw. Ikonen gleichen und wie man sie wohl eher im Nordkoreanischen Fernsehen erwarten würde – über Kim Jong-un. Die Regierungschefin, so die Botschaft, geht ganz normal einkaufen – und zufällig ist auch jemand von der „Bild“ dabei, der das filmt. Oder – so wohl die Legende – ein zufällig anwesender Kunde, der die Kanzlerin ausgerechnet so filmt, dass von den zahlreichen Sicherheitsleuten, die sie in nächster Nähe auf Schritt und Tritt begleiten, niemand zu sehen ist auf den Aufnahmen (nur später, draußen auf der Straße). Zufälle gibt es – die gibt es gar nicht. Sehr merkwürdig auch, dass Merkel von keinem anderen Kunden angesprochen wird, oder zumindest erkannt und angeschaut. Das wirkt sehr unrealistisch. Insbesondere, wenn man das Merkel-Video vergleicht mit einer zumindest etwas authentischer wirkenden Aufnahme von einem Einkauf des niederländischen Ministerpräsidenten (anzusehen hier)

Der Text zum Video: „Sie erlebt die Corona-Krise wie Millionen andere Deutsche.“ Was für ein Unsinn – und für eine Beleidigung der Intelligenz jedes normalen Zuschauers, der auch nur ein bisschen mitdenkt. Natürlich erlebt sie die Krise nicht wie Otto Normalverbraucher. Das wäre ja auch Irrsinn! Weiter heißt es: „Als Supermarktkundin geht Angela Merkel von Regal zu Regal, schaut, ob die Ware, die sie sucht, noch vorhanden ist. Gestern Nachmittag war die Kanzlerin beim Wocheneinkauf in dem Supermarkt Hit Ulrich. Erst ging es an die Gemüseregale, dann in die Feinkostabteilung“. Und weiter: „Den Einkaufswagen füllte sie selbst.“ Wirklich? Wie berichtenswert! Hätte ja auch sein können, dass andere Kunden ihn befüllen. Und weiter: „Am Ende legte sie alles selbst aufs Band!“ Unglaublich! „Und zahlte mit Karte!“ Tatsächlich? Wer hätte das auch nur ahnen können!

Groß berichtete auch RTL über den Einkauf der Kanzlerin. Schlagzeilen: „Gleicher Hosenanzug wie bei TV-Ansprache“ und „Merkel trägt ihre Einkaufstüten immer selbst“. Zitat aus dem Text: „Auch beim Einkaufen lässt sich die mächtigste Frau Deutschlands nichts aus der Hand nehmen…..Es macht Mut zu sehen, dass die Kanzlerin selbst in Zeiten einer Pandemie wie jeder andere Bürger auch in den Supermarkt geht.“ Wie bitte? Wie dramatisch muss die Lage und die Not sein, dass zu solch plumper Propaganda gegriffen wird, die an Durchhalteparolen aus finsteren Zeiten erinnert?

Auch viele andere Medien berichteten über den Einkauf, etwa das Leitmedium dpa, das die meisten deutschen Redaktionen beliefert – entsprechend viral – wenn man das in diesem Zusammenhang heute noch sagen darf – verbreitete sich die Nachricht – als handle es sich um ein wichtiges Ereignis:

Als ich einer russischen Freundin den Link zu dem Video sandte, meinten die, das erinnere sie an die Legendenbildung über Lenin in der Sowjetunion: „Da hieß es auch, er sei der menschlichste aller Menschen.“ Die zweite Reaktion: „Zwei Rollen Klopapier? Wo gibt es denn so was? Und wer würde heute nur zwei Rollen kaufen, wenn es welches gibt? Offensichtlicher kann eine Inszenierung doch nicht sein…“ Und die dritte Reaktion: „Schau mal auf die Weinflaschen, zwei davon sind leergetrunken, wie peinlich!“

Nun, sicher handelt es sich um eine spezielle Weinmarke, deren Flaschen von außen so aussehen, als seien sie bereits geöffnet – das muss zur Ehrenrettung der Kanzlerin und von Bild gesagt werden (und hat sich auf erstaunliche Weise bestätigt, siehe PS unten). Weniger peinlich macht das die Propaganda-Inszenierung im Supermarkt aber nicht.

Auf auf das Verhältnis Essen-Alkohol beim „Wochenendeinkauf“ der Kanzlerin wollen wir aus Gründen der Höflichkeit nicht eingehen. Dafür auf etwas anderes: Als wichtigste Verantwortliche im Land dürfte Merkel sich in einer Krise wie dieser nicht dem Risiko aussetzen, selbst einkaufen zu gehen – wo sie doch zur Risikogruppe gehört in ihrem Alter, selbst zu sozialer Isolierung mahnt, und wohl bei jedem Lieferservice schnell eine Lieferung bekäme oder ihre Wachleute losschicken könnte. Missachtet sie die eigenen Ratschläge? Oder wurde der Supermarkt vorher einfach mal schnell von normalen Kunden „gesäubert“?

Besonders pikant wird die Inszenierung, wenn man sich folgenden Tweet vom früheren Bild-Chefredakteur Kai Diekmann auf twitter ansieht:

Damit gibt der Ex-Bild-Chef, der Merkels Kurs auch in der so genannten Flüchtlingskrise bedingungslos unterstützte (auch auf Kosten der eigenen Auflage), zwar indirekt, aber sehr offen zu, dass auch in der Corona-Krise die Medien darauf verzichten, alles zu schreiben, was sie wissen. Wenn sie das so offen zugeben, sollten sich die Kollege nicht wundern, dass das Vertrauen in die Medien derart sinkt und ihnen vorgeworfen wird, eine „Lückenpresse“ zu sein. Und schlimmer noch: Selbst wenn es gerechtfertigt sein sollte, aus Verantwortung heraus gewisse Dinge nicht zu schreiben, etwa um eine Panik zu vermeiden – so tumbe, dumme Propaganda wie mit Merkels Einkauf ist durch nichts zu rechtfertigen. Und ich bin überzeugt: So dumm sind die Menschen nicht, der Schuss geht nach hinten los.

P.S.: Es dauerte nur rund zehn Minuten nach Veröffentlichung dieses Artikels, bis ein Nutzer auf facebook die Flaschen genau identifizieren und nachweisen konnte, dass sie nicht ausgetrunken waren, sondern in dieser ungewöhnlichen Form verkauft werden (was ich auch in der ersten Variante dieses Berichtes so schon nahegelegt hatte). Beeindruckend, diese Schnelligkeit und Zielgenauigkeit, wo nur wenige Buchstaben vom Etikett der Flaschen zu sehen sind auf dem Bild und meine Versuche, sie zu identifizieren, vergeblich waren. Vielleicht kauft der aufmerksame Leser ja im gleichen Laden ein wie Merkel, und den gleichen Wein. Übrigens kommentiert(e) auch Merkels Ex-Sprecher Georg Streiter bei mir auf der facebook-Seite eifrig mit, zuweilen sind seine Kommentare mit Textauszügen in Windeseile da. Weil es inzwischen aber unter die Gürtellinie geht, habe ich ihn heute blockiert. Diskutieren – gerne, Pöbeln und Beleidigen – nicht auf meiner Seite. Auch nicht Merkels Ex-Sprecher.


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Guten Tag aus Berlin,

in dem es im Moment im Zeichen von Corona drunter und drüber geht. Ich denke, Ihnen wird es ähnlich ergehen wie mir, dass Sie die aktuelle Situation aufwühlt. Sie stellt einen persönlich vor Herausforderungen – und auch beruflich.

Persönlich, weil die Angst zum Begleiter wird. Ich war mehrmals in Tschernobyl, auch im Unglücksreaktor selbst, ich war in der Geisterstadt Pripjat am Kraftwerk, und ich kenne dieses Gefühl, einer unsichtbaren Gefahr ausgesetzt zu sein. Und von vielen Gesprächen mit Leuten, die 1986 in der Sowjetunion lebten, kenne ich auch deren Erfahrung, schlecht informiert und schlecht geschützt zu sein. Es liegt mir fern, Tschernobyl und die Corona-Krise gleich zu setzen. Aber ich denke, die politischen Folgen des Virus könnten massiv sein. Etwa, wenn die bisherigen Fehler der Regierung in den nächsten Tagen, wenn die Inkubationszeit abläuft, verheerende Folgen haben sollten – Gott bewahre uns – oder wenn sie weiter so chaotisch agiert. Mein Freund, Prof. Maćkóv, Politologe an der Universität Regensburg, hat dazu einen sehr guten Kurzkommentar geschrieben.

Was die berufliche Herausforderung angeht, ist diese eine mehrfache: Zum einen reicht die Zeit nicht, um alle Informationen zu verarbeiten und dann daraus Beiträge zu machen. Zum anderen ist es eine große Verantwortung, auf dem schmalen Grat zwischen kritischem Blick und Hinterfragen einerseits und dem Verbreitung von Gerüchten oder gar Fördern von Panik andererseits auf der richtigen Spur zu bleiben. Aber der kritische Blick ist unerlässlich.

Dazu schrieb Moritz Michelson auf twitter: „Etablierte deutsche Medien verharmlosten das Coronavirus. Sie lachten über Warnungen, Ältere, Geschwächte. Statt Kritik an der deutschen Abwarte-Politik—nur Trump-Bashing. Daher sind @TichysEinblick , @Achgut_com , @reitschuster so wichtig.“

So sehr ich mich über diese Erwähnung freute – so traurig und beunruhigend ist die Diagnose. Es ist bitter, dass viele Menschen hierzulande gar nicht (mehr) verstehen, dass Medien eine Kontroll-Funktion haben, und wie extrem wichtig die in Krisen ist, weil sie derart an die Bauchpinsel- und Weichspül-Funktion etablierter Medien gewöhnt sind, dass sie diese schon für die Norm halten – und Kritiker für (neudeutsch) „Nazis“. Meine tiefste Überzeugung ist: In Krisensituationen ist die Kontrollfunktion von Journalisten wichtiger denn je. Ohne viele kritische Berichte, inzwischen auch in den sozialen Medien, wäre die Regierung wohl noch langsamer auf Trab gekommen – etwa bei den Schulschließungen.

Konkret warf mir ein Leser vor, nachdem ich recherchiert hatte, dass die Sperrungen von Bars und Clubs in Berlin nur auf dem Papier bestehen – obwohl Medien und Polizei Erfolgsmeldungen verbreiteten: „Während einer Pandemie finde ich solche Berichte unpassend. Wir benötigen Informationen und Solidarität, keine Agitation!“ Was ab dem Hinweisen auf Versagen der Behörden „Agitation“ sein soll, und wie man Journalismus mit Solidariät gleichsetzen kann, ist mir ein Rätsel. Es würde doch auch niemand von einem Staatsanwalt Solidarität mit Verdächtigen fordern. Ohne kritische Berichte würden die Behörden ja gar nicht auf Fehler aufmerksam und würden im konkreten Fall etwa den eigenen, falschen Polizeiberichten glauben.

Auch der Vertrauensverlust in die öffentlich-rechtlichen Medien, ohnehin schon sehr groß, wird in Folge der Corona-Krise massiv zunehmen, da sie stark beschwichtigten und verharmlosten. Auch hier könnte es gewisse Parallelen mit Tschernobyl geben, das auch das letzte Restvertrauen der Sowjetbürger in ihre Medien verschwinden ließ. Die Beispiele für das Versagen der öffentlich-rechtlichen gibt es zu Hauf, auch auf reitschuster.de. Hier deshalb nur zwei: Klaus Kleber im Heute-Journal, der noch einen Tag, bevor die Regierungen Grenzschließungen anordnete, in einem Interview mit einem Forscher genau die Antworten herauskitzelte, die rechtfertigten, warum die Regierung bis dahin die Grenzen nicht geschlossen hatte. So agieren Regierungssprecher, und nicht Journalisten. Bei Kleber endete die Bauchpinselei mit einem Bauchplatscher.

Besonders geschmacklos war ein Satire-Video der Öffentlich-rechtlichen, in dem es hieß, das Corona-Virus sei gerecht, weil es die Alten gefährde, und die hätten das verdient, weil sie die Erde zugrunde gerichtet hätten. Ich fand das Video ausgerechnet am 86. Geburtstag meines Vaters, der sein ganzes Leben hart gearbeitet hat, nie Einwegbecher benutzte und auch nur selten ein Flugzeug betrat. Jetzt muss er von seiner hart verdienten Rente Rundfunkgebühr bezahlen, mit der solche Videos finanziert werden, die ihn quasi als lebensunwert hinstellen. Ich schäme mich für die Kollegen vor meinem Vater (hier der Artikel darüber).
www.reitschuster.de/post/menschenverachtung
ARD-Front-Frau Anja Reschke schrieb auf twitter: „Wir müssen der Politik Zeit geben, zu entscheiden. Politische Jornalisten sollten nicht so Druck machen und mehr wie Wissenschaftsjournalisten arbeiten. Mit mehr Ruhe und Hintergrund berichten, empfiehlt (der Virenexperte) Drosten.“

Systeme, in denen politische Journalisten „nicht so Druck machen“ sind keine Demokratien. Es ist mehr als bezeichnend, dass eine Vorzeige-Journalistin von den Öffentlich-rechtlichen nach der Gebührenerhöhung um fünf Prozent solche Forderungen verbreitet.

Die Kontrollfunktion der Presse ist umso wichtiger, wenn die politische Opposition dieser Aufgabe nicht gerecht wird bzw. nicht gerecht werden kann: Die einen Parteien, weil sie auf Schmusekurs sind mit der Regierung, eine andere Partei, weil die Medien ihre Kritik einfach weitgehend verschweigen.

So makaber es klingen mag: So schlimm Corona auch ist – das Virus könnte neben dem unendlichen menschlichen Leid, das es anrichten wird, auch dafür sorgen, dass die ideologisch, linksgrünen Elfenbeintürme in Politik und Medien zusammen brechen und wieder mehr Menschen dort zur Vernunft kommen. Wenn über die Grundversorgung mit Lebensmittel nachgedacht werden muss statt über Unisex-Toiletten, richtiges Gendern und mehr sexuelle Vielfalt bei der Bundeswehr, hat das etwas Erdendes.

Doch bis dahin müssen wir uns auf einiges gefasst machen. Ich beobachte jetzt schon, wie die Kommentare von vielen aus dem links-grünen Milieu bei meinen Beiträgen viel aggressiver werden als noch vor kurzem. Da jetzt auch diejenigen, die lange alles verdrängten, instinktiv spüren, wie groß die Gefahr und wie schlecht das Krisenmanagement ist, müssten sie sich eingestehen, geirrt bzw. auf die Falschen gesetzt zu haben. Es ist aber menschlich, dass man sich das sehr ungerne eingesteht, und stattdessen lieber die Überbringer schlechter Nachrichten angreift. Genau das erlebe ich im Moment massiv. Auch von Kollegen. Offenbar ist es für viele besonders bitter, dass Kritiker wie ich leider doch nicht so unrecht hatten, wie sie immer glaubten. Insofern werden die Angriffe wohl noch zunehmen.

Umso dankbarer bin ich für Ihre Unterstützung, und umso wertvoller ist diese für mich. reitschuster.de ist inzwischen zu einem richtigen Medium geworden, dazu kommt noch Twitter, wo ich inzwischen 25.600 Abonnenten habe, und Facebook, mit fast 23.000. Damit erreiche ich mehr Menschen als manche Zeitung.

Ich bin froh und stolz, dass ich bescheiden ein klein wenig dazu beitragen kann, der Mitte in diesem Land wieder eine Stimme zu verleihen, den Lautsprechern Zwischentöne entgegen zu setzen, vermeintliche Wahrheiten zu hinterfragen und das zu tun, was die Errungenschaft der Aufklärung ist und massiv in Gefahr geraten ist hierzulande: Alles anzuzweifeln.

Das große Resonanz und Reichweite führt aber auch zu Attacken. Wenn Sie mithelfen wollen, diese, wie etwa die Klage von ARD-Chef-Faktenfinder Gensing gegen mich abzuwenden, freue ich mich über jeden noch so kleinen Beitrag (Paypal- und Bankkordinaten siehe unten). Auch für das Weiterempfehlen, Weiterleiten oder Posten dieses Wochenbriefings bin ich sehr dankbar.

Ich werde mich nicht unterkriegen lassen.

Genau das wünsche ich auch Ihnen, aber vor allem: Gesundheit in diesen schwierigen Zeiten. Lassen Sie sich nicht anstecken – in jeder Hinsicht.

Herzlich
Ihr
Boris Reitschuster

Bild: Screenshot Bild.de. Screenhshot RTL.de

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