Ein Gastbeitrag von Josef Kraus
Am 9. Juli haben Bundesinnenminister Seehofer und Verfassungsschutzpräsident Haldenwang – endlich – den Verfassungsschutzbericht 2019 veröffentlicht. Vorgesehen war dies bereits für den 23. Juni. Da Seehofer in dieser Zeit wohl wegen diverser Schnellschüsse (Anzeige gegen die taz, Studie über Rassismus in der Polizei) Anrufe aus dem Kanzleramt bekommen hatte, ist nicht auszuschließen, dass Merkel in den Bericht hineinfummeln und deshalb die Verschiebung wollte.
Wie dem auch sei: Dem braven Publikum dürfte schon vor der Veröffentlichung klar gewesen sein, was Seehofer und Haldenwang vom Stapel lassen und wie sie eifrig von den Mainstreammedien orchestriert werden. Vorher schon war nämlich angesagt: Die größte Gefahr gehe vom Rechtsextremismus aus. Wer am 9. Juli die öffentlich-rechtliche Glotze anmachte, hatte denn auch sofort sein Déjà-vu-Erlebnis. Fast ausschließlich war die Rede davon, dass die Zahl der Rechtsextremisten von 24.100 auf 32.080 um 33 Prozent zugenommen habe. Dass diese Zunahme mit einem statistischen Trick zu tun hatte, weil man nämlich den „Der Flügel“ sowie die „Junge Alternative für Deutschland“ (JA) zu Beobachtungsobjekten (Verdachtsfällen) mit rund 7.000 Personen erhoben hatte, kam nicht zur Sprache.
Auch folgendes kam kaum nicht zur Sprache:
- Es gibt 28.000 Islamistische Extremisten.
- Es gibt 32.500 Rechtsextremisten.
- Es gibt 33.500 Linksextremisten.
- Die Zahl der rechtsextremistisch motivierten Gewalttaten ist im Vergleich zu 2018 um knapp 15 % zurückgegangen (2019: 925, 2018: 1.088).
- Die linksextremistischen Gewalttaten sind um 8,8 % gesunken (2019: 921, 2018: 1.010).
Interessant sind außer den auffällig „runden“ Zahlen auch die auch die verbalen Schwerpunktsetzung des 52 Seiten langen Berichts: Der Begriff „islamisch/islamistisch“ kam 36mal vor, der Begriff „linksextrem“ 38mal und der Begriff „rechtsextrem“ 71mal. Für die Medien war allein dies eine Steilvorlage. Eine weitere Steilvorlage liefert Riesenstaatsmann Heiko Maas, der „wegen Auschwitz in die Politik gegangen“ ist. Er twitterte:
„Laut #Verfassungsschutzbericht leben unter uns 32.080 Rechtsextreme, 13.000 davon gewaltbereit. Das sind 32.080 zu viel. #Rechtsextremismus darf keinen Platz haben, nirgendwo. Am #DonnerstagderDemokratie danke ich allen, die sich gegen Rechts einsetzen. Wir alle sind gefragt!“
Anmerkung: Die 33.500 Linksextremisten, davon 9.200 gewaltbereit, waren dem Herrn Bundesaußenminister wohl zu wenig. Er hätte wohl gerne mehr gehabt. Immerhin hat er sich bei ihnen nicht dafür bedankt, dass sie sich gegen Rechts einsetzen.
Auch der islamistische Extremismus wird im Verfassungsschutzbericht eher nur kasuistisch behandelt. Wörtlich: „Auch im Jahr 2019 kam es zu einer Vielzahl islamistisch motivierter antisemitischer Vorfälle. Das Spektrum der Ereignisse reicht dabei von antisemitischen Reden und Predigten über judenfeindliche Postings in sozialen Medien bis hin zu verbalen oder körperlichen Attacken gegen einzelne jüdische Personen. Antisemitismus stellt eine ideologische Klammer aller islamistischen Strömungen dar. Die überwiegende Mehrheit der in Deutschland aktiven islamistischen Organisationen pflegt antisemitisches Gedankengut und verbreitet es auf unterschiedlichsten Wegen.“ Zahlen? Keine!
Aber gehen wir vor allem der medialen Berichterstattung und der wissenschaftlichen Beschäftigung mit Extremismus auf den Grund. Hochinteressant und spannend ist, was dazu Prof. Dr. Klaus Schroeder und Monika Deutz-Schroeder, die sich beide vormals selbst zum linken Milieu rechneten, in einem jüngst veröffentlichten Buch schreiben. Das bei Herder 2019 erschienene Buch hat den Titel: „Der Kampf ist nicht zu Ende – Geschichte und Aktualität linker Gewalt“. Auf den Seiten 8 – 19 finden wir dazu unter dem Kapitel „Der asymmetrische Blick auf Extremismus“ folgende Daten:
- „Schriften und Studien zum Rechtsextremismus und zu rechter Gewalt gibt es in kaum überschaubarem Ausmaß, entsprechende Forschungen über linke Gewalt hingegen sind sehr begrenzt.“
- 2018 fand sich bei Google-Treffern ein Verhältnis der Trefferzahl Rechtsextremismus (ca. 9 Millionen) versus Linksextremismus (ca. 653.000) von 15:1.
- Bei ARD fanden sich 2018 insgesamt 53 Treffer über Linksextremismus, 444 über Rechtsextremismus.
- Im „Karlsruher Virtuellen“ Katalog mit seinen neun Verbundkatalogen öffentlicher Bibliotheken gab es 15.000 Suchergebnisse für Rechtsextremismus und 640 für Linksextremismus.
- In der Bibliothek der „Freien Universität“ Berlin hat man im Katalog über 1000mal Treffer zu Rechtsextremismus, 36 zu Linksextremismus (Faktor: 28)
Interessant auch, wie laut Ehepaar Schroeder „Rechte“ und Linke“ semantisch konnotiert werden: Bei Linken sind es „Rangeleien“ und „Zusammenstöße“, bei Rechten sind es „Hetzjagden“. Linke „skandieren Parolen“, Rechte „brüllen und grölen“. Rechte „marschieren“, Linke „demonstrieren“. Rechte „werfen Böller“, bei Linken „flogen Steine“ (flogen – von selbst).
Orwells „1984“ 2.0! Wie sagte dort der im „MiniWahr“ (Ministerium für Wahrheit) arbeitende Sprachwissenschaftler Syme zur Hauptfigur des Romans, zu Winston Smith: „Es ist lediglich eine Frage der Wirklichkeitskontrolle. … Die Revolution ist vollzogen, wenn die Sprache geschaffen ist … Es wird überhaupt kein Denken mehr geben … Strenggläubigkeit bedeutet: nicht mehr denken – nicht mehr zu denken brauchen. Strenggläubigkeit ist Unkenntnis.“
Fazit der hypertoleranten „laissez-faire“-Volkspädagogen: Die Linken sind die Guten, sie wollen eine bessere Welt. Das rechtfertigt alles. Aber der Antitotalitäre Grundkonsens ist längst zu Grabe getragen in dieser unserer linken Haltungs- und Gesinnungsrepublik.
Josef Kraus (*1949), Oberstudiendirektor a.D., Dipl.-Psychologe, 1987 bis 2017 ehrenamtlicher Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, 1991 bis 2013 Mitglied im Beirat für Fragen der Inneren Führung beim Bundesminister der Verteidigung; Träger des Bundesverdienstkreuzes am Bande (2009), Träger des Deutschen Sprachpreises 2018; Buchautor, Publizist; Buchtitel u.a. „Helikoptereltern“ (2013, auf der Spiegel-Bestsellerliste), „Wie man eine Bildungsnation an die Wand fährt“ (2017), „Sternstunden deutscher Sprache“ (2018; herausgegeben zusammen mit Walter Krämer), „50 Jahre Umerziehung – Die 68 und ihre Hinterlassenschaften“ (2018), „Nicht einmal bedingt abwehrbereit – Die Bundeswehr zwischen Elitetruppe und Reformruine“ (2019, zusammen mit Richard Drexl)
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