Der US-Präsident ist geradezu ein Prügelknabe, ebenso wie die Regierungen in Polen und Ungarn, an den christlichen Kirchen und vor allem ihren Priestern darf sich jeder abreagieren, ebenso an der CSU und der FDP, gar nicht zu reden von einer anderen Partei. Kritik an den Grünen oder der Kanzlerin dagegen macht einen zumindest in bestimmten Kreisen schon verdächtig. Noch viel schlimmer ist ein anderes (Meinungs-)Delikt: Kritik am öffentlich-rechtlichen Rundfunk, insbesondere am WDR.
Es ist keiner der üblichen Verdächtigen, der das jetzt diagnostizierte, sondern der Ministerpräsident des größten Bundeslandes, seines Zeichens durchaus angegrünter Christdemokrat und jeglicher rechter Umtriebe unverdächtig: Armin Laschet. „Es kann nicht sein, dass Sie in Deutschland alles kritisieren dürfen, vom Papst abwärts – nur nicht die Beiträge des Westdeutschen Rundfunks“, sagte der Landesvater jetzt in Reaktion auf „Oma-Gate“, wie die Affäre um den „Umweltsau“-Song im WDR inzwischen genannt wird.
Laschet verweist auf die „überdurchschnittlichen Gehälter“, die jüngste Gutachten im Zuge der Beitragsdebatte den öffentlich-rechtlichen Sendern bescheinigen: „Alles ist staatlich garantiert, egal, ob es jemand schaut oder nicht: Der Sender sendet.“ Die gesamte Medienlandschaft stehe unter wirtschaftlichem Druck, so Laschet laut „Welt“, während die Öffentlich-Rechtlichen keinen Erfolgsdruck hätten.
Lascht wagt sich damit auf dünnes Eis. Denn fast jede Kritik am öffentlich-rechtlichen Fernsehen wird heute schnell als »rechts« gebrandmarkt. So wurden etwa die Proteste gegen den WDR nach „Omagate“ sofort als „rechtsextrem“ gebrandmarkt. Die linke „taz“ etwa titelte: „Proteste wegen „Umweltsau“-Video – Rechtsextreme gegen WDR“. Wie das Amen in der Kirche gilt es vielen als unumstößlich, dass der Rundfunkbeitrag für eine Demokratie unverzichtbar sei. Dass er aber erst unter Angela Merkel 2013 zur allgemeinen Pflicht wurde, auch für die diejenigen, die gar keinen Fernseher besitzen, wird dabei gerne unter den Teppich gekehrt.
Wie kam es so weit, dass Kritik an der Gebührenfinanzierung derart tabuisiert wurde? Zum Verständnis der tieferen Ursachen hilft ein Blick in das 1985 in Deutschland erschienene Buch „Wir amüsieren uns zu Tode. Urteilsbildung im Zeitalter der Unterhaltungsindustrie“ des US-Amerikaners Neil Postman. Schon als Jugendlichen hatte es mich damals elektrisiert. Postman warnte vor einer Verwandlung des Fernsehens in „Infotainement“, in dem „totales Entertainement“ an die Stelle von sachlichem Informieren treten werde, mit Zerstreuung als oberstem Ziel.
Postmans Warnungen schienen mir damals etwas überzogen. Heute wirken sie wie eine Beschreibung des Ist-Zustandes. Eine von den zentralen Aussagen Postmans war, das Fernsehen werde zunehmend nicht nur bestimmen, „was wir kennenlernen und erleben, welche Erfahrungen wir sammeln, wie wir Wissen ausbilden, sondern auch, was und wie wir denken, was und wie wir empfinden.“ Und weiter: „An die Stelle der Erkenntnis- und Wahrnehmungsanstrengung tritt das Zerstreuungsgeschäft. Die Folge davon ist ein rapider Verfall der menschlichen Urteilskraft.“
Am schädlichsten, so Postman, sei das Fernsehen nicht im reinen Unterhaltungs-Segment, sondern dort, „wo es sich ernsthafte Diskursmodi – Nachrichten, Politik, Wissenschaft, Bildung, Wirtschaft, Religion – einverleibt und sie zu Unterhaltungsstrategien bündelt.“ Das klingt wie eine Beschreibung der öffentlich-rechtlichen Strategie, zumindest in Teilen.
Postman schrieb, durch diese Entwicklung entstehe ein Diskurs-Typ, „der Logik, Vernunft, Folgerichtigkeit und Widerspruchslosigkeit“ preisgeben wird. Durch den Siegeszug des Internets und der sozialen Netzwerke wurde diese Entwicklung offenbar noch massiv gefördert. Wer bei facebook oder twitter aktiv ist, weiß, wovon ich rede.
Eine der weiteren zentralen Thesen Postmans war, dass nicht so sehr die Vorhersage von Orwell aus seinem Werk „1984“ – dass Bücher verboten würden – zu fürchten sei, als die Vorhersage von Huxley aus seinem Buch „Schöne neue Welt“, dass man Bücher gar nicht mehr verbieten müsse, weil sie ohnehin kaum noch jemand lesen würden. Postman: „Orwell fürchtete jene, die uns Infomationen vorenthalten. Huxley fürchtete jene, die uns mit Informationen so sehr überhäufen, dass wir uns vor ihnen nur in Passivität und Selbstbespiegelung retten können.“
Hier muss allerdings angefügt werden, dass Orwell in Sachen „Neusprech“ durchaus ziemlich genau die Entwicklung vorausgesagt hat, die wir heute erleben: Dass Dinge nicht mehr mit dem Namen benannt werden, sondern oft mit dem Gegenteil, und das über Begriffe manipuliert wird. Allein die Verwendung und Änderung von Begriffen im Zusammenhang mit der so genannten „Flüchtlingskrise“ 2015 sind ein anschauliches Beispiel dafür – vom Asylbewerber über den Flüchtling und den Geflüchteten bis hin zum Schutzsuchenden.
Wolfang Herles, der frühere Leiter des ZDF-Studios Bonn, erklärte 2016 in einem Interview mit dem Deutschlandfunk: „Wir haben ja das Problem, dass – jetzt spreche ich wieder überwiegend vom Öffentlich-Rechtlichen – dass wir eine Regierungsnähe haben. Nicht nur dadurch, dass überwiegend so kommentiert wird, wie es der Großen Koalition entspricht, dem Meinungsspektrum, sondern auch dadurch, dass wir vollkommen der Agenda auf den Leim gehen, die die Politik vorgibt. Das heißt, die Themen, über die berichtet wird, werden von der Regierung vorgegeben. Es gibt aber viele Themen, die wären wichtiger, als das, was die Regierung – die natürlich auch ablenken will von dem was nicht passiert, aber das, was nicht passiert, ist oft wichtiger als das, was passiert – wichtiger als die Symbolpolitik, die betrieben wird…”
Gerade weil Postman Recht hatte mit seinen Warnungen, und weil die Zustandsbeschreibung des Ex-ZDF-Manns Herles zutrifft, ist der Druck so groß, Kritik an den öffentlich-rechtlichen zu tabuisieren: Sie kratzt am Allerheiligsten des Machterhalts, an dem Zement, der das System Merkel zusammenhält. Kritik gleicht dem Hinweis, dass die Kaiserin (oder in diesem Falle die Kanzlerin) nackt ist. Denn wir in Andersons Märchen ist es allzu offensichtlich, dass etwas mit den gebührenfinanzierten (und vielen anderen) Medien nicht stimmt, dass sie längst ihre politische Unschuld verloren haben und journalistisch nackt sind. Je größer die Offensichtlichkeit dieser Defizite, je deutlicher die Nacktheit, umso stärker muss jeder Hinweis darauf tabuisiert werden.
Letzten Endes wird so das eigentliche Problem aber nur verschärft und der Zusammenbruch des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in seiner heutigen Form beschleunigt – und umso heftiger ausfallen. Dass sich jetzt auch Unverdächtige wie Laschet aus der Reserve trauen und ganz offen Majestäts- bzw. WDR-Kritik wagen, ist ein Zeichen dafür, dass die Dämme erste Risse bekommen, und wir gerade Zeugen des Anfangs des Zusammenbruches werden.
Auch in den Sendern selbst scheint man das zu spüren – hoch dotierte Haltungskrieger wie Monitor-Chef Georg Restle machen sich offensichtlich bereits Sorgen um ihre „finanzielle Sicherheit“:
Ohne das öffentlich-rechtliche System – eine wunderbare Idee, die allerdings pervertiert wurde – auch nur im geringsten mit der DDR gleichsetzen zu wollen – gewisse Ähnlichkeiten beim rigorosen Abwerten von Kritikern, beim Realitätsverlust und seinen Folgen sind nicht von der Hand zu weisen. Und auch beim Kollabieren wird es die geben. Ein Intendant wie Bahrow wird sich zwar nicht vor die Gebührenzahler stellen und sagen, „ich liebe Euch doch alle“, wie einst Stasi-Chef Mielke. Aber dass sie doch nur das Beste wollten – das wird sicher auch weiter zu hören sein.
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