Harmonisch ging es in der Ampel noch nie zu. Doch was jetzt geschieht, ist selbst für die an Spannungen reiche rot-grün-gelbe Koalition ein neuer Höhepunkt – und könnte sie noch näher an den Rand des Abgrunds bringen, an dem sie ohnehin schon steht: Der Vize-Chef einer der drei Regierungsparteien fordert einen der Spitzenpolitiker und Minister der Kanzlerpartei öffentlich zum Rücktritt auf. Im konkreten Fall wünscht sich Wolfgang Kubicki von der FDP den politischen Skalp von Gesundheitsminister Karl Lauterbach von der SPD.
Der Vorwurf des Liberalen an den Sozialdemokraten: Lauterbach habe während der Pandemie die Öffentlichkeit bewusst getäuscht, um seine Argumente für die Impfpflicht zu stützen.
Kritische Beobachter des Zeitgeschehens, und vor allem der Corona-Politik, haut das zwar kaum vom Hocker. Der Verdacht gegen Lauterbach & Co. bestand seit langem und hatte sich verdichtet. Neu ist aber, dass dieser Verdacht jetzt zu einer Eskalation innerhalb der Regierung führt.
13 Seiten lang ist ein Schreiben Kubickis, in dem er schwere Vorwürfe gegen den Mann vom Koalitionspartner erhebt.
Die es in sich haben.
Der Minister habe seine Macht genutzt, um Wissenschaftler daran zu hindern, die Bevölkerung transparent über den Verlauf der Pandemie zu informieren, so Kubicki laut der „Bild“-Zeitung. Aus dem Ministersessel heraus habe Lauterbach, dem das Robert Koch-Institut (RKI) untersteht, dieses angewiesen, keine Entwarnung zu geben, obwohl die Pandemie bereits abflaute. Diese Anweisungen ergäben sich aus den sogenannten „RKI-Files“ – den bisher geheimen und jetzt geleakten Protokollen des RKI, so Kubicki.
Der Liberale, dem viele vorhalten, dass seine öffentlichen Aussagen und sein Abstimmungsverhalten im Bundestag zuweilen diametral auseinandergehen, bringt als Beleg für seine Vorwürfe Passagen aus diesen Protokollen.
Sie belegen, dass das RKI bereit war, die Risikobewertung der Pandemie herabzustufen.
Und Lauterbach das blockierte.
Wörtlich heißt es in den Protokollen, eine Herabstufung sei „politisch nicht gewünscht“, da sie als Deeskalationssignal interpretiert werden könnte. Kubicki argumentiert, dass Lauterbachs Ministerium bewusst eine hohe Corona-Furcht in der Bevölkerung aufrechterhalten wollte, um die Debatte um die Impfpflicht zu beeinflussen.
Kubicki fordert Lauterbach auf, persönliche Konsequenzen zu ziehen und vom Amt zurückzutreten, so die „Bild“: „Er wirft dem Minister vor, die ‚Grenzen der Wahrheit‘ überschritten zu haben, um ein persönliches politisches Ziel zu erreichen. Kubicki betont, dass er einem solchen Minister keine parlamentarische Zustimmung mehr geben könne und dessen ‚Treiben nicht mehr unterstützen‘ werde.“
Diese offenen Rücktrittsforderungen innerhalb der Regierungskoalition könnten die ohnehin schon fragilen Beziehungen zwischen den Koalitionspartnern weiter belasten. Die SPD hat sich bisher nicht zu den Vorwürfen geäußert, und Lauterbach selbst wollte auf Anfrage der „Bild“ keinen Kommentar abgeben.
Kubickis Vorstoß zeigt zum einen, wie tief die Gräben innerhalb der Ampel-Koalition sind. Und wie weit Worte und Taten auseinandergehen – denn wetten, dass Kubickis Forderung wieder einmal ohne Konsequenzen bleiben wird?
Kubickis Vorstoß zeigt aber auch, wie erneut eine angebliche „Verschwörungstheorie“ wahr wurde.
Zum wievielten Mal? Wir sehen heute ganz klar: In Sachen Corona hatten diejenigen, die damals als „Schwurbler“, „Corona-Leugner“ und „Querdenker“ diffamiert wurden, recht mit ihren Bedenken. Und wir sehen ebenso, dass es bei den meisten von denjenigen, die damals – als Drahtzieher oder Mitläufer – auf der falschen Seite waren, nicht einmal Ansätze von Selbstkritik gibt. Deshalb ist eine juristische Aufarbeitung der gesamten Corona-Politik unausweichlich. In ihrer jetzigen Verfassung kann unsere zu großen Teilen der Politik gegenüber willfährige Justiz so eine Aufarbeitung kaum leisten. Umso wichtiger ist es, dafür zu kämpfen, dass wir wieder einen Rechtsstaat ohne Wenn und Aber bekommen. In dem wäre dann die Aufarbeitung der Corona-Zeit – und nicht nur dieser – zwangsläufig.
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