Der iranische Boxchampion Ahmad Shirazi ließ sich gemeinsam mit seiner Frau fotografieren und stellte das Bild öffentlich auf Instagram. Seine Gattin hat auf dem Bild ihren Hijab abgenommen, ihre Haare sind zu sehen. Dafür verurteilte ein iranisches Gericht Shirazi und seine Frau zu 16 Jahren Gefängnis und zu 74 Peitschenhieben. In Abwesenheit, weil sie sich 2019 aus dem Iran abgesetzt haben. Wegen „Propaganda gegen das Regime“, Verbreitung von „obszönem und vulgärem Inhalt“ und von „moralischer Korruption“. Die Nachricht von dem Urteil stammt zwar schon vom Mai. Nur wurde in Deutschland fast nicht darüber berichtet – weshalb die Geschichte bis heute eine Neuigkeit ist.
Szenenwechsel. In Deutschland veröffentlichte der Chefredakteur der Frankfurter Rundschau, Thomas Kaspar, am 6. August 2020 folgenden Text auf twitter:
„Mir ist es wichtig, dass Sprache niemand ausgrenzt. Gleichzeitig finde ich _\* furchtbar im Schriftbild. Zum ersten Mal finde ich nun aber eine Lösung gelungen. „Leser:innen“
Das schmiegt sich gut ein und mit kleiner Pause liest es sich auch flüssig. Was meint ihr dazu?“
Als Kaspar diesen Text verfasste, war das Urteil bereits monatelang gefällt. Würde seine Redaktion ihre Aufgabe erfüllen, hätte er davon in der eigenen Zeitung lesen und wissen müssen (stattdessen verunglimpft das schwindsüchtige Blatt lieber kritische Journalisten wie mich). Auch müsste Chefredakteur Kaspar generell wissen, dass Frauen wegen solcher „Kopftuch-Delikte“ auch in der Vergangenheit schon oft bestraft wurden im Iran.
Als ich in der Google-News-Suche den Namen des Sportlers und der Zeitung eingab, fand ich nichts dazu. Als ich nach „Frankfurter Rundschau Kopftuch“ suchte, kam ebenfalls nichts zu dem Urteil. Dafür kommen aber folgende Suchtreffer:
Je weiter ich suchte, umso weniger traute ich meinen Augen. Dachte ich zuerst, nur die Frankfurter Rundschau blicke weg, entpuppte sich das schnell als maßlose Unterschätzung des Problems.
Mit dem Namen des Boxers und mit dem Suchwort „Kopftuch“ fand ich nur ganz wenige einschlägige Meldungen aus Deutschland. Das einzige größere Medium, das berichtet, ist die „Brigitte“, und auch das erst heute, mehr als drei Monate nach dem Urteil (Stand: 11.8.20, 20 Uhr). Ich hoffe inständig, es liegt daran, dass ich falsch suche. Wenn nicht, wäre es ein sehr aussagekräftiges Beispiel für eine selektive und damit manipulative Berichterstattung. Denn nicht nur durch das, was man berichtet, kann man Menschen in die Irre führen, sondern auch durch das, was man nicht berichtet und verschweigt.
Das Verschweigen des Kopftuch-Urteils wird insbesondere dann bemerkenswert, wenn man sich bewußt macht, welche Maßstäbe in der Presse umgekehrt etwa für Ereignisse in den USA angelegt werden. Da wird im Zweifelsfall jeder krumme Satz zur Schlagzeile. Ebenso wenn es um den Umgang mit Kopftüchern im eigenen Land geht.
Es ist erstaunlich, wie all die tapferen Kämpfer für Gender-Sternchen und gegen Benachteiligung von Frauen hierzulande plötzlich fast kollektiv an Stimmversagen leiden, wenn es um massivste Menschenrechtsverletzungen gegen Frauen in islamischen Ländern geht. Die gleichen Leute, die sofort Schlagzeilen füllen, wenn hierzulande jemand wegen eines Kopftuches etwa bei einer Einstellung Probleme bekommt. Die Frankfurter Allgemeine klagte 2018 vor ihrem massiven Linksruck: „Es gibt Genderforscherinnen, die bringen Gewalt durch Genitalverstümmelung und Terrorismus mit Sprachregelungen zum Verschwinden. Die Entwicklung ist fatal.“
Die Doppelmoral ist fatal. Die Liebe so vieler Linker zum Islam, der eigentlich für genau das steht, wogegen sie offiziell kämpfen, ist eines der großen Rätsel unserer Zeit. Die Welt schrieb schon 2019: „Manche Linke wittern Rassismus, weil in Frankfurt eine Konferenz über das Für und Wider des Kopftuchs stattfinden soll. Man kann diesen Menschen nur wünschen, dass sie niemals in der Gesellschaft leben müssen, die sie herbeischreien.“ Samuel Schirmbeck, früher ARD-Korrespondent in Algerien, schrieb ein Buch mit dem Titel: „Gefährliche Toleranz. Der fatale Umgang der Linken mit dem Islam.“ Sein Fazit: Liberale Muslime weltweit sind von Linken in Europa enttäuscht und fühlen sich allein gelassen von ihnen.
Aber vielleicht gibt es im Fall des Boxers und seiner Frau auch sehr viel einfachere Gründe für das Schweigen. Will man das Land schonen, mit dem vom Bundespräsidenten bis zum Außenminister so viele deutsche Politiker regelrecht kuscheln? Dass Steinmeier Trump zu seinem Wahlsieg nicht gratulierte, wohl aber den Mullahs im Iran? Manche Linke wittern Rassismus, weil in Frankfurt eine Konferenz über das Für und Wider des Kopftuchs stattfinden soll. Man kann diesen Menschen nur wünschen, dass sie niemals in der Gesellschaft leben müssen, die sie herbeischreien.
Birgitt Kelle kommentierte auf ihrer Twitter-Seite: „16 Jahre Gefängnis und 74 Peitschenhiebe für ein Instagrammfoto ohne Kopftuch. Iran 2020. Für alle, die gerne das Kopftuch verniedlichen oder gar zum emanzipatorischen Akt verklären.“
Bild: Screenshot Instagramm/SVG SIHL/bearbeitet/Reitschuster/Creative Commons License CC0 Text: red