Es ist faszinierend, wie über ein und die dieselbe Gewalttat in verschiedenen Medien ganz unterschiedlich berichtet wird – und wie stark das auch die Spaltung in unserem Land aufzeigt. Sehr genau beschreibt „Bild„, was am Weihnachtsabend in der Kirchgemeinde St. Nicolai im sächsischen Aue passiert ist: „Während der Bescherung im Pfarramt kam es offenbar zum Streit. Ein syrischer Mann (53) musste daraufhin die Feier verlassen. ,Wenig später erschien gegen 22.20 Uhr eine Gruppe von mehreren Männern am Veranstaltungsort, sagte Polizeisprecher Steffen Marquardt. Sie seien als Personen aus dem arabischen Raum beschrieben worden.“ Und weiter heißt es in dem Bild-Bericht: „Darauf: neuer Streit! Er gipfelte in Tätlichkeiten gegen einen Iraner (34). Ein Mitarbeiter (51) der Kirchgemeinde wollte den Streit schlichten – und wurde niedergestochen.“
Viele Leser anderer Medien werden allerdings eine ganz andere Vorstellungen von den Ereignisse in Aue bekommen haben. In zahlreichen Berichten, die offenbar auf eine Meldung des Leitmediums der deutschen Redaktionen, der Nachrichtenagentur „dpa“, zurückgehen, ergibt sich ein etwas anderes Bild: Nicht nur die Nationalität der Täter fehlt dort – auch wesentliche Sachverhalte. Davon kann man sich ganz einfach ein Bild machen – indem man das, was oben in der „Bild“ stand, mit dem Inhalt dieser (Link), auch in vielen anderen Medien so verbreiteten Nachricht vergleicht, die das „Redaktionsnetzwerk Deutschland“ verbreitet, das Dutzende Tageszeitungen mit seinen Texten versorgt (und dessen größte Gesellschafterin ein Medienbeteiligungsunternehmen der SPD ist).
Der Gipfel in diesem Text: Es ist nicht von einem Messer die Rede, sondern von einem „spitzen Gegenstand“. Orwell lässt grüßen. Etwas zugespitzt klingt das für mich so, wie wenn man bei einem Schuss aus dem Revolver schreiben würde, es sei zu einer Auseinandersetzung mit Eisenwaren gekommen. Ich frage mich ganz offen: Was denken sich meine Journalisten-Kollegen dabei, wenn sie derart die Sprache nutzen, um zu verschleiern? Sie sägen damit an dem Ast, auf dem sie sitzen – den Lesern. Die sehen durch solches „betreutes Informieren“ den Vorwurf der Lückenpresse bestätigt (ich leider auch). Und wenden sich in Scharen ab. Wir haben es mit journalistischem Selbstmord aus Haltungs-Zwang zu tun.
„Wer Tatsachen weglässt, manipuliert“, klagt der Polizist und Autor Steffen Meltzer auf facebook. Wie absurd die Verharmlosung ist, zeigt, wie es anders geht. So bringt etwa der öffentlich-rechtlich Sender MDR Klartext: Unter der Überschrift Messerstecherei am Heiligen Abend im Pfarrhaus in Aue berichtet der MDR ebenso kurz wie ausführlich – und zeigt damit den Kollegen, wie man sachlich und korrekt informieren kann, ohne darauf zu verzichten, die Dinge beim Namen zu nennen.
Böse Kommentare gab es am Weihnachtsabend auch unter Berichten über einen schweren Gewaltdelikt in Nürnberg. Dort ist an Heiligabend am Hauptbahnhof ein Mann vor eine einfahrende U-Bahn gestoßen und lebensgefährlich verletzt worden. Erzürnte Leser warfen Redaktionen vor, die Nationalität des Tatverdächtigen nicht genannt zu haben. Beim Stern steht ganz oben auf der Nachricht in dicken Lettern „Es kommt immer wieder vor, sei es im Streit oder ganz unvermittelt“, so als handle es sich um einen alten Brauch hierzulande. Woher Täter und Opfer stammen, wird in dem Stern-Bericht nicht erwähnt – auch er ist von dpa übernommen, der oben erwähnten Nachrichtenagentur, von der sehr, sehr viele Berichte in Internetausgaben der verschiedensten Medien stammen. Die Agentur, für die ich früher selbst arbeitete, ist ganz entscheidend für die Meinungsbildung in Deutschland. Und ist seit einiger Zeit in weiten Teilen stramm auf linksgrüner Zeitgeist-Linie.
Ganz anders die Welt: Dort heißt es im Text, ohne besondere Hervorhebung und im vierten Absatz: „Bei dem Opfer und dem mutmaßlichen Täter handelt es sich um irakische Staatsangehörige aus Nürnberg.“
Besonders interessant: Sowohl unter dem Text des „Stern“ als auch der „Welt“ steht als Autorenkürzel „dpa“. Ein Schelm könnte nun glauben, dass die Agentur zwei verschiedene Dienste bzw. Versionen anbietet: Eine politisch korrekte und eine ungefilterte. Die Erklärung ist aber aber wohl eine ganz andere: Beim Stern steht unter dem Text nur „dpa“, bei der „Welt“ noch zwei Autorenkürzel daneben. Also spricht vieles dafür, dass im Stern die klinisch saubere Originalversion der Agentur zu lesen ist, bei der „Welt“ dagegen noch weiter recherchiert wurde.
Der Kern des Problems ist ein Passus im deutschen Pressekodexes (siehe rechts), der übrigens eine freiwillige Sache ist und in keinem Gesetz festgeschrieben. Kritiker bezeichnen die Richtlinie 12.1., nach der die Zugehörigkeit von Verdächtigen zu ethnischen oder anderen Minderheiten in der Regel nicht genannt werden soll, als ideologisch eingefärbt.
Wobei es in der Richtlinie ja ausdrücklich heißt, bei öffentlichem Interesse könne das anders gehandhabt werden. Hier ist die Frage, ob nicht ein öffentliches Interesse daran besteht, zu erfahren, ob bestimmte Bevölkerungsgruppen besonders auffallen durch bestimmte Delikte? Es wäre dann auch abzuwiegen, was mehr Gewicht hat: Das öffentliche Interesse, zur Gefahrenerkennung und Vermeidung informiert zu werden, oder das Interesse einer bestimmten Gruppe, dass Vorurteile gegen sie nicht Vorschub geleistet wird.
Aber besteht nicht schon ein öffentliches Interesse deshalb, weil eben die Nationalität von Tatverdächtigen – ob man das gut heißt oder nicht – faktisch schon so viele Menschen interessiert, und inzwischen ständig darüber spekuliert wird. Und weil sich ohne Nennung der Nationalität die Leser und Zuschauer selbst eben gar keine eigenen Meinung bilden können, ob sie zutreffen, die vielen Berichte bzw. Klagen, gerade in den sozialen Netzwerken, über eine Verbindung mit Zuwanderung zutreffen? Ist nicht das Perfide an der aktuellen Situation, dass gerade das Verschweigen genau dazu führt, dass sich jeder seinen Teil denkt? Wie dies in seiner ganzen Absurdität kürzlich auf twitter ein Leser sehr gut zusammengefast hat:
Ganz zugespitzt: Belegen Redakteure, die ihren Lesern und Zuschauern die Nationalität von Tatverdächtigen vorenthalten wollen, damit, dass etwas faul ist? Wenn die von ihnen oft vertretene These zutrifft, dass auch Zuwanderung von vielen jungen Männern aus Krisengebieten nicht zu einer Erhöhung der Kriminalität führt, müssten sie doch froh sein, jedes Mal die Herkunft zu nennen – denn das Gesamtbild der Nachrichten würde dann ja ihre „Haltung“ bestätigen.
Bild: Unsplash (Titel)