Der Aufschrei in den Medien war riesig. Die Organisatoren der Demonstration gegen die Corona-Maßnahmen am 1. August in Berlin hätten mit „Tag der Freiheit“ einen Namen für ihre Aktion ausgewählt, auf den Nationalsozialismus anspielt. Dieses „Framing“, neudeutsch für Gedanken-Ausrichtung, ging breit durch die meisten Medien. Die einst konservative „Welt“ versteigerte sich sogar zu der Aussage in einem Kommentar „Mit Adolf Hitler für die Freiheit“. Der Spiegel schrieb: „Das Motto der Demonstration lautete ‘Das Ende der Pandemie – Tag der Freiheit‘. Den Titel ‘Tag der Freiheit‘ trägt auch ein Propagandafilm der Nazi-Filmemacherin Leni Riefenstahl über den Parteitag der NSDAP 1935.“
Gibt man bei „google news“ als Suchwörter „tag der freiheit riefenstahl corona“ ein, kommt man auf 2.730 Ergebnisse. Nicht alle werden wohl einschlägig sein, aber allein die erste Ergebnisseite ist sehr aussagekräftig:
Faktisch handelt es sich hier um einen Missbrauch der Geschichte, eine Verharmlosung des Nationalsozialismus und damit auch eine Verhöhnung seiner Millionen Opfer, wenn man dieses verbrecherische Regime in einen solchen Bezug zu einer Demonstration gegen die Corona-Maßnahmen setzt.
Der Berliner FDP-Abgeordnete Marcel Luthe hat das „Framing“ jetzt zum Anlass genommen, eine parlamentarische Anfrage an die Stadtregierung zu schicken. Sie liegt mir exklusiv vor.
Ich frage den Senat:
- Liegen dem Senat Tatsachen vor, die die Annahme rechtfertigen, der gewählte Titel der Versammlung am 01.08.2020 „Tag der Freiheit“ stelle einen Bezug zum Nationalsozialismus dar? Welche?
- Liegen dem Senat Tatsachen vor, die die Annahme rechtfertigen, der gewählte Titel der Versammlung am 01.08.2020 „Tag der Freiheit“ stelle einen Bezug zur Plakatausstellung der Bundesstiftung Aufarbeitung der SED-Diktatur über den Volksaufstand in der DDR vom 17. Juni 1953 dar? Welche? https://www.welt.de/geschichte/article113530676/Warum-der-17-Juni-der-Tag-der-Freiheit-ist.html
- Liegen dem Senat Tatsachen vor, die die Annahme rechtfertigen, der gewählte Titel der Versammlung am 01.08.2020 „Tag der Freiheit“ stelle einen Bezug zur friedlichen Revolution von 1989 in Polen dar, mit der ein totalitäres Regime sein Ende fand? Welche? https://www.polskieradio.pl/400/7764/Artykul/2524973,Polen-feiern-den-Tag-der-Freiheit
- Liegen dem Senat Tatsachen vor, die die Annahme rechtfertigen, der gewählte Titel der Versammlung am 01.08.2020 „Tag der Freiheit“ stelle einen Bezug zum Ausruf des Radikaldemokraten Gustav Struve im Vormärz und der Badischen Revolution von 1848 dar? „Der Tag der Freiheit ist angebrochen. Vorwärts! Ist der Ruf der Zeit.“ Welche?
- Liegen dem Senat Tatsachen vor, die die Annahme rechtfertigen, der gewählte Titel der Versammlung am 01.08.2020 „Tag der Freiheit“ stelle einen Bezug zum portugiesischen Nationalfeiertag im Gedenken an die Nelkenrevolution dar? Welche?
- Liegen dem Senat Tatsachen vor, die die Annahme rechtfertigen, der gewählte Titel der Versammlung am 01.08.2020 „Tag der Freiheit“ stelle einen Bezug zum südafrikanischen Nationalfeiertag im Gedenken an die ersten Wahlen nach dem Ende der Apartheid 1994 dar? Welche?
- Erachtet der Senat einen dieser Bezüge zu 1) bis 5) als wahrscheinlicher als die anderen Bezüge? Falls ja, welcher aufgrund welcher Tatsachen?
- Sind dem Senat Tatsachen bekannt, die die Annahme rechtfertigen, der Anmelder der oben genannten Demonstrationsveranstaltung sei einem Teilfeld des politischen Extremismus im Sinne einer Verfassungsfeindlichkeit zuzurechnen? Falls ja, welchem Teilfeld aufgrund welcher Tatsachen?
Besser kann man die Dreistigkeit des in den Medien vorherrschenden Framings wohl kaum auf den Punkt bringen. Es sind wohl bissige Anfragen wie diese – Luthe hat mehr als 2000 gestellt in seinen knapp vier Jahren als Abgeordneter, die dazu führten, dass er aus der FDP-Fraktion ausgeschlossen wurde (aber nicht aus der Partei). Erst kürzlich hatte Luthe etwa aufgedeckt, dass es allein in diesem Jahr täglich eine besonders schwere Vergewaltigung in Berlin gab und dass der Anteil ausländischer Tatverdächtiger dabei besonders hoch ist. Ebenso kürzlich brachte Luthe ans Licht, dass die Berliner Polizei bei linken Gewalttaten so gut wie nie von „Hasskriminalität“ spricht. Dass selbst in der Opposition, deren Aufgabe es ja eigentlich sein sollte, die Regierung zu kritisieren, heftige Kritik an dieser zum Ausschluss führt, sagt sehr viel aus über die politischen Zustände, in denen wir 2020 leben.
Bild: Pixabay/Reitschuster/bearbeitet/ReitschusterText: red