Ab einem gewissen Alter meint man gewöhnlich, dass man nichts grundlegend Neues mehr entdecken könne. Zumindest in bestimmten Bereichen, die vor allem in jüngeren Jahren die besondere Zeit der menschlichen Existenz ausmachen: Beim Zusammenspiel der Geschlechter. Umso größer war mein Erstaunen, dass mir jetzt doch noch einmal neue Horizonte eröffnet wurden. Und das ausgerechnet von der Berliner Verwaltung. Die man eigentlich ganz und gar nicht mit diesem Bereich in Verbindung bringen würde. Wirkt sie doch eher unsexy. Auslöser für die neuen Erkenntnisse ist ausgerechnet Corona. Oder genauer gesagt: Die Bekämpfung desselben durch die Behörden.
So stieß ich in einem Papier mit dem ausgesprochen unattraktiven Namen „Bußgeldkatalog zur Ahndung von Verstößen gegen die SARS-CoV-2-Infektionsschutzverordnung in Berlin“ auf Dinge, die mir vor einigen Jahrzehnten die Schamröte ins Gesicht getrieben hätten. Steht da doch Schwarz auf Weiß: „Verstoß: Inanspruchnahme gesichtsnaher sexueller Dienstleistungen ohne Geschlechtsverkehr.“ Weiter erfährt der geneigte Leser, dass dieselben nach SARS-CoV-2-InfektionsschutzV § 5 Abs. 11 Satz 1mit einem „Bußgeldrahmen in Euro 250 – 5.000“ zu ahnden sind. Und dass der „Adressat des Bußgeldbescheids“ die „Inanspruchnehmende Person“ ist.
Nun bin ich alles andere als prüde und mir sind die diversesten Praktiken des trauten Zusammenseins von Mann und Frau durchaus bekannt (ich hoffe, es ist kein Delikt, dass ich hier nur von Mann und Frau spreche, aber die von Mann und Mann sind mir eben nicht bekannt). Was man jedoch unter „gesichtsnahen sexuellen Dienstleistungen“ versteht, erweckte meine Neugierde. Denn das, woran ich zuerst dachte, würde ich – verzeihen Sie mir die Details, aber es geht immerhin um eine amtliche Verordnung – als näher denn als nahe bezeichnen. Also wo beginnt und wo endet Nähe? Interessant ist auch, dass diese Dienstleistung gleich zweimal im Bußgeldkatalog vorkommt – einmal bei Vollzug vor dem 1. September 2020 und einmal danach. Und sie fällt jeweils unter einen anderen Absatz im Gesetz.
Es scheint kaum etwas zu geben, was die Berliner Behörden nicht geregelt haben. Etwa: „Verstoß: Betrieb von Prostitutionsstätten oder Prostitutionsvermittlungen vor dem 1. September 2020, in denen sexuelle Dienstleistungen mit Geschlechtsverkehr angeboten werden“. Nach dem 1. September ist kein solcher Verstoß mehr aufgeführt. Nur Teilbereiche zählen für den Senat auch weiterhin nicht: „Verstoß: Betrieb, Organisation oder Durchführung eines Prostitutionsgewerbes im Sinne des Prostituiertenschutzgesetzes, in dem gesichtsnahe sexuelle Dienstleistungen ohne Geschlechtsverkehr angeboten werden.“ Also ist der Betrieb als solcher „im Sinne des Prostituiertenschutzgesetzes „erlaubt (früher bekämpfte der Staat Prostitution, jetzt erlässt er Gesetze zu ihrem Schutz, wie sich die Zeiten ändern). Verboten ist nur der gesichtsnahe Vollzug. Und wie bitte sollen die Berliner Amtspersonen den während des Betriebs feststellen? Ist eine amtliche Aufsicht beim Vollzug der Gesamtdienstleistung zur Wahrung der gesichtsfernen Durchführung im Sinne des Prostituiertenschutzgesetzes vorgesehen? Und wo genau beginnt die Gesichtsnähe? Und was steht hinter „Verstoß: Angebot sexueller Dienstleistungen nicht nur nach Terminvereinbarung oder ausschließlich an einzelne Personen?“ Was gilt als Terminvereinbarung? Insbesondere, wenn der Kunde ungeduldig ist? Reicht eine Minute vorher aus? Ein Tag?
Fragen über Fragen.
Kindesmissbrauch – nur noch ein Kavaliersdelikt?(Öffnet in einem neuen Browser Tab)
Aber die Gewissheit, dass sich Berlins Verwaltung mit den wahrhaft wichtigen Dingen des Lebens beschäftigt.
Sonst käme am Ende noch irgendjemand auf die Idee, den Drogenhandel im Görlitzer Park zu unterbinden.
Da würde der Spaß wirklich aufhören.
Also wird sich der rot-rot-grüne Amtsschimmel lieber beschäftigen mit Dingen wie: „Verstoß: Betrieb von Prostitutionsfahrzeugen vor dem 1. Oktober 2020“, sowie, zeitunkritisch, „Verstoß: Organisation oder Durchführung von Prostitutionsveranstaltungen“. Oder der „Durchführung eines Aufgusses in einer Trockensauna“ (Mindeststrafe: 500 Euro, maximal 5.000 Euro.)
Oder dem „Öffnen einer Tanzlustbarkeit oder eines ähnlichen Unternehmens in geschlossenen Räumen für den Publikumsverkehr“. Wo beginnt die Tanzlustbarkeit und wo endet der normale, anständige Tanz?
Allmählich dämmert mir: Corona ist eine Arbeitsplatzbeschaffungsmaßnahme für unsere Bürokratie.
Und ein Horror für alle, denen an Freiheit und Selbstbestimmung liegt.