Zensur ist mein Journalisten-Kollege Vadym Zaydman aus der Sowjetunion gewohnt, aus der er stammt. Mit der Übersiedlung nach Deutschland glaubte er, diese Unsitte hinter sich zu haben! Und jetzt das! Für das oppositionelle russische Internetportal kasparov.ru übersetzte der Redakteur der in Nürnberg erscheinenden russischsprachigen Zeitung „Rubesch“ meinen Artikel über die Corona-Demo in Berlin ins Russische. Den Text setzte er dann auf facebook. Dabei verlinkte er auch dieses Bild, das die Menschenmengen auf der Love-Parade in Berlin und auf der Corona-Demo gegenüberstellt und sich in den sozialen Medien viral verbreitete.
Die Botschaft, die hinter diesem Bild steckt, ist tatsächlich missverständlich – denn die Perspektiven sind unterschiedlich, wie die folgende Gegen-Bildmontage darstellt, die sich ebenso in den sozialen Medien rasch verbreitete:
Aber auch dieses Bild manipuliert: Die Linie („das ist ungefähr hier“) ist nach meiner subjektiven Einschätzung nicht korrekt eingezeichnet, die Tribüne war deutlich näher an der Siegessäule.
Zaydman konnte seinen Augen kaum glauben, als er das Bild zu seinem Beitrag auf facebook verlinkte – und dann plötzlich nur noch ein graues Feld zu sehen war:
Falsche Informationen? Was auf dem Bild zu sehen ist, stimmt zunächst einmal, wenn man es strikt formal betrachtet. Beide Aussagen sind korrekt. Dass die meisten Menschen daraus eine Schlussfolgerung ziehen werden, mag sein – aber wer hat das Recht, sich da vorab zum Richter aufzuschwingen? Dürfen künftig auf facebook nur noch Bilder mit gleicher Perspektive gegenüber gestellt werden? Von Zaydman auf die Zensur angesprochen, öffnete ich seinen Post und drückte auf dem fast geschwärzten Bild die Schaltfläche „Grund anzeigen“. Und staunte nicht schlecht, was da zum Vorschein kam:
„Correctiv“ als „unabhängiger Faktenprüfer“ – das ist Realsatire und Falschinformation im Namen der „Bekämpfung von Falschinformation“. Zu den Finanziers von Correctiv gehört unter anderem die Stiftung des US-Geschäftsmanns George Soros. Einer der Männer, dessen Namen im Zusammenhang mit dem „Recherchebüro“ auftaucht, ist der Gerhard-Schröder-Vertraute und Sozialdemokrat Bodo Hombach, der bis zu seinem Rückzug in der Correctiv-Ethikkommission saß. Hombach ist Vorsitzender des Vorstands der Brost-Stiftung, die Correctiv zwischen 2014 und 2016 mit mehr als drei Millionen Euro förderte.
Zudem ist die Aussage von Correctiv schlicht falsch. Das „Recherchebüro“ schreibt: „Falsch. Angaben zur Teilnehmerzahl stimmen nicht.“ Das ist aber absurd. Beide genannten Zahlen stimmen – dass bei der Loveparade laut ARD/ZDF eine Million Menschen da war und bei der Corona-Demo laut ZDF 20.000. Die Sender sind korrekt zitiert. Wenn „Correctiv“ schreibt, die Zahlen stimmten nicht, kann das wohl nur die Corona-Demo-Zahl betreffen. Und die ZDF-Aussage. Also schreibt „Correctiv“ faktisch, dass das ZDF lügt – denn nur dessen Zahlen sind angegeben. Was für ein Bauchklatscher! Zu dumm zum „framen“ – ein Schuss, der auf tragikomische Weise nach hinten losging. Auch Manipulieren will gelernt sein!
„Correctiv“ agiert wie ein linkes Propagandabüro. Und auch im vorliegenden Fall legen die angeblich „unabhängigen Faktenprüfer“ neben Dummheit wieder eine unglaubliche Doppelmoral an den Tag. Aufgabe seriöser Faktenfinder wäre es, die unterschiedlichen Fotos und Perspektiven so neutral wie möglich einzuordnen. Würde „Correctiv“ das tun, dann hätte es auch über die irreführende Darstellung von Demo-Fotos beim ARD-Faktenfinder stolpern müssen. Der hat in einem Beitrag folgende beiden Fotos gegenüberstellt:
Der ARD-Faktenfinder mogelt hier mit der Perspektive. Besonders deutlich wird die unterschiedliche Perspektive, wenn man die Bilder „mischt“:
Zudem hat Gensing ein Bild von der Demonstration ausgesucht, auf dem auffallend viele leere Stellen zu finden sind. Den Schatten und der Menge nach zu urteilen wurde es zu Beginn der Veranstaltung aufgenommen, als immer noch sehr, sehr viele Menschen hinzu strömten. Hier eine Gegenüberstellung des von Gensing ausgesuchten Bildes mit einem anderen:
Die Darstellung des ARD-Faktenfinders ist also weitaus irreführender, als das alleinige Zeigen des Bildes mit der Gegenüberstellung zur Loveparade, das von facebook bzw. Correctiv zensiert wird. Die Mogelei des Faktenfinders hatte ich hier auf der Seite aufgedeckt, Jeder, der sich informieren wollte, konnte das tun. Und es wäre auch Aufgabe von facebooks „Faktenfindern“. Erstaunlicherweise findet sich bei dem irreführenden Bericht der Tagesschau auf facebook aber kein Warnhinweis, und es wird auch nicht mit Grauschleier überlegt:
Die Doppelmoral liegt hier auf der Hand. Ich habe mich übrigens öffentlich via twitter an die ARD und die Tagesschau gewandt mit der Frage, ob die Fehlinformation berichtigt wird und irgendwelche Konsequenzen hat. Auch an den Bayerischen Rundfunk habe ich diesbezüglich geschrieben, da sich dieser auf den Faktenfinder-Bericht bezieht. Antwort bisher: keine.
Erstaunlich auch, dass „Correctiv“ weiter in alter Manier agiert, obwohl ein Gerichtsentscheid nach einer Klage von Tichys Einblick die Praxis des Faktenchecks im konkreten Fall für unzulässig erklärte (nachzulesen hier). Aber mit einem „kleinen“ russischen Journalisten – und sicher vielen, vielen anderen ganz gewöhnlichen Facebook-Nutzern – machen „Correctiv“ und der US-Konzern einfach in alter Manier weiter. Wer wird schon das Geld haben für einen Rechtsstreit wie das deutsche kritische Magazin?
PS: Der Duden definiert Zensur wie folgt: „von zuständiger, besonders staatlicher Stelle vorgenommene Kontrolle, Überprüfung von Briefen, Druckwerken, Filmen o. Ä., besonders auf politische, gesetzliche, sittliche oder religiöse Konformität“. Genau eine solche Kontrolle und Überprüfung findet hier statt. Die Duden-Definition macht ausdrücklich klar, dass dies nicht durch eine staatliche Stelle zu geschehen hat. Im Falle von facebook sind zudem staatliche Regeln mit ausschlaggebend für den Einsatz der als „Faktenfinder“ getarnten Kontrolleure.
Bild: Screenshots twitter/Screenshots ARD/Screenshots facebook/bearbeitet/Reitschuster / privatText: red