Von reitschuster.de
Die Schere zwischen Groß und Klein könnte kaum größer sein. Während die 40 im Dax gelisteten deutschen Vorzeigekonzerne im dritten Quartal Rekordgewinne erwirtschafteten, wird die Luft für kleine Unternehmen und Soloselbständige zunehmend dünner. Sank das entsprechende Geschäftsklima-Barometer des Münchner Ifo-Instituts im September auf das Rekordtief von minus 20,9 Punkten, fiel der Index im Oktober weiter auf minus 25 Zähler. „Die Existenzsorgen nehmen merklich zu“, mahnte der Leiter der Ifo-Umfragen, Klaus Wohlrabe. 19,5 Prozent der Firmen in diesem Segment sahen ihr wirtschaftliches Fortbestehen bedroht – deutlich mehr als die 7,5 Prozent in der Gesamtwirtschaft.
Die Daten für den November, die in der kommenden Woche veröffentlicht werden, lassen nichts Gutes ahnen. Eine aktuelle Umfrage des Softwaredienstleisters Lexware, über die das „Handelsblatt“ berichtet, signalisiert eine weitere Verschärfung der Lage: Fast ein Viertel der 2800 befragten Kleinunternehmen und Soloselbstständigen bangt wegen der hohen Belastungen um die Existenz.
Besonders dramatisch ist die Lage in der Gastronomie. Hier tragen sich 40 Prozent der Befragten ernsthaft mit dem Gedanken, aus wirtschaftlichen Gründen das Handtuch zu werfen. Im Einzelhandel ist es jeder Fünfte, der sich mit der Aufgabe seines Betriebs beschäftigt.
Mehrheit fühlt sich von der Politik nicht gut unterstützt
Brisant: Die über 4,5 Millionen Unternehmer und Soloselbstständigen beschäftigen zwölf Millionen Menschen und damit mehr als ein Viertel aller Erwerbstätigen in der Bundesrepublik. Die Auswirkungen sind dramatisch, denn die Bevölkerung verliert ihre Nahversorgung. Ob Friseursalons, Bäckereien, Cafés oder Blumenläden: „Handwerker, Gastronomen oder Händler und speziell die Solo-Unternehmer prägen mit ihrer Vielfalt die Wirtschaft und die Städte“, bringt es Lexware-Chef Christian Steiger auf den Punkt.
Mehr als vier von fünf der befragten Unternehmen machen sich laut der Lexware-Umfrage große Sorgen wegen der steigenden Energiekosten. Viele hegen Zweifel, ob die versprochenen staatlichen Hilfen das kompensieren können. Überhaupt: Die Mehrheit der Befragten fühlt sich von der Politik nicht gut unterstützt.
Als Anbieter kaufmännischer Software-Lösungen für Freiberufler sowie kleine und mittelständische Firmen kennt Lexware-Chef Steiger die Nöte seiner Kunden aus erster Hand. „Dass so viele Unternehmer Existenzängste haben und ans Aufgeben denken, hat mich überrascht und erschreckt“, zitiert ihn das „Handelsblatt“. Er hält es für „fatal“, dass jetzt so viele Belastungsfaktoren zusammenkommen.
Es sind nämlich nicht nur die extrem hohen Energiekosten und die mit der Inflation einhergehende Konsumzurückhaltung, die die Kleinbetriebe unter Druck bringen. Belastend ist auch die ausufernde Bürokratie. Laut einer Analyse des Wirtschaftsprüfers Deloitte mussten deutsche Firmen auf Bundesebene schon im Jahr 2019 mehr als 2300 Normen beachten. Geplagt sind nicht zuletzt Bäcker, die ihren Kunden seit dem 1. Januar 2020 für jedes verkaufte Brötchen oder Croissant unaufgefordert einen Kassenbon aushändigen müssen. Erschwerend hinzu kommt der Fachkräftemangel.
»Das dicke Ende kommt erst noch«
Besonders stark unter der Krise leiden die energieintensiven Bäckereien – und hier vor allem die Kleinbetriebe. Die Kosten zehren ihre Gewinne auf: Zunächst verteuerten sich die Preise für Weizen und Getreide; Bäckereien berichten von Preissteigerungen bei Mehl um 70 Prozent. Danach vervielfachten sich die Kosten für Gas für ihre Öfen, die Gasrechnungen sollen sich versiebenfacht haben. Und schließlich forderten die explodierten Strompreise ihren Tribut.
Die Crux: Bäcker können nur einen Teil ihrer Kosten weitergeben, und das nur zeitverzögert. Heben sie ihre Preise zu stark an, laufen sie nämlich Gefahr, noch mehr Kunden verlieren. Ein Teufelskreis, aus dem derzeit kein Entrinnen absehbar scheint. Die Gewinnmargen für viele Handwerksbäcker sind längst tief ins Minus gerutscht.
Anzeichen einer Entspannung am Energiepreismarkt sind derzeit noch nicht in Sicht. „Das dicke Ende kommt erst noch“, prognostiziert Christian Seelos, der Chefredakteur des Energienachrichtendienstes Energate. „Stand jetzt sind die Gaspreise noch gar nicht in dem Maße an den Endkunden weitergegeben, wie sie bislang gestiegen sind.“
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