Ein Gastbeitrag von Ekaterina Quehl.
Was ist nur mit diesem Corona-Virus los? Ist es ideologisch? Befällt es Linke weniger als Nicht-Linke? Haben Anti-Rassisten eine Immunität dagegen? Wenn Sie jetzt glauben, ich sei durchgeknallt, warten Sie bitte noch einen Moment. Für mich sind die Antworten auf diese Fragen genauso klar, wie sie wahrscheinlich für Sie klar sind. Aber wenn man das, was in den Medien berichtet wird, logisch zu Ende denkt, ohne Scheuklappen, muss man zwangsläufig zu diesen Fragen kommen.
Die Doppelstandards der medialen Berichterstattung der meisten etablierten und öffentlich-rechtlichen Medien sind mir schon lange aufgefallen. Die Corona-Pandemie lässt sie deutlich zum Vorschein kommen. Und in den letzten Wochen habe ich in meinen Artikeln hier, insbesondere in meinem Beitrag „Wie ARD und Co. mit Foto-Tricksereien Corona-Angst schüren“, die Qualität, die Ziele und Instrumente der Berichterstattung dieser Medien kritisch hinterfragt. Besonders in den letzten Tagen habe ich aber den Eindruck, die Doppelstandards haben sich endgültig verstetigt. Wenn ich versuchen würde, meine Reaktion auf die meisten Berichte in den vergangenen Wochen und besonders der letzten Tagen zu beschreiben, dann wäre es ein Mix aus Empörung, Ekel und Atemnot. Wegen der Dreistigkeit, mit der sich viele Medien erlauben, so massiv an der Wahrheit vorbei zu berichten. Wohl in der Überzeugung, die Mehrheit der Menschen würde dies auch so hinnehmen – genauso wie sie die Folgen hinnehmen würden, die mit oder wegen einer solchen Berichterstattung auf uns zukommen können.
Doch bevor ich aussagekräftige Beispiele für die Doppelstandards bei der Berichterstattung zur Corona-Pandemie anführe, möchte ich in den nächsten Absätzen ein kleines Gedanken-Experiment durchführen, das helfen kann, etwas Abstand von der politischen Situation in Deutschland und der Ausrichtung der medialen Berichtserstattung zu gewinnen. Ich möchte das machen, um ein Bild zu schaffen, wie die Doppelstandards und die Doppelmoral bei der Bewertung bestimmter Ereignisse zum Tragen kommen und welch ein Ausmaß sie in unserer Gesellschaft einnehmen.
Lassen wir doch für einen Augenblick die Namen und die Daten weg. Nehmen wir doch einfach einen Staat X.
Im Staat X herrscht eine Pandemie. Die Regierung hat Einschränkungen und bestimmte Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie eingeführt, in der Überzeugung, die Pandemie sei äußerst gefährlich. Unter Einschränkungen fallen auch solche, die das gesellschaftliche Leben beinahe zum Stillstand bringen und massive Auswirkungen auf die Wirtschaft, auf Bildung, Kultur, Medizin und andere Bereiche unseres Lebens haben. Die Einhaltung der Einschränkungen und die Durchsetzung der eingeführten Maßnahmen sind jedoch aus der Sicht der Regierung und der von ihr herangezogenen Experten notwendig und helfen, die Zahl der Infektionen wesentlich zu verringern, um die Pandemie im Griff zu halten, solange es gegen die pandemische Krankheit kein Heilmittel gibt. Unter die eingeführten Einschränkungen fallen auch Abstandsregeln und eine Pflicht zum Mundschutz-Tragen bei Versammlungen in der Öffentlichkeit.
Wegen unterschiedlicher Auffassungen über die Einschränkungen und Maßnahmen, aber auch wegen unterschiedlicher Weltanschauung und kultureller Hintergründen, kommt es im Staat X – besonders in Großstädten – zu Demonstrationen, großen Partys, Unruhen und sogar zu Krawallen. In allen Fällen handelt es sich um sehr viele Menschen – von einigen Hundert bis hin zu Hunderttausenden – die sich im Freien versammeln und je nach ihrem Verständnis für demokratische Werte und Freiheiten, aber auch nach ihrer Einstellung zu Aggression und Gewalt ganz unterschiedlich handeln. Entweder demonstrieren sie friedlich mit Plakaten und Parolen oder sie randalieren, bedrohen und verletzten andere Menschen, werfen auf sie mit Flaschen, zerstören öffentliche Gegenstände, beschmieren Denkmäler oder Gebäude.
Sowohl während der Demonstrationen als auch während der Krawalle halten sich besagte Menschen weder an die Abstandsregeln noch tragen sie Mundschutz.
Wenn die Pandemie wirklich gefährlich ist, so wie es die Politiker und die zentralen Medien im Staat X vermitteln, und die Abstandsregeln und Maskenpflicht in der Öffentlichkeit sowie all die eingeführten Einschränkungen im gesellschaftlichen Leben tatsächlich für die Bekämpfung der Krankheit notwendig sind, dann drängen sich bei mir folgende Fragen auf:
- Spielt bei der Ausbreitung der Krankheit die Art der Menschenversammlung eine Rolle, solange die Menschen keinen Mundschutz tragen und sich an die Abstandsregeln nicht halten?
- Kann es sein, dass sich bei einer Menschenversammlung mit 3.000 Tausend („feiernden“) Menschen in einer Großstadt die Infektion langsamer (oder gar nicht) ausbreitet, als bei einer Menschenversammlung mit über 100.000 Tausend Menschen in einer anderen Großstadt? Oder dass der Weg der Ansteckung ein anderer ist?
- Spielen bei der Ausbreitung der Krankheit die Weltanschauungen der Menschen, die sich in der Öffentlichkeit versammeln, um zu demonstrieren oder um zu randalieren, eine Rolle, solange sie keinen Mundschutz tragen und sich nicht an die Abstandsregeln nicht halten?
- Kann es sein, dass die Krankheit bei den Partys, Krawallen und bei Demonstrationen bestimmter politischer Ausrichtung sich langsamer oder weniger verbreitet, als bei bestimmten anderen Demonstrationen, zum Beispiel der Demonstrationen, die sich gegen die eingeführten Einschränkungen richten?
Und nun zu Deutschland zurück. Wenn ich die Gefahr der Pandemie nach der medialen Berichterstattung der letzten Wochen einschätzen würde, dann wären alle vier Fragen mit „Ja“ zu beantworten.
Hier nun einige Beispiele dazu aus der Berichterstattung zu der Krawall-Nacht in Frankfurt in der Nacht zu 19.7.20 und zu der vergangenen friedlichen Demonstration am 1.8.2020:
DER SPIEGEL zu der Krawall-Nacht in Frankfurt in der Nacht zu 19.7.20
Polizeipräsident spricht von „Hagel von Flaschenwürfen“, 19.7.2020
Wörter Pandemie, Virus, Infektion: 0 Mal
Wort Corona: 0 Mal
Wörter Maske, Maskenpflicht, Mundschutz: 0 Mal
Wörter Abstand, (Abstands-)regeln: 0 Mal
Wörter Hygiene, Hygienevorschriften: 0 Mal
Wort Schutzmaßnahmen: 0 Mal
Zitate:
„Der Polizei zufolge hatten in der Nacht auf Sonntag etwa 3000 Menschen auf dem Opernplatz zunächst friedlich gefeiert. „Gegen ein Uhr begann die Stimmung zu kippen“, sagte Bereswill. Die Stimmung sei aggressiver geworden und es habe kleinere, auch körperliche Auseinandersetzungen zwischen den Feiernden gegeben.“
„Bei den 39 Festgenommenen handele es sich um Menschen, die als Flaschenwerfer identifiziert werden konnten. Es seien überwiegend junge Männer im Alter von 17 bis 21 Jahren.“
DER SPEGEL zu der Demonstration am 1. August in Berlin
Politik diskutiert über die Einschränkung der Versammlungsfreiheit, 3.8.2020
Wörter Pandemie, Virus, Infektion: 1 Mal
Wort Corona: 7 Mal
Wörter Maske, Maskenpflicht, Mundschutz: 4 Mal
Wörter Abstand, (Abstands-)regeln: 2 Mal
Wörter Hygiene, Hygienevorschriften: 3 Mal
Wort Schutzmaßnahmen: 1 Mal
Zitate:
„Mindestabstand und Maskenpflicht gelten als einfache und wirksame Mittel gegen die Ausbreitung des Coronavirus – doch bei der Großdemonstration am Samstag in Berlin wurden die Auflagen bewusst missachtet.“
„Wenn Zehntausende aggressiv dafür werben, Abstandsregeln nicht einzuhalten, dann ist das eine Gefährdung der öffentlichen Gesundheit“, sagte SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach bei NDR Info. Bei Demonstrationen sollte eine Maskenpflicht sowie eine Ausweispflicht verhängt werden, um Bußgelder durchsetzen zu können. „Natürlich darf man demonstrieren, aber nicht so, dass verloren geht, was in Wochen aufgebaut wurde“, sagte Lauterbach. „Das gefährdet Menschenleben und ruiniert die Wirtschaft.“
„Neben Corona-Leugnern und Impfgegnern waren auch viele Teilnehmer mit eindeutig rechtsgerichteten Fahnen oder T-Shirts in der Menge.“
Tagesschau.de/hessenschau.de zu der Krawall-Nacht in Frankfurt in der Nacht zu 19.7.20
Polizeipräsident „entsetzt“ über Randale am Opernplatz, 19.7.2020
Wörter Pandemie, Virus, Infektion: 0 Mal
Wort Corona: 1 Mal
Wörter Maske, Maskenpflicht, Mundschutz: 0 Mal
Wörter Abstand, (Abstands-)regeln: 0 Mal
Wörter Hygiene, Hygienevorschriften: 0 Mal
Wort Schutzmaßnahmen: 0 Mal
Zitate:
„Auf dem Opernplatz hatten nach Polizeiangaben zunächst rund 3.000 Menschen friedlich gefeiert. Doch dann kippte die Stimmung. Hunderte Menschen randalierten und lieferten sich eine stundenlange Auseinandersetzung mit der Polizei.“
„Laut Polizeipräsident Bereswill reiht sich das Geschehen in die Vorkommnisse der vergangenen Wochenenden ein. Seit mehreren Wochen werde an Opernplatz und Hafenpark ebenso gefeiert wie auf vielen kleineren Plätzen in der Stadt.“
„Die Freiluft-Partys verliefen meist friedlich, zu später Stunde verhielten sich die Teilnehmenden jedoch zunehmend enthemmt.“
tageschau.de zu der Demonstration am 1. August in Berlin
Schärfere Auflagen, härtere Strafen?, 3.8.20
Wörter Pandemie, Virus, Infektion: 2 Mal
Wort Corona: 16 Mal
Wörter Maske, Maskenpflicht, Mundschutz: 0 Mal
Wörter Abstand, (Abstands-)regeln: 5 Mal
Wörter Hygiene, Hygienevorschriften: 2 Mal
Wort Schutzmaßnahmen: 0 Mal
Zitate:
„Unions-Innenexperte Armin Schuster hat eine Wiederholung von Corona-Großdemonstrationen wie am Wochenende in Berlin grundsätzlich infrage gestellt. Mit Blick auf die Verstöße gegen die Hygieneregeln bei der Demo sagte der CDU-Politiker der „Rheinischen Post“: „Solche Demonstrationen sind eine Gefahr für die Allgemeinheit.“
„Die Demonstrationsfreiheit sei „ein besonders wichtiges Rechtsgut“, sagte Bundesjustizministerin Christine Lambrecht der „Süddeutschen Zeitung“. Jedoch müssten die Auflagen zur Eindämmung der Pandemie eingehalten werden, um andere nicht zu gefährden. „Mir fehlt jedes Verständnis für Demonstranten, die sich hierüber selbstherrlich hinwegsetzen“, sagte die SPD-Politikerin.““
„Bei der Demonstration von gut 20.000 Kritikern der Corona-Politik am Samstag in Berlin waren die Auflagen bewusst missachtet worden. Neben Corona-Leugnern und Impfgegnern waren auch viele Teilnehmer mit eindeutig rechtsgerichteten Fahnen oder T-Shirts in der Menge.“
tagesspiegel.de zu der Krawall-Nacht in Frankfurt in der Nacht zu 19.7.20
Polizisten in Frankfurt massiv angegriffen – Krawallnacht ist absoluter „Höhepunkt“, 19.7.20
Wörter Pandemie, Virus, Infektion: 0 Mal
Wort Corona: 0 Mal
Wörter Maske, Maskenpflicht, Mundschutz: 0 Mal
Wörter Abstand, (Abstands-)regeln: 0 Mal
Wörter Hygiene, Hygienevorschriften: 0 Mal
Wort Schutzmaßnahmen: 0 Mal
Zitate:
„In der Nacht zum Sonntag war es nach zunächst friedlichen Feiern in der Innenstadt mit insgesamt rund 3000 Menschen zu gewaltsamen Ausschreitungen auf dem Opernplatz gekommen.“
„In den vergangenen Wochen hatte sich der Opernplatz in Frankfurt zur Freiluft-„Partyzone“ entwickelt. An den Wochenenden waren Tausende Menschen zusammengekommen, um auf dem Platz zu feiern. Dabei war die Stimmung meist friedlich.
Der Frankfurter Polizeipräsident Gerhard Bereswill sieht die Krawalle nun als „absoluten, negativen Höhepunkt“ der vergangenen Wochen. „Das ist sehr schlimm, was sich da entwickelt und heute Nacht entladen hat“, sagte Bereswill am Sonntag.“
tagespiegel.de zu der Demonstration am 1. August in Berlin
Hätte die Corona-Großdemo geräumt werden müssen?, 2.8.20
Wörter Pandemie, Virus, Infektion: 5 Mal
Wort Corona: 20 Mal
Wörter Maske, Maskenpflicht, Mundschutz: 5 Mal
Wörter Abstand, (Abstands-)regeln: 4 Mal
Wörter Hygiene, Hygienevorschriften: 6 Mal
Wort Schutzmaßnahmen: 2 Mal
Zitate:
„Sie reisten aus der gesamten Republik an und ignorierten aus Prinzip Maskenpflicht und Abstandsregeln: Diese Ignoranz von rund 20.000 Coronaskeptikern sorgte am Wochenende nicht nur in Berlin für Wut und Kopfschütteln.“
„Die im Grundgesetz verankerten Rechte auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit sind zwei der höchsten Verfassungsgüter. Laut der Infektionsschutzverordnung sind alle politischen Versammlungen in Berlin wieder erlaubt. Allerdings müssen die Veranstalter ein Hygienekonzept erstellen und dafür sorgen, dass es eingehalten wird.
Generell können Demonstrationen unter freiem Himmel nur eingeschränkt werden, wenn die öffentliche Sicherheit unmittelbar gefährdet ist – wenn also zu erwarten ist, dass die Polizei Demonstranten und unbeteiligte Passanten nicht mit vertretbaren Mitteln schützen kann.
Inzwischen werden in den Medien bereits Forderungen laut, die Versammlungsfreiheit einzuschränken. Zum Schutz der Bürger, heißt es.
Im heutigen Artikel der F.A.Z. „Versammlungsfreiheit auf dem Prüfstand“, in dem übrigens Wörter Corona, Pandemie, Abstand und Maske insgesamt mehr als 10 Mal vorkommen, debattieren Politiker nun über das Grundrecht der Versammlungsfreiheit und ziehen die Einführung von Sanktionen bei der Verletzung der Hygieneregeln in Erwähnung:
„Die stellvertretende Regierungssprecherin Ulrike Demmer sagte, „die Bilder, die wir am Wochenende sehen mussten, sind inakzeptabel“. Viele Demonstranten hätten „das hohe Gut der Demonstrationsfreiheit“ ausgenutzt. Die Teilnehmer sollten sich auch fragen, was es bedeute, wenn sie Seite an Seite mit Menschen demonstrierten, die „rechtem Gedankengut und Verschwörungstheorien“ anhingen. Die Demonstrationsfreiheit sei „ein besonders wichtiges Rechtsgut“, sagte Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) der „Süddeutschen Zeitung“. Jedoch müssten die Auflagen zur Eindämmung der Pandemie eingehalten werden, um andere nicht zu gefährden. „Mir fehlt jedes Verständnis für Demonstranten, die sich hierüber selbstherrlich hinwegsetzen.“
Ministerium der Wahrheit, George Orwell, 1984:
„Krieg ist Frieden; Freiheit ist Sklaverei; Unwissenheit ist Stärke.“
Abschließend möchte ich ausdrücklich betonen, dass ich mit dieser Analyse und mit den Beispielen keineswegs die Ereignisse selbst bewerten möchte. Dies ist auch bei einem gesunden Menschenverstand und einem stabilen moralischen Kompass nicht nötig. Ich möchte lediglich auf die Wortwahl und die Formulierungen der Berichterstatter eingehen – die sie als Instrument der Manipulation benutzen – um deren Bewertung der Ereignisse zum Vorschein zu bringen und deren moralischen Kompass bei der Einschätzung der Ereignissen in ihrem eigenen Land in Frage zu stellen.
Ekaterina Quehl ist gebürtige St. Petersburgerin und lebt seit über 15 Jahren in Berlin. Pioniergruß, Schuluniform und Samisdat-Bücher gehörten zu ihrem Leben wie Perestroika und Lebensmittelmarken. Ihre Affinität zur deutschen Sprache hat sie bereits als Schulkind entwickelt. Aus dieser heraus weigert sie sich hartnäckig, zu gendern. Mit 27 kam sie nach einem abgeschlossenen Informatik-Studium aus privaten Gründen nach Berlin und arbeitete nach ihrem zweiten Studien-Abschluss viele Jahre als Übersetzerin, aber auch als Grafik-Designerin. Mittlerweile konzentriert sie sich beruflich fast ausschließlich auf Design und studiert neben ihrem Beruf noch Design und Journalismus. Ihr Blog „Mein Leben in den Zeiten von Corona“ ist hier zu finden.
Bild: iXimus/Pixabay, OpenClipart-Vectors/Pixabay, Freepik, Ekaterina Quehl (bearbeitet)