Der weiße alte Mann als „Wichser“: Ist Rassismus eine Einbahnstraße?

Die Debatte um Rassismus in Deutschland hat eine erhebliche Schlagseite. Wer auch nur davon spricht, dass Rassismus keine Einbahnstraße ist, wird sofort angefeindet. Dabei sind heute zumindest „alte weiße Männer“ – was ja zu einem Kampfbegriff wurde – selbst vor Aggressionen aufgrund ihres Geschlechts, Alters und Hautfarbe nicht mehr immer sicher.

Nachdem ich 2017 gemeinsam mit einer alten Frau als „Nazi“ beschimpft wurde, weil sie einen mutmaßlichen Fahrraddieb mit Migrationshintergrund stellte und ich ihr dann zur Hilfe kam, als dieser aggressiv wurde, erreichte mich eine erschütternde Mail von einem Bekannten und Nachbarn – Professor Adomeit. Er erteilte mir die Erlaubnis, sie abzudrucken – was heute schon einigen Mut erfordert. Aus gegebenem Anlass, weil die Begebenheit nichts an Aktualität verloren hat – im Gegenteil – sei seine Mail von 2019 hier wiedergegeben:

Lieber Boris,

wir sollten uns mal wieder zum Info-Austausch treffen. Dieses Mal aus Anlass einer Begebenheit, die mich total schockiert hat und die mich an Deinen Bericht darüber erinnert, als Du gegen einen versuchten Fahrradklau in Charlottenburg vorgehen wolltest.

Worum geht es?

Ich bin gerade – noch ziemlich benommen – von der Kreuzung Pestalozzistraße/Wilmersdorferstraße zurückgekommen.

Auf der Kreuzung saß ein Schwarzafrikaner, der ein großes Schachbrett mit Figuren vor sich hatte und einige Zeichnungen. Aber er hatte auch ein Stereogerät, das so laut war, dass ich mich nicht auf einen Artikel, an dem ich gerade sitze, konzentrieren konnte.

Ich hatte ihn höflich gebeten, die Lautstärke herunterzufahren.

Er hatte erst einmal gar nicht die Gelegenheit zu antworten. Da schrie mich eine Meute von vier bis fünf umstehenden Passanten an, zwei oder drei mit undefinierbarem Migrationshintergrund: Du Schwein, Wichser, Arschloch, er dürfe da „Musik machen“, was fiele mir denn ein … ,, Blödmann, Schwachkopf …

In der Zwischenzeit hatte der Stereobetreiber die Musik leise gestellt.

„Mach die Musik wieder laut!“, wurde er angefahren.

Eine Frau beugte sich nieder und suchte tatsächlich nach dem Lautstärkeknopf, um ihn wieder auf volle Lautstärke zu drehen.

Ein anderer Gaffer packte mich an den Schultern und schrie mich an.

Die Ironie der Geschichte: Der Schwarzafrikaner war total friedlich. Auf English: “Don’t worry about it. I well understand. Don’t mind these people.”

Ich kann es nicht fassen. Was geht hier vor?

Professor Adomeit 1942 geboren und ein Mensch mit Umgangsformen, wie man sie heute sonst eher in alten Filmen erlebt. Er hat die Geduld und die Zurückhaltung eines britischen Aristokraten. Ich würde die Hand ins Feuer legen, dass er sich auch bei dem geschilderten Vorgang alle Anstandsregeln einhielt.

Ich musste seine Mail mehrfach durchlesen. Ich fragte mich: Was sollte ich dem Professor antworten? Was wir erleben, ist nicht nur ein Zerfall eines Rechtsstaates. Es ist auch eine Pervertierung von Begriffen und ein Umdrehen von Problemen. Fremdenfeindlichkeit gibt es, kein Zweifel. Aber sie wird thematisiert und ist richtigerweise verpönt. Feindlichkeit von Fremden gegen Deutsche ist ein Tabu-Thema. Nicht sie ist verpönt, sondern das Sprechen und Berichten darüber. Den vielen Geschichten zufolge, die ich höre, sind Erlebnisse wie das von Professor Adomeit und mir mit dem mutmaßlichen Fahrraddieb alles andere als Ausnahmefälle. Wer selbst Erlebtes berichten kann, den bitte ich, das zu tun (über das Kontaktformular hier oder in den Kommentaren unten) – Anonymität auf Wunsch gerne garantiert.


Bilder: Pixabay

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