Die Frankfurter Rundschau spielte mit einer Überschrift zu Netanjahus Wahlsieg an eines der übelsten antisemitischen Machwerke der Nazis an. Solche antisemitischen Ausrutscher sind keine Ausnahme in deutschen Medien. Ressentiments gegen Juden von links und von Muslimen sind weitgehend tabu.
„Der ewige Jude“ war ein antisemitischer Propagandafilm der Nazis. Er galt als eines der aggressivsten und übelsten Machwerke seiner Art. Hitler und Goebbels hatten persönlich starken Einfluss genommen und Änderungen veranlasst. Umso erstaunlicher, dass die Frankfurter Rundschau, lange Jahre das publizistische Flaggschiff der Linken in Deutschland, nun in der Überschrift seines Leitartikels zum Sieg von Benjamin Netanjahu in Israel ausgerechnet auf dieses Machwerk des nationalsozialistischen Antisemitismus anspielt – mit dicken Buchstaben in der Überschrift: „Der ewige Netanjahu“.
Der Begriff vom „ewigen Juden“ geht weit zurück – es ist eine Gestalt aus der christlichen Legendenbildung des Mittelalters. Die Legende erzählt von einem Mann in Jerusalem, der Christus auf dem Gang zur Kreuzigung beleidigte und dafür von ihm zur ewigen Rastlosigkeit verdammt wurde. Um das ganze Ausmaß der Ungeheuerlichkeit der Anspielung in der Frankfurter Rundschau zu verstehen, muss man sich den Hetz-Film der Nazis näher betrachten. Nach den Worten seines Regisseurs Fritz Hippler (1909-2002) war er eine „Symphonie des Ekels und des Grauens“. Genau diese Gefühlsregungen sollte der angebliche „Dokumentarfilm“ mit der Darstellung „typisch jüdischer Fratzen“ beim deutschen Publikum erzeugen. Auftraggeber war Propagandaminister Joseph Goebbels. „Die Aufnahmen wurden zum größten Teil im Ghetto von Lodz gedreht, aber auch in Warschau, Krakau und Lublin. Die infolge der beengten Wohn- und schlechten Hygieneverhältnisse katastrophalen Lebensbedingungen in den Ghettos nach der deutschen Besetzung Polensdienten den Nationalsozialisten als Beweis eines angeblich unzivilisierten und
daher minderwertigen Lebens der sogenannten Ostjuden“, heißt es in einem Artikel auf der Homepage des Deutschen Historischen Museums (DHM): „Jüdische Riten wie das blutige Schächten stellte ,Der ewige Jude´ als barbarisch und verabscheuungswürdig dar.
„Durch Geschichtsfälschung und Verknüpfungen von nicht zueinander passenden Bildern wurden dem Zuschauer unter dem Deckmantel eines Dokumentarfilms antisemitische Vorurteile unterbreitet“, heißt es beim DHM weiter. Verknüpfung zueinander passender (Sprach-)Bilder, Unterbreiten von Vorurteilen – das kann man auch dem Autor der Überschrift in der Frankfurter Rundschau vorwerfen, und den Kollegen, die sie durchgehen ließen. Ob sie sich der Analogie bewusst waren, sei dahingestellt: Zumindest unterbewusst sind sie offenbar einem antisemitischen Erbe auf den Leim gegangen.
Leider ist dies keine Ausnahme im deutschen Journalismus. Eher hat man den Eindruck, in vielen Medien sei es die Regel. Vor knapp einem Jahr veröffentlichte die Süddeutsche Zeitung eine Karikatur über Netanjahu, die mehrere antisemitische Stereotypen bediente. Auf der Zeichnung von Dieter Hanitzsch war die israelische Sängerin und Gewinnerin des Eurovision Song Contest Netta Barzilai zu sehen mit den Gesichtszügen des israelischen Premierministers, mit den für antisemitische Karikaturen typisch überzeichneten großen, abstehenden Ohren, und deutlich vergrößerten Lippen und Nase.
Die Süddeutsche Zeitung wurde auch in den Vorjahren wiederholt für antisemitische und rassistische Karikaturen kritisiert. So bildete sie etwa Facebook-Chef Mark Zuckerberg als hakennasige Krake ab, oder Israel als gefräßiges Monster. Nicht nur die Süddeutsche fällt hier negativ auch. Auch etwa der Spiegel, dessen Miteigentümer Jakob Augstein einer der heftigsten Israel-Kritiker ist.
Der Journalist Filipp Piatow verfolgt seit langem akribisch, wie verzerrt Nachrichten aus Israel in Deutschland oft wiedergegeben werden:
Die Journalistin Andrea Kiewel hat sich in einem offenen Brief an ihre Kollegen darüber beschwert, dass sie so oft am Thema Israel scheitern; sie beschreibt ausführlich ein Beispiel für irreführenden Berichte in Tagesschau der ARD und appelliert: „Liebe Kolleginnen und Kollegen, (…) man muss Israel nicht mögen. Man kann diesen Staat kritisieren, sich zur Brust nehmen und ihm viele Fragen stellen. Man muss aber, wenn man Journalist ist, die Wahrheit berichten. (Details hier)
Das mag stimmen, aber genau das ist ein Teil des Problems. Dass der Antisemitismus unterschwellig ist und von denen, bei denen er zum Vorschein kommt, nicht als solcher wahrgenommen wird – sondern als Normalität. Sie finden einfach nichts dabei. So alltäglich wie die Bekenntnisse zu Israel und zur historischen Verantwortung in Sonntagsreden ist die Demonstration des Gegenteils in der deutschen Praxis. Egal, ob der Bundestag Israel in der UN quasi zum Abschuss frei gibt (siehe hier), ob der Merkel-Vertraute und UN-Botschafter Christoph Heusgen Terroranschläge auf Israel relativiert (siehe hier), ob vor den Augen der Polizei am Brandenburger Tor israelische Flaggen verbrannt werden, ob mit deutschen Steuergeldern die Palästinensische Autonomie-Behörde finanziert wird, die wiederum inhaftierten Terroristen Gehälter zahlt und selbst Hinterbliebenen von Selbstmordattentäter Millionenbeträge auszahlt, oder ob ein jüdischer Gastronom in Berlin um sein Leben fürchten muss, weil die Behörden nicht vorgehen gegen Menschen, die ihn ständig attackieren und mit dem Tod bedrohen (siehe hier). Die Liste ließe sich erschreckend lange fortsetzen.
Regelmäßig werden zudem der Holocaust und die Verbrechen der Nationalsozialisten auch verharmlost, indem sie im innenpolitischen Kampf instrumentalisiert werden. Etwa indem der politische Gegner als „Nazi“ diffamiert wird – was die wirklichen Nazis geradezu verniedlicht. Das jüngste Beispiel für die ständigen Entgleisungen dieser Art ist ein Beitrag des Sozialdemokraten Karl Lauterbach auf twitter (den er später löschte):
Vor allem linker und muslimischer Antisemitismus sind in Deutschland bei vielen tabu. Sie hätten davor mehr Angst als vor rechtem Antisemitismus, beklagen manche Juden in Deutschland – wollen sich damit aber namentlich nicht zitieren lassen, aus Angst vor noch stärkeren Anfeindungen und Attacken. Es geht soweit, dass Nachfahren von Holocaust-Überlebenden von linken als „Nazis“ beschimpft und in ihrer Existenz bedroht werden, weil sie offen gegen muslimischen Antisemitismus in Deutschland aktiv werden und über diesen berichten.
Die Frankfurter Rundschau hat inzwischen in ihrer Online-Ausgabe die Überschrift des Leitartikels geändert – in „der unersetzliche Netanjahu“. In der Printausgabe ist die Anspielung auf das antisemitische Hetzwerk allerdings nicht mehr aus der Welt zu schaffen und zehntausendfach beim Leser. Zumindest entschuldigte dich die Redaktion – auch für die die eigene „Geschichtsvergessenheit“. Das ist zumindest ein Schritt in die richtige Richtung. Gleichzeitig wird im Einstieg der Geschichte aber immer noch die Kräfte in Israel, die der Autorin ganz offensichtlich nicht geheuer sind, pathologisiert: „Rechte Likud-Anhänger treibe eine Art Sucht, hat sich einmal ein israelischer Psychiater mokiert.“
Der Artikel wirkt nicht neutral; und rümpft die Nase über die Wähler in Israel wegen ihrer Wahlentscheidung: „Für Israels Demokratie lässt das nichts Gutes erwarten.“ Die Autorin stellt auch im Text implizite Beziehungen zum Nazionalsozialismus her, wie die taz beklagt: „Netanjahu sei es „mit dem Griff in die alte Trickkiste“ gelungen, von den Bestechungsvorwürfen gegen ihn abzulenken. ,Einen kostenfreien Persilschein´ bekomme er dafür von seinen ,Partnern von ultrarechts nicht. In der Entnazifizierung wurde der Begriff ,Persilschein´ für die Entlastung von nationalsozialistischen Straftätern verwendet. Weiter heißt es in dem Kommentar, die Partei des alten und wohl auch neuen Regierungschefs habe „gewaltigen Appetit, sich besetzte Gebiete einzuverleiben“. Die taz schreibt dazu: „Zur entmenschlichenden nationalsozialistischen Bildsprache, die Juden als Angst auslösende Heuschreckenplage darstellte, ist es hier auch nicht mehr weit.“ Das mag überspitzt sein. Dennoch bleibt fraglich, wie ernst die Entschuldigung der Redaktion zu nehmen ist. Künftige Schlagzeilen und Artikel werden zeigen, ob sie ihre Lektion wirklich gelernt hat.
Denn vor allem eine Lehre scheinen manche Deutsche aus ihrer Geschichte nicht gezogen zu haben: Dass man sich im Land, dessen Bewohner einst den Holocaust verübten, nicht laut und selbstgerecht darüber erregen sollte, wenn das Land, in dem die Nachfahren der Opfer leben, heute wehrhaft ist und alles tut, um nicht wieder zum Opfer zu werden. Gerade links und pazifistisch eingestellte Politiker und Journalisten in Deutschland wirken regelrecht besessen von Israel; während sie in anderen Weltgegenden oder bei Israels Gegnern gerne wegschauen oder ein bis zwei Augen zudrücken, wird Israel ständig an höchsten Maßstäben gemessen, für zu aggressiv befunden und verurteilt. Ausgerechnet deutsche Journalisten und Politikern wollen den Juden ständig vorschreiben, welche richtigen Schlüsse sie aus den von Deutschen an ihnen begangenen Verbrechen zu ziehen haben. Das reicht bis zur Empörung darüber, dass Juden sich in der AfD zusammenschließen. Die Nachfahren der Täter fühlen sich offenbar berufen, eine Art „Bewährungshelfer“ für die Nachfahren der Opfer zu geben.