Ein Gastbeitrag von Dr. Peter Seidel
Hans-Peter Schwarz war ein Streiter. Ein Streiter auf höchstem Niveau. Immer wieder hat der etablierte Bonner Politikprofessor unzeitgemäße Betrachtungen vorgelegt und Fehlentwicklungen, vornehmlich in der deutschen Außenpolitik, beim Namen genannt. Eingebettet allerdings in grundsätzliche Bedenken gegenüber einer “alles in allem doch epigonalen politischen Klasse der Bundesrepublik“. Was ist dabei herausgekommen?
Aufschluß darüber geben die Lebenserinnerungen des 2017 verstorbenen Schwaben, seine letzte Publikation, jetzt herausgegeben von seinem Schüler Hanns Jürgen Küsters. Ursprünglich nur für einen kleinen Kreis enger Verwandter geschrieben, weitete sich das im Folgenden auf die Darstellung der entscheidenden politischen Kontroversen und auf die Betrachtung der bundesdeutschen Größen aus Politik und Gesellschaft. Begleitet vom „Kummer darüber, daß etwas Kostbares zu Ende geht: der demokratische, selbstbestimmte deutsche Nationalstaat und die Identität des tüchtigen, wenngleich seiner selbst unsicheren deutschen Volkes, das Besseres verdient hätte“, wie er im Vorwort schreibt.
In dreizehn Kapiteln schildert Schwarz seinen Weg, beginnend mit seiner Kindheit im 3. Reich, die turbulenten siebziger Jahre, die er als jüngster deutscher Professor im Alter von 32 Jahren erlebte, neue Ostpolitik, Nachrüstung, Wiedervereinigung, Euroeinführung, um nur die wichtigsten seiner Themen zu nennen. Einen Namen machte er sich als Biograph von Adenauer und Kohl, für die interessierte Öffentlichkeit schrieb er Streitschriften mit so plakativen Titeln wie „Die gezähmten Deutschen“, „Die Zentralmacht Europas“, und, inzwischen wieder pessimistischer gestimmt, “Republik ohne Kompaß“. Insbesondere diese Schriften machen sein öffentliches Erbe aus, wie auch die Lebenserinnerungen zeigen.
Schwarz schreibt auch hier gut begründet und stilistisch ausgefeilt, als Patriot, eine „zwischen Sorge und Leichtsinn oszillierende Zeitstimmung“ konstatierend. Und trotz des Titels gibt es kein eigenes Kapitel über Angela Merkel, nur deutlich skeptische Aussagen zu den Ergebnissen ihrer Politik, und, vor allem, das knappe, lakonische Urteil, sie sei einfach „fehlprogrammiert“! Wie sehr ihn die jüngste Entwicklung im Land beschäftigte zeigt insbesondere das letzte Kapitel, „Gedanken beim Recycling des eigenen Lebensgangs“ überschrieben. Hier könnten wirklich unzählige treffende Bemerkungen wiedergegeben werden, denn Schwarz hat seine Betrachtungen auch niemals auf Deutschland beschränkt. Ein Beleg dafür: „Die Eliten, die heute dran sind, ermangeln der Härte und der historischen Erfahrung. Angela Merkel ist geradezu die Inkarnation des Nanny State. Doch Boris Johnson, Marine Le Pen, Wilders, Gauland, Beppo Grillo sind gleichfalls auf ihre Art närrisch und erwecken so wenig Zutrauen wie das Establishment.“
Es wird nicht jedermanns Sache sein, sich mit den doch recht umfangreichen und stellenweise auch ermüdenden hochschulpolitischen Teilen der Erinnerungen, den Karrierewegen eines Politikprofessors, der Beschreibung seiner schriftstellerischen Projekte, der Gremienarbeit usw. zu beschäftigen, vor allem, wenn man nicht gerade Politik studiert. Was also bleibt vom Lebenswerk des H.P. Schwarz, von seinen Erinnerungen? Man muß es leider sagen: Je dramatischer die zukünftigen Entwicklungen sich vollziehen werden, und Schwarz vermutete schon früh, daß sie dramatisch würden, umso mehr. Denn Schwarz war kein rückwärtsgewandter Prophet, er hat die Dinge immer rechtzeitig beim Namen genannt. Doch wie geht noch mal das Wort vom Propheten, der im eigenen Land nicht gelte? Schwarz hatte Geltung. Bereits zu Lebzeiten. Das zeichnete ihn, das zeichnet seine Erinnerungen aus.
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Dr. Peter Seidel, Public-Affairs-Berater und Autor, Frankfurt/Main
Bild: Shutterstock
Text: Gast
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