Die Intoleranz der Toleranz-Prediger

„Unerwünschter Künstler“: Das klingt wie ein Begriff aus dem Wörterbuch der Unmenschen. Aus finsteren, totalitären Zeiten, die längst vergangen sind. Sollte man glauben. Aber genau das, „unerwünscht“ zu sein wegen seiner politischen Ansichten, widerfährt heute dem Musiker Xavier Naidoo.

Die Stadt Dortmund möchte einen Auftritt von ihm verhindern, der für Anfang September geplant ist. Naidoos Konzert sei nicht vereinbar mit dem Charakter einer weltoffenen und toleranten Stadt, schreibt die Verwaltung der Ruhrmetropole in einer Pressemitteilung. Und bemerkt dabei gar nicht, wie absurd das ist: Ausgerechnet im Namen der Toleranz massive Intoleranz an den Tag zu legen. Wer Menschen mit Meinungen, die er nicht teilt, die Ausübung ihres Berufes verbieten will, handelt totalitär.

Der Vorwurf gegen den Sänger: Er habe Kontakte zur rechtsradikalen Identitären Bewegung und äußere sich mit «rassistischer und antidemokratischer Tendenz“. Oberbürgermeister Ullrich Sierau (SPD) hat das Thema laut NZZ zur Chefsache gemacht. «Wir wollen Xavier Naidoo nicht in unserer Stadt und auch nicht jene Anhänger seiner Musik, die seine Positionen teilen», sagte er. «Naidoo und seine Äußerungen passen nicht hierher.»

Eine absurde Denkweise. Dürfen dann nur noch Künstler auftreten, die ideologisch zum Zeitgeist bzw. dem Regierenden passen? Brauchen Sie dazu eine Art Unbedenklichkeitsbescheinigung? Von wem? Wer entscheidet, was wohin „passt“? Eine Kommission für „passende Kunst“? Da Naidoo ein Konzert plant, gibt es offenbar auch Menschen, die ihn anhören wollen, und dafür sogar bereit sind, Geld zu bezahlen. Er scheint also für eine nicht ganz winzige Zahl von Bürgern „hierher zu passen“.

Das Verhalten der Verantwortlichen in Dortmund ist zutiefst undemokratisch und intolerant und erinnert an autoritäre Staaten. Und leider ist das keine Ausnahme. Auch in anderen Städten gibt es Bedenken gegen Auftritte des Musikers. Focus titelt etwa: “´Wollen ihn nicht in unserer Stadt´: Gemeinden boykottieren Naidoo-Konzerte.“ Viele Medien empören sich weniger über die Intoleranz als darüber, dass etwa die AfD sich über diese Intoleranz empört.

Naidoo mag die Provokation zum Geschäftsmodell gemacht zu haben. Viele seiner Aussagen ecken an, ja sind schwerer Tobak. Aber Demokratie und Freiheit bestehen darin, auch Meinungen zu ertragen, bei denen das nicht leicht fällt. So bedenklich es schon war, dass der Fernsehsender RTL Naidoo nach seinem umstrittenen Video über Migranten aus der Jury der Sendung «Deutschland sucht den Superstar» warf: Der Versuch, ihn mit Auftrittsverboten zu belegen, hat eine neue Qualität in Sachen Demokratiefeindlichkeit.

Dass politisch „falsche“ Ansichten in Deutschland 75 Jahre nach dem Ende des Nationalsozialismus und 30 Jahre nach dem Ende der sozialistischen Diktatur wieder zu Auftrittsverboten führen, zeigt, dass wir als Gesellschaft wenig aus der Geschichte gelernt bzw. die falschen Schlüsse gezogen haben. Es ist salonfähig geworden, im Kampf gegen das Böse dessen Mittel anzuwenden. So schwer es vielen fallen mag, das zu verstehen: Selbst, wenn Naidoo ein Rassist wäre – und wem steht es zu, da ein Urteil zu fällen: Im Grundgesetz steht nirgends, dass die Grundrechte nicht für Rassisten gelten. Niemand wird gezwungen, auf seine Konzerte zu gehen. Und solange er dort keine strafbaren Inhalte verbreitet, darf niemand diese Konzerte verbieten.

Dass so viele in unserer Gesellschaft unfähig sind, abweichende Meinungen zu ertragen, sollten wir nicht auf die leichte Schulter nehmen. Es zeigt, wie schwach Demokratie und freiheitliches Denken in Wirklichkeit bei uns verankert sind. Wer keinen Widerspruch ertragen kann, offenbart damit eigene Unsicherheit. Auch in Sachen Demokratie: Wer die verinnerlicht hat, braucht sich nicht zu fürchten vor „falschen Meinungen“. Wer vor diesen geschützt werden will, offenbart damit autoritäres Denken.

Das Phänomen ist leider nicht neu. So wurden nach Akif Pirinçcis Skandal-Rede bei Pegida 2015 seine Katzen-Bücher in Mithaftung genommen, sie verschwanden aus den Regalen. „Jetzt haben sie sogar die Katzenbücher aus dem Programm genommen. Was können denn die armen Katzen dafür?“, fragte der Autor. Tatsächlich drängt sich die Frage auf, ob viele hierzulande nichts aus der Verbrennung von Büchern gelernt haben.

Die Intoleranz der Hyper-Toleranten war gerade auch wieder im Stuttgarter Landtag zu beobachten. Dort provozierte der parteilose Landtagsabgeordnete Heinrich Fiechtner das Hohe Haus. Er warf Landtagspräsidentin Muhterem Aras (Grüne) vor, den Parlamentarismus in Zeiten der Krise auszuhebeln. Und er monierte, das Parlament verkomme zur Schwatzbude. Fiechtners Rede war schwerer Tobak. Viel schwerer wiegt aber, wie unprofessionell mit diesen Provokationen die Landtagspräsidentin umging – eine Parteifreundin von Joschka Fischer, der einst den amtierenden Bundestags-Vizepräsidenten im Parlament als „Arschloch“ beschimpfte und dafür glimpflich davonkam. Der so böse beschimpte Richard Stücklen blieb souverän.

Ganz anders Muhterem Aras. Sie drehte Fiechtner immer wieder das Mikrophon ab, so als wolle sie seine Vorwürfe bestätigen. Schließlich lief sie aufgeregt aus dem Saal. Als Fiechtner nach einigem Hin und Her schließlich doch das Rednerpult frei machte und sich auf seinen Platz setzte, ließ ihn Aras von der Polizei abführen. So sehr Fiechtner überzogen haben mag – so armselig ist die Reaktion der Landtagspräsidentin, die mit ihrem Amt offensichtlich massiv überfordert ist und genau das Gegenteil von dem erreicht, was sie offenbar möchte: Sie bietet Fiechtner eine Show. Das Video des Auftritts wollte ich hier verlinken. Bis gestern Abend war es abzurufen auf youtube. Inzwischen erscheint dort nur noch der Hinweis: „Video nicht mehr verfügbar“ (siehe hier). Das ist bedauerlich. Denn es ist ein Dokument der Verrohung der Sitten in Deutschland – nicht nur der Parlamentarischen. Und der Spaltung und zunehmenden Konfliktunfähigkeit unserer Gesellschaft.

Interessant ist auch, wie sehr mit doppeltem Maß gemessen wird. Die linksextreme Gruppe „Feine Sahne Fischfilet“ ist selbst bei vom Staat geförderten Konzerten wie „Wir sind mehr“ in Chemnitz im September 2018 gerne gesehen. Ihre Auftritt hinderte nicht mal den Bundespräsidenten, für solche Konzerte zu werben. Obwohl die Band etwa im Verfassungsschutzbericht von Mecklenburg-Vorpommern erwähnt wurde und keinen Hehl aus ihrer Verachtung für Recht und Ordnung und die Ablehnung des staatlichen Gewaltmonopols macht. „Die nächste Bullenwache ist nur ein Steinwurf entfernt“, heißt es in beispielsweise in einem ihrer Songs. Oder: „Die Bullenhelme – sie sollen fliegen / Eure Knüppel kriegt ihr in die Fresse rein.“ Ob jemand wegen extremistischer Positionen ausgegrenzt oder gehätschelt wird, hängt offenbar davon ab, ob er links oder rechts extremistisch ist.


Bild: Shutterstock, Benutzer:Smalltown Boy/Public domain

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert