Stellen Sie sich vor, wir würden in einem Land leben mit einer funktionierenden Medienlandschaft, die sich als Kontrolleur der Regierung versteht. In diesem Land würde ein Minister sagen, dass ein Lockdown, der massiven Schaden für die Wirtschaft angerichtet hat und massiv die in der Verfassung garantierten Grundrechte der Bürger einschränkte, in der Form gar nicht notwendig war. Was glauben Sie, wie wäre die Reaktion der Medien? Das Thema würde ganz groß laufen, die Regierenden würden regelrecht gegrillt.
In Deutschland hat der Nordrhein-Westfälische Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) in der Talkshow von Ex-SED-Mitglied Maybritt Illner im ZDF vergangene Woche die folgenden Sätze gesagt:
„Heute würde Politik einen Lockdown nicht noch einmal so machen wie im März. Man würde es differenzierter umsetzen.“
sowie
„Wenn wir Mitte März gewusst hätten, was wir jetzt wissen, hätten wir gar keinen Lockdown gemacht.“
Der Virologe Prof. Dr. Jonas Schmidt-Chanasit, der mit in der Runde saß, nickte bei diesem herben Urteil und sagte: „Ja“.
Sucht man bei Google-News nach „Laumann“ und „Lockdown“, findet man bei den großen Medien lediglich beim ZDF, wo die Aussage gefallen ist, ein entsprechendes Ergebnis. Das Eingeständnis eines Ministers, das die Schlagkraft einer Bombe hatte, wurde somit faktisch totgeschwiegen von der so genannten „Qualitätspresse“. Laumann urteilte auch selbstkritisch, dass er den zweiten, kleinen Lockdown in Gütersloh nach einem Ausbruch in der Fleischfabrik Tönnies im Nachhinein auch nicht mehr richtig finde.
Man sollte nun meinen, in der Bundespressekonferenz müssten die Journalisten geradezu darauf brennen, die Regierung zu der Aussage des CDU-Politikers zu befragen, und massiv nachzubohren. Doch auch dort herrschte am Montag nur Schweigen dazu von den alteingesessenen Medien. Nur der russische Staatssender RT sprach das Thema an (siehe hier). Merkel-Sprecher Seibert antwortete mit stellenweisem Stottern: „Dazu wüsste ich gerne ein bisschen mehr über die Äußerungen des Gesndheitsministers von Nordrhein-Westfalen, als dass ich aus diesem einen relativ kurzen Satz das schon erschließen könnte…ich kann auf diesen kurzen Satz hin hier keinen Kommentar abgeben, außer dass ganz grundsätzlich gilt, dass niemand auf der Welt Erfahrung mit einer solchen Pandemie hat.“ Nachfragen gab es keine. Und obwohl die Frage ausdrücklich nicht nur an Seibert, sondern auch an den Sprecher des Gesundheitsministeriums gestellt war, ignorierte dieser sie. Und das schien auch keinem der Journalisten aufzufallen.
Dafür wurde etwa ausführlichst nach allen Details des Transports des russischen Oppositionspolitikers Alexej Nawalnij nach Deutschland gefragt. Etwa auch, ob man Snowden bei einer ähnlichen Erkrankung genauso nach Deutschland bringen würde. Es wurde auch gefragt, ob die Kosten für den Personalausweis um einen Euro steigen würden und warum noch vor der Ressortabstimmung das Landwirtschaftsministerium Gespräche mit den Verbänden zum Insektenschutzgesetz führe. Dieses wurde intensiv diskutiert, hier gab es auch kritische Nachfragen. Auch zum Champions-League-Sieg von Bayern München wurde gefragt. Ein Sinn für die wirklich wichtigen Themen.
Corona war nur ein Randthema. Merkel-Sprecher Seibert sagte: „Wir haben eine besorgniserregende Entwicklung der Infektionszahlen!“ Das ist doppelt falsch. Erstens handelt es sich bei den Zahlen nicht um Infektionszahlen, sondern um die Zahlen positiver Tests. Zweitens steigen diese nur in absoluten Zahlen, aber nicht im Verhältnis zur Zahl der Tests, die ständig erhöht wird. Selbst Gesundheitsminister Spahn hatte früher gesagt, dass eine höhere Zahl von Tests zu mehr positiven Ergebnissen führen würde.
Es gab auch hier keinerlei kritische Nachfrage von den anwesenden Journalisten. In solchen Momenten verstehe ich, warum die Bundespressekonferenz mich nicht als Mitglied haben will (siehe hier). Kurt-Tucholsky sagte einst: „Der geschickte Journalist hat eine Waffe: das Totschweigen – und von dieser Waffe macht er oft genug Gebrauch.“
Die Berichterstattung der öffentlich-rechtlichen Medien in der Corona-Krise war auch Thema einer Untersuchung von Wissenschaftlern der Uni Passau. Ihr Fazit nach einer Analyse des Programms von ARD und ZDF: Ein massenmedialer „Tunnelblick“ wurde erzeugt. Journalismus müsse differenzierter sein und Maßnahmen in der Corona-Pandemie auch grundsätzlich hinterfragen, so die Kritik der Wissenschaftler. Dies sei in den Beiträgen der Öffentlich-Rechtlichen aber nicht geschehen. Stattdessen überwiege das Bild: Individuelles Wohl wird eingeschränkt für das überwiegende Wohl.
Besonders bemerkenswert ist die Reaktion von ARD-Chefredakteur Rainald Becker auf die Vorwürfe. Er sagte, der Vorwurf eines „Tunnelblicks“ gehe an der programmlichen Realität im Ersten und an der Lebensrealität der Menschen vorbei. Der Chefredakteur des Senders, der laut Kritikern ständig an der Lebensrealität der Menschen vorbei sendet, wirft Kritikern vor, ihre Kritik an seinem Sender gehe an der Lebenswirklichkeit der Menschen vorbei. Das kann man sich nicht ausdenken.
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Bild: Screenshot Phoenix/Screenshot ZDFText: red