Es hat fast schon etwas von kognitiver Dissonanz. Auch die Printmedien geben sich in Sachen Corona ausgesprochen regierungstreu. Ein kritisches Hinterfragen der strikten Maßnahmen und gerade auch des Lockdowns findet nur selten statt. Dabei gehen eben diese Maßnahmen der Presse an die Existenz. Das zeigen die neuen Quartalszahlen der IVW, von der die Auflagen von Zeitungen und Zeitschriften gemessen werden. Diese Zahlen sind bislang nur bei gezielter Suche und dann auch nur in der Fachpresse zu finden. Dass sie eher unter dem Teppich gehalten werden, hat wohl einen sehr einfachen Grund: Sie sind dramatisch. Und sie werfen die Frage auf, ob viele Verlage nun eher auf die offenbar immer umfangreicher fließenden Staatsgelder für die Medien setzen als auf ihre Leser. Mit verheerenden Folgen. Denn die alte Aussage, „wes Brot ich ess, des Lied ich sing“, ist sicher auch bei den Medien nicht ganz ungültig.
Besonders hart hat Corona auch die Bild erwischt, die einen Schlingerkurs fährt: Einerseits sind bei ihr nach Jahren treuer Gefolgschaft zu Merkel und vor allem ihrer Migrationspolitik inzwischen auch kritische Töne zu hören. Andererseits ist das Blatt extrem staatstragend. Chefredakteur Julian Reichelt verkündete erst kürzlich, er werde keine Interviews mit der AfD mehr abdrucken. Die ist immerhin Oppositionsführer im Bundestag. Und dass die größte Zeitung im Land sich weigert, den Oppositionsführer zu Wort kommen zu lassen, erwartet man eher in autoritären Regimen als in Demokratien mit pluraler Medienlandschaft.
Laut Axel Springer, wo Bild erscheint, waren auf dem Höhepunkt der Pandemie zehn Prozent der Verkaufsstellen vorübergehend geschlossen, was den ohnehin rückläufigen Verkauf weiter beschleunigte. Inklusive der B. Z. ging die verkaufte Auflage des Boulevardblattes auf 1.232.221 Exemplare zurück. Das bedeutet ein Minus von sage und schreibe 17,4 Prozent. Zwar wuchsen gleichzeitig die Abos um 8 Prozent, aber oft handelt es sich dabei um besondere Bedingungen, die wenig in die Kasse bringen.
Zeitungen und Zeitschriften, die viele Bordexemplare für Fluggesellschaften zur Verfügung stellten, verloren wegen der massiven Einstriche im Flugverkehr bedeutende Teile ihrer Auflage. Beim Handelsblatt etwa sanken die Verkaufszahlen um rund 10 Prozent, nachdem die Menge der Bordexemplare von um die 25.000 Stück auf exakt neun Zeitungen im zweiten Quartal gesunken war. Als Vielflieger habe ich allerdings schon lange keine Handelsblatt-Bordexemplare mehr gesehen außer in Lounges, wie da 25.000 zustande kamen, ist mir ein Rätsel. Vielleicht digital? Oder handelt es sich um „Flughafenleichen“, wie es in Vereinen „Karteileichen“ gibt?
Auch die Süddeutsche Zeitung litt unter dem Rückgang der Bordexemplare, ihre verkaufte Auflage sank um rund neun Prozent auf knapp 308.000 Exemplare.
Größter Verlierer bei den überregionalen Tageszeitungen ist die Welt, die mit einer immer weiter nach links außen rückenden Redaktion konsequent gegen ihre eher bürgerliche Stammkundschaft anschreibt und diese auch oft, wie viele klagen, etwa aus der Kommentarspalte ausschließt. Die Auflage des einstmals konservativen Blattes sank um sage und schreibe 43 Prozent auf 68.098. Laut „Horizont“ kommen hier „neben der Coronakrise noch andere Effekte hinzu: Der Verlag hat die unwirtschaftliche Auflage radikal zusammengestrichen, zudem wurden aus Spargründen die Welt Kompakt und die Hamburger Regionalausgabe eingestellt.“ Dadurch sank auch die Abo-Auflage um 23,6 Prozent.
Massiv gesunken ist auch die Auflage der Welt am Sonntag: Um rund 36.000 Exemplare auf 348.006 Exemplare, wobei der Verlag auf die gestiegene harte Auflage (Abo+EV) verweist, die 1,7 Prozent über Vorjahr liegt. Die Bild am Sonntag verlor 11 Prozent Auflage und kommt noch auf 712.378 Exemplare. Bei der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung beträgt das Minus 19,4 Prozent und sie wird noch 190.624 mal verkauft.
Massiv sind auch die Einbrüche bei der Tagesausgabe der Frankfurter Allgemeinen, die ebenso wie Die WELT inzwischen kontinuierlich links an ihren Lesern vorbeischiebt. Ihre Auflage sank um 20 Prozent. Der Verlag erklärt das laut „Horizont“ mit „einem statistischen Sondereffekt: Er habe seine Vertriebslogistik zum 1. Juli an den Dienstleister IPS ausgelagert und nun würden die Remissionen, also die nicht verkauften Rückläufer, früher berechnet. Sollte dies stimmen, müsste die FAZ im dritten Quartal erstaunliche Auflagen-Zuwächse verbuchen.
Der „Spiegel“ muss einen Rückgang der Auflage um 9,3 Prozent auf 641.741 Hefte verschmerzen – ein Blatt, dass früher immer deutlich über einer Million Auflage war. Noch schlimmer trifft es den „Stern“, früher ebenfalls ein Auflagen-Millionär: Das Blatt kommt gerade noch auf 377.922 verkaufte Hefte, 18,6 Prozent weniger als im zweiten Quartal des Vorjahrs. „Focus“ kommt auf ein Minus von 30,5 Prozent und bekommt gerade mal 255.262 Hefte verkauft. Das Blatt, das unter Helmut Markwort startete und für das ich 16 Jahre das Moskauer Büro leitete, war einst als bürgerliche Alternative zum „Spiegel“ gestartet und kratzte in Hochzeiten an der Millionen-Marke bei der Auflage. Inzwischen erinnert es eher an ein linksgrünes Lifestyle- und Gesundheits-Ratgeber-Heft und schreibt wie „Welt“ und „FAZ“ konsequent am bürgerlichen Stammpublikum vorbei.
Ich bin überzeugt: Auch wenn Corona bei all diesen katastrophalen Einbrüchen der Zeitungs- und Zeitschriften-Auflagen eine große, ja entscheidende Rolle spielen mag: Auch das ständige Vorbeischreiben an den Interessen und an der Lebenswirklichkeit der Leser spielt eine entscheidende Rolle. Anders ist etwa auch der Erfolg meiner Seite, die es in sieben Monaten von null auf bis zu eine Million Abrufe und eine halbe Million Leser im Monat bringt, nicht zu erklären. Umso erschreckender, dass die Verlage offenbar statt auf eine Umorientierung zurück auf den Leser und kritisches Berichten mehr daran setzen, vom Staat statt von den alten Kunden finanziert zu werden.
Allein in den letzten fünf Jahren flossen fast 200 Millionen Euro für „Werbung“ aus dem Regierungsetat in die Medien, wie reitschuster.de aufdeckte. Dieser Etat wird wohl noch wachsen. Gleichzeitig will die Bundesregierung zukünftig mit über 260 Millionen Euro Zeitungen und Zeitschriften fördern. Es gibt sogar Pläne, eine Gebührenpflicht für die Print-Presse ähnlich wie für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk einzuführen. Die Grünen fordern bereits kaum verholen faktisch die Einführung von Staatsjournalismus. Als ob wir in der Richtung nicht schon genüg hätten. Wohin die Reise geht, kann sich also jeder mit wenig Phantasie selbst ausmalen. Umso wichtiger sind vom Staat unabhängige Medien, die kein Blatt vor den Mund nehmen und keine Rücksichten auf Millionen-Zahlungen nehmen müssen, für die letztendlich der Steuerzahler aufkommen muss. Für mich ist diese Entwicklung Ansporn und Herausforderung. Ich werde am Ball bleiben!
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