Es war etwas überraschend, als ich am Montag auf dem Fahrrad auf dem Weg zur Bundespressekonferenz feststellte, dass die „Straße des 17. Juni“, Berlins Pracht-Achse durch den Tiergarten, abgesperrt war. Und zwar weiträumig vom „Großen Stern“, also der Siegessäule, bis hin zum Brandenburger Tor. Will man da auf Nummer sicher gehen, dass nicht Corona-Maßnahmen-Gegner auf die Straße gehen an Silvester, frage ich mich? „Querdenken“ hatte so eine Kundgebung angekündigt, sie war dann aber verboten worden. Eine Sicherheitsfrau klärte mich dann auf: Die Absperrung sei für eine Silvester-Veranstaltung. Mehr wollte sie mir nicht verraten.
Jetzt war ich noch baffer. Ganz Deutschland sitzt im Lockdown, in vielen Gegenden sind die Leute zumindest nachts faktisch unter Hausarrest, Bayern hat offiziell den Katastrophenfall erklärt – und hier eine Veranstaltung zum Jahreswechsel? Mit allerlei Aufbauten, bis hin zu Zelten? Es kann ja wohl unmöglich so zugehen wie in den Vorjahren (siehe auch das Bild zu diesem Artikel oben). Die Sache ließ mir keine Ruhe. Wie es der Zufall wollte, las ich am gleichen Tag folgenden Kommentar von meiner Leserin Anke Zimmermann hier auf meiner Seite:
Hallo, am Brandenburger Tor bereitet sich das ZDF auf eine Riesenparty vor. Der Tiergarten und 17. Juni gesperrt, auf das Eingesperrtsein (Lockdown) on Top. Eine Bühne und beheizte Partyzelte werden aufgebaut. Wahrscheinlich wird es Theken und Catering geben. Ich denke in diesen Zeiten würde es das nicht brauchen. Eine Aufzeichnung im Studio, vorm virtuellen Brandenburger Tor, aus die Laube. Ich werde morgen Berliner Polizei und Ordnungsamt informieren, wir sollten alle morgen in Berlin nachfragen was da los ist und ob es Auflagen gibt und wie die eingehalten werden. Was für eine Unverschämtheit. Das Brandenburger Tor an Sylvester für Bürger gesperrt, verboten! Aber das ZDF macht dort Party und überträgt nebenbei ein paar Liveauftritte und Moderatorengekasper bis Mitternacht. Feudalismus pur.
Ein hartes Urteil. Aber nachvollziehbar. Partyzelte, Theken und Cartering wird es wohl eher nicht geben – aber wie viel da aufgebaut wird, ist erstaunlich.
Obwohl auch im Internet diverse Meldungen kursieren, habe ich gleich eine Presseanfrage ans ZDF und an die Berliner Polizei geschickt.
Guten Morgen Herr Reitschuster,
alle Infos zu „Willkommen 2021“ finden Sie hier: https://presseportal.zdf.de/pressemitteilung/mitteilung/willkommen-2021-der-silvester-countdown-live-im-zdf/
Das Produktionsgelände rund um das Brandenburger Tor ist weiträumig abgesperrt.
Die Produktion wird unter Berücksichtigung aller aktuellen Vorschriften des Infektionsschutzgesetzes wie auch aller erforderlichen Sicherheitsmaßnahmen für eine solche Open Air-Produktion umgesetzt. Dazu stehen die Veranstalter im engen Kontakt mit den Behörden. Die Gesundheit und der Schutz jedes einzelnen Mitwirkenden der Produktion – auf und hinter der Bühne – steht an erster Stelle.
Liebe Grüße
AXXX XXXXX
Auch die Polizei bestätigte diese Angaben. Auf die Frage, warum der Bereich so weiträumig abgesperrt sei bis hin zur Siegessäule, antwortete eine sehr freundliche Polizeisprecherin, dies habe verkehrstechnische Gründe. Man wolle im vorderen Bereich Staus verhindern, wenn von der mehrspurigen Prachtstraße nur noch ein Abbiegen in eine einspurige Querstraße möglich sei. Klingt logisch, auch wenn in Berlin in diesen Tagen verhältnismäßig sehr wenig Verkehr herrscht. Und auch die Ausweichstraße einspurig ist. Und warum dann auch explizit alle Parkplätze am Fahrbahnrand frei gemacht werden müssen. Und warum seit heute Mittag auf Radfahrer und Fußgänger nicht mehr durch dürfen. Aber sei’s drum.
Auf der oben verlinkten Seite des ZDF heißt es zur Show, die von Andrea Kiewel und Johannes B. Kerner moderiert wird: „Die beiden Moderatoren melden sich aus ihrer gemütlichen Lounge direkt vor dem Brandenburger Tor. Für die musikalischen Highlights der Silvestershow sorgen unter anderen Álvaro Soler, Giovanni Zarrella, Karat, die Höhner, Luca Hänni, Tom Gaebel, Jürgen Drews und Tochter Joelina, Vicky Leandros, Topic & A7S und Marquess….Natürlich werden in gewohnter Weise um Mitternacht farbenfrohe, musikalische Neujahrsgrüße aus dem Herzen der Hauptstadt in alle Wohnzimmer und in die ganze Welt gesendet.“
Corona hin oder her – „the show must go on“, die Show muss weiter gehen, ist offenbar die Devise beim ZDF. Man könnte nun auf die russische Redensart vom „Fest in der Pest“ verweisen – besonders, wenn man bedenkt, dass etwa in Bayern offiziell der Katastrophenfall ausgerufen wurde. Andererseits könnte man aber auch sagen, dass die Menschen in diesen schweren Zeiten auch etwas Ablenkung brauchen. Ich maße mir kein Urteil an. Nachdem ich den riesigen Aufwand gesehen habe, mit dem da sehr viel aufgebaut wird, frage ich mich: Wäre es nicht auch zwei Nummern kleiner gegangen?
PS: Unten stehende Photos habe ich heute Vormittag auf dem Weg zur Bundespressekonferenz mit Jens Spahn und RKI-Chef Lothar Wieler um 11 Uhr gemacht. Auf dem Rückweg wollte ich Nahaufnahmen machen – aber da war schon alles weiträumig abgesperrt (siehe hier).
Und da ich selbst nicht mehr nahe ran kam, hier ein paar Bilder von Twitter-Nutzern, die diese bei mir getestet haben:
Bild: Dziurek/Shutterstock (Archivbild vom 31.12.2018)
Text: red
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