Am 5. März habe ich hier auf meiner Seite einen Artikel veröffentlicht mit der Überschrift „Hanau: das Dogma“.
Das Thema: Wie eindeutig und einheitlich die Interpretation des Blutbades in der hessischen Stadt am 19. Februar in den deutschen Medien und in der deutschen Politik ausfiel – so uniform, derart im Gleichklang, dass es erschreckend war. Die einzige Erklärung für die unvorstellbar grausame Tat, die präsentiert wurde: Hetze und Hass, die dazu führten, dass der Mann fremdenfeindliche und antisemitische Ansichten hatte und durchdrehte. Dass Tobias R. psychisch schwer krank war, auch seine Mutter umbrachte und überzeugt war, ein Geheimdienst könne seine Gedanken lesen – das wurde allenfalls als kleiner Nebenaspekt erwähnt. Und allenthalben wurde dann auf diejenigen als Schuldige gezeigt, die Kritik an der Migrationspolitik in Deutschland üben. Wer dem widersprach, drohte ausgegrenzt und diffamiert zu werden.
Und jetzt das: Ausgerechnet das Bundeskriminalamt (BKA) hat das Dogma von der rassistischen, rechtsextremen Tat in einem Bericht gestürzt. „BKA stuft Anschlag in Hanau nicht als Tat eines Rechtsextremisten ein“, titelt Focus Online. Tobias R. habe seine Opfer ausgewählt, um größtmögliche Aufmerksamkeit für seinen Verschwörungsmythos von der Überwachung durch einen Geheimdienst zu erlangen. Eine typisch rechtsextreme Radikalisierung habe er nicht durchlaufen, so die Schlussfolgerung des BKA laut WDR, NDR und Süddeutscher Zeitung. Die drei Medien berufen sich dabei auf Ermittler (weitere Details sind hier nachzulesen).
In der ersten Version dieses Artikels hatte ich noch geschrieben: Sehr positiv überrascht die unabhängige Herangehensweise des Bundeskriminalamtes. Man kann sich nur vorstellen, wie hoch der (Erwartungs-)Druck auf die Behörde war, das linksgrüne, quasiamtliche Dogma zu Hanau zu bestätigen, auf das sich auch früh Merkel und Steinmeier festgelegt hatten. Und man kann nur hoffen, dass das BKA hart bleibt – denn bisher handelt es sich ja nur um eine Vorab-Information. Die sorgt jetzt schon für so hohe Wellen, dass nicht auszuschließen ist, dass die Behörde noch zurückgepfiffen wird. Unwillkürlich muss man in diesem Zusammenhang an den früheren Verfassungsschutz-Präsidenten Hans-Georg Maaßen denken. Der verlor sein Amt, weil er das Dogma von den Hetzjagden in Chemnitz bezweifelte. BKA-Chef Holger Münch kann man nur Standfestigkeit wünschen – und dass er sein Amt behält.
Und jetzt das: Das Bundeskriminalamt widerspricht nun den Berichten des Rechercheverbundes aus WDR, NDR und Süddeutscher Zeitung zum Anschlag von Hanau: „Das BKA bewertet die Tat als eindeutig rechtsextremistisch. Die Tatbegehung beruhte auf rassistischen Motiven“, teilte BKA-Präsident Holger Münch über den Kurzbotschaftendienst Twitter mit. Die in meinen Augen rationalste Erklärung dafür ist, dass der BKA-Chef, der seine Karriere in der SPD-Hochburg Bremen machte, genau so, wie von mir befürchtet, eingeknickt ist. Hand aufs Herz: Was halten Sie für realistischer? Dass WDR, NDR und SZ die Berichte von BKA-Ermittlern komplett erfinden und sich aus den Fingern saugen? Oder dass der BKA-Chef jetzt, aus Angst, das Schicksal Maaßens mit den „Hetzjagden“ zu wiederholen, genau das sagt, worauf sich Regierung und Medien festgelegt haben?
Erstaunlich ist in diesem Zusammenhang auch, dass der Behördenchef auf die Schilderung von BKA-Beamten, auf den sich WDR, NDR und SZ stützen, gar nicht eingeht. Das ist ein Indiz dafür, dass er authentisch ist. Schlimmer noch: Münch schreibt in einem Atemzug, dass die Ermittlungen noch andauern würden, das BKA die Tat aber bereits eindeutig einordnen könne. Wie soll das zusammenpassen? Es ist ein Widerspruch in sich. Wie kann einem Profi so ein Anfängerfehler unterlaufen? Nervosität? Versteckte Botschaft zwischen den Zeilen? In jedem Fall ist das Zurückrudern von Münch merkwürdig, ja krude. Es drängen sich Fragen auf. Etwa: Haben BKA-Beamten gegenüber den Journalisten ausgepackt, um einer „politisch korrekten“ Vertuschung durch die Behördenspitze zuvorzukommen?
Die BKA-Beamten berichten es den drei Medien zufolge, Rassismus sei nicht der dominierende Aspekt in der Weltanschauung des Täters gewesen. Tobias R. habe sich in Verschwörungsmythen rund um Geheimdienste hineingesteigert; bei ihm sei eine Paranoia festgestellt worden. Durch rassistische Äußerungen sei er Bekannten oder Nachbarn nie aufgefallen. Zudem gebe es keine Hinweise darauf, dass sich Tobias R. mit rechter Ideologie oder mit Rechtsterroristen und deren Taten beschäftigt habe.
Tatsächlich wäre die Schlussfolgerung des BKA in der Version der Beamten, auf die sich die drei Medien stützen, eine 180-Grad-Wende. Es ist erstaunlich, wie schnell sich heute vermeintliche „rechte Fake-News“ in offizielle Angaben verwandeln. Hier sei nur darauf hingewiesen, wie das Bundesgesundheitsministerium noch Mitte März warnte, es seien Fake-News, dass irgendwelche Beschränkungen von Bürgerrechten wegen Corona geplant seien: Wenige Tage später wurden genau diese verkündet. Eine ebenso kurze Halbwertszeit hatte Angela Merkels Aussage, eine Grenzschließung bringe nichts – kurz bevor die Grenze geschlossen wurde. Und nun (um ein Haar) auch Hanau. Was wäre das für eine Blamage für all die Politiker und Journalisten, für die Medien, die sich vorab eindeutig festlegten – und zwar fast unisono, die die Kritiker diffamierten, nur weil sie Zweifel äußerten an ihrer, wie sich jetzt herausstellte, falschen Version, an ihrer massiven Instrumentalisierung der Tat für ihre politische Agenda.
Erstaunlich war auch die Reaktion mancher Zeitungen. Die Frankfurter Allgemeine, die sich als ehemals konservative Zeitung besonders eifrig am Framing der Tragödie von Hanau zur rassistischen Tat beteiligt und auch sofort die Schuldigen in der Politik ausgemacht hatte, schien eine Vorahnung zu haben über die Wende durch die BKA-Spitze und stellte die neuen Erkenntnisse aus dem WDR/NDR/SZ-Bericht nun unter Fragezeichen: „Rassismus nicht Hauptmotiv für Bluttat von Hanau?“
Fazit: Wenn die Realität nicht mit der eigenen Ideologie bzw. der aus Opportunismus (oder Hoffnung auf Steuer-Millionen für die Zeitungsverlage) eingenommenen „Haltung“ übereinstimmt, fällt es zuweilen schwer, dies anzuerkennen. Und ich fürchte, die „Realität“ werden wir nun noch lange nicht erfahren.
P.S.: Erstaunlich ist auch, wie die Tat von Volkmarsen fast völlig aus der Berichterstattung verschwunden ist. In dem hessischen Ort war ein Autofahrer in einen Rosenmontagszug gerast und hatte dabei 60 Menschen verletzt.
Bild: kai Stachowiak/https://www.publicdomainpictures.net/Lizenz CC0 Public Domain