Mein Interview mit der Rhein-Neckar-Zeitung (Heidelberg) zu Putins aktueller Politik
Frage: Herr Reitschuster, welche Strategie verfolgt Putin in Syrien?
Antwort: Putin hat viele Ziele. Zum einen wollte er mit einem Einsatz im Ausland im Inland davon ablenken, dass er in der Ukraine nicht weiterkommt. Dann geht es ihm darum, das Regime Assad zu stützen und damit auch ein Signal an alle Diktatoren zu senden, dass sie sich auf ihn verlassen können. Er will seinen Einfluss in der Region stärken. Er will den Amerikanern die Stirn bieten und als „global player“ zurück an den Verhandlungstisch kehren. Er ist an einer Instabilität in der arabischen Welt interessiert, weil sie zu höheren Ölpreisen führt. Und schließlich – aber das halte ich nur für einen Nebenaspekt –bietet ihm den Konflikt seinen eigenen Worten zufolge eine Möglichkeit, das russische Militär zu trainieren, was angesichts der vielen zivilen Opfer ausgesprochen zynisch ist.
Frage: Das heißt, die Annahme des Westens, auch Putin sei an einer Stabilisierung Syriens interessiert, ist falsch?
Antwort: Richtig. Das halte ich für ein kolossales Unverständnis von Putins Politik. Gerade wegen dieser falschen Voraussetzung ist die westliche Syrienpolitik in diese Sackgasse geraten. Wir gehen zu sehr davon aus, dass wir es überall mit außenpolitischen Vegetariern zu tun haben. Aber Putin ist kein Vegetarier.
Frage: Wenn wir auf Europa blicken: Was ist da Putins Ziel?
Antwort: Ich denke, er will ganz eindeutig Russland wieder zur Großmacht machen. Einer seiner Vorkämpfer, der orthodoxe Oligarch Malofejew, sagt ganz offen, man wolle eine „Eurasische Union“ unter der Vorherrschaft Russlands. Das ist das Maximalziel – nicht eine Besetzung, sondern viel Einfluss, wie es jetzt die Amerikaner haben. Das Minimalziel ist, die EU zu destabilisieren.
Frage: Sie sprechen von einem „hybriden Krieg“ Russlands. Was heißt das?
Antwort: Das ist ein Krieg, bei dem man nicht merkt, dass es ein Krieg ist. So wie auf der Krim und in der Ostukraine, wo heute noch viele sagen, es sei ein Bürgerkrieg. Dabei verbindet man alte mit neuen Methoden, wie etwa dem Einsatz sogenannter Internet-Trolle, die Kreml-genehme Meinungen verbreiten, um sich in die Angelegenheiten anderer Staaten einzumischen.
Frage: Hat der Westen das unterschätzt?
Antwort: Ja, völlig. Er unterschätzt es bis heute. Viele in den Eliten glauben immer noch, dass Russland auf dem Weg Richtung Demokratie sei. Das liegt auch daran, dass man nicht die Gefahren des neuen Systems versteht, das keineswegs kommunistisch ist. Es hat überhaupt keine Ideologie mehr. Es hat eine Ideologie des Bösen: Im Gegensatz zu den Kommunisten hat man nicht einmal mehr den Anspruch, zu den Guten zu gehören.
Frage: Welche Rolle spielt vor dem Hintergrund der Destabilisierung der EU Putins Bündnis mit den Rechten?
Antwort: Das spielt eine zentrale Rolle. Viele glauben immer noch, Putin sei ein Linker, aber in Wahrheit steht er weit rechts. Er beruft sich auf Ideologen wie Ilin, der Sympathien für Hitler hatte. Putin hat eine völkische und nationalistische Denkweise, und er hält den Westen für dekadent. „Ich lehne das liberale und bourgeoise Europa ab“, fasste es sein radikaler Vordenker Dugin zusammen.
Frage: Warum verteidigen dann ausgerechnet so viele Linke Putin?
Antwort: Bei der Partei „Die Linke“ hängt das mit den engen Verbindungen von früher zusammen. Bei vielen anderen Linken glaube ich, dass sie seiner Sowjet-Nostalgie auf den Leim gehen und nicht verstehen, dass sein System nichts mehr mit dem Sozialismus zu tun hat. Putin ist zudem wandlungsfähig wie ein Chamäleon: Im Inland etwa verteufelt er Lenin, im Ausland erweckt er den Eindruck, als stünde er noch in dieser Tradition.
Frage: Sie haben die Internet-Trolle angesprochen. Wie wichtig sind die für Putin?
Antwort: Sehr wichtig. In Russland gibt es das Phänomen schon seit über zehn Jahren, auch in Deutschland waren sie am Anfang extrem erfolgreich. Das lag daran, dass man das nicht durchschaut und für bare Münze genommen hat. Selbst heute noch scheuen viele Journalisten die massiven kritischen Kommentare. Deutschland ist dabei eines der Hauptziele.
Frage: Wie sollte der Westen richtig damit umgehen?
Antwort: Es wäre Quatsch, das Rad neu zu erfinden. Wir haben mit dieser Politik seit Jahrzehnten Erfahrung. Wir müssen zurückkehren zu einer Politik von Konrad Adenauer und Helmut Schmidt: Gespräche führen, aber mit einer harten Position. Unsere Geschichte hat gezeigt, dass man damit sehr gut fahren kann,