Die Briten können manchmal ganz schön widerborstig sein. Vor allem die britischen Wähler.
Monatelang haben ihnen ARD, ZDF und Co. (dank unserer Gebührengelder üppig ausgestattet) mit erhobenem Zeigefinger mehr als klar gemacht, wie sie sich gefälligst zu verhalten haben. Und was ihnen da jenseits des Ärmelkanals alles droht, wenn sie sich wirklich gegen die Stimme der Vernunft – also des öffentlich-rechtlichen Fernsehens in Deutschland – wenden.
Am Abend vor der Wahl hatte mich ein Freund, seines Zeichens Politik-Professor an einer deutschen Universität, überredet, etwas zu tun, was ich mir nur noch recht selten zumute – die Tagesthemen anzuschauen. Seine Ausrufe währen der London-Berichterstattung dort will ich nicht wiedergeben, da es ja möglich ist, dass hier auch Minderjährige mitlesen. Wir waren uns einig: So wie die ARD das darstellte, droht wenn nicht der Weltuntergang, so doch der Zusammenbruch der Weltordnung, wenn die Briten dem bösen Boris Johnson nicht eine kräftige Ohrfeige an den Wahlurnen geben. Nicht einmal der Anschein von Neutralität oder zumindest Ausgewogenheit wurde gewahrt.
Und dann das: Die bösen Briten hörten nicht auf ARD und ZDF. Als ob das nicht schon genug Ketzerei wäre, kommt es nun sogar noch schlimmer: Die Gotteslästerung erreicht ein Ausmaß, das wohl die schlimmsten Erwartungen zwischen Lerchenberg in Mainz und Hamburger Tagesschau-Studios übertraf. „Boris Johnson stellt Rundfunkgebühren infrage“ – titelte die Welt. Weiter heißt es in dem Beitrag: „Schon im Wahlkampf boykottierte Boris Johnson die britische BBC. Statt des Premiers mussten Journalisten einen Eisblock ans Rednerpult stellen. Nach dem Tory-Wahlsieg bangt die gebührenfinanzierte Rundfunkanstalt nun um ihre Finanzierung.“
Der Tory-Abgeordnete Rishi Sunak, ein ranghohes Mitglied des Finanzministeriums, sagte – ausgerechnet in der BBC – Johnsons Regierung erwäge, das Nichtzahlen von Rundfunkgebühren zu entkriminalisieren. Damit stehe das bisherige Finanzierungsmodel unter Beschuss. Die BBC wird ähnlich wie die öffentlich-rechtlichen Sender in Deutschland über ein Gebührensystem finanziert.
Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich zu selten BBC sehe, um beurteilen zu können, ob Kollegen Recht haben, die mir versichern, zumindest etwa in der Wahlberichterstattung sei der Sender trotz sehr erkennbarer Sympathien nicht derart einseitig gewesen wie das oft bei ARD, ZDF und Co. der Fall sei. Zaghaft sei der Versuch erkennbar gewesen, auch andere als die in der Redaktion offenbar vorherrschenden eher linken Überzeugungen halbwegs fair wiederzugeben oder wiedergeben zu lassen.
Die Nachricht vom Angriff auf die BBC erhielt ich ausgerechnet von einem Kollegen (m/w/d – zumindest hier, zum Schutz der Quelle, kommt einem der allgemeine Hang zur Diversität sehr zu Gute) von einem der großen öffentlich-rechtlichen Sender, der mich seit langem mit Interna versorgt – aus Verzweiflung darüber, was in der eigenen Anstalt passiert, und über deren politische Einseitigkeit. Den Link zu der Nachricht aus London schickte mir der/die/das Kollege mit folgendem Kommentar: „…möglicherweise kommt das Aus für die ÖR im Zuge der Abschaffung der BBC…“
Angesichts all der Hinweise, die ich von der besagten Quelle über das Verschwenden von (Gebühren-)Geldern und politische Inzucht erhalte, kann ich seine/ihre Hoffnung auf London als Exempel gut nachvollziehen. Der öffentliche-rechtliche Rundfunk war zu Zeiten seiner Entstehung eine wunderbare Idee. Und er wäre es auch heute noch, wenn er seinen Programmauftrag – nämlich Ausgewogenheit, also alle zu Wort kommen zu lassen – nicht auf sträfliche Weise verraten hätte. Wer daran zweifelt, möge einmal spontan fünf Aushängeschilder des öffentlich-rechtlichen Systems nennen, die nicht links, sondern stramm liberal oder konservativ sind.
Wie Insider berichten, herrscht in vielen Redaktionen der öffentlich-rechtlichen eine massive Meinungsblase; abgeschottet von der Realität der Mehrzahl der Zuschauer – vor allem durch eine üppige Rundum-Versorgung – leben viele Journalisten dort in einer Vollkasko-Wohlfühlblase. Dass Menschen, die in Problemvierteln
wohnen und etwa nicht das nötige Kleingeld haben, im Zweifelsfall auch ein Taxi zu nehmen, um finstere Ecken zu umfahren, in einer ganz anderen Realität leben, ist vielen dieser Nobel-Journalisten allenfalls theoretisch bewußt.
Ein anderer Kollege (m/w/d) von einem der Sender erzählte mir vor einigen Monaten über das Innenleben in den Redaktionen: „Jeder weiß, wenn er von der vorherrschenden Linie abweicht, wirkt sich das eklatant bei den Karrierechancen aus. Und im sozialen Umgang. Schon in den Vorstellungsgesprächen wird aussortiert, wer mit seinen Aussagen nicht zum Weltbild der Chefs passt.“ So werde Duckmäusertum gefördert, vorauseilender Gehorsam, und es entstünden „redaktionelle Blasen“, mahnte der vom Bildschirm vielen Deutschen gut vertraute Journalist (m/w/d): „Man lebt in den feinen Gegenden der Stadt, geht nur mit seinesgleichen aus, und lebt immer mehr in der eigenen Realität. Für Auslandsposten in weniger feinen Ländern gibt es kaum noch Bewerber – da müsste man ja raus ins Leben. Und wäre von der Karriere-Rolltreppe abgetrennt.“
Eine Folge dieser Homogenität ist auch die Illusion von Meinungsvielfalt: Schön öfter habe ich jüngere Journalisten vom öffentlich-rechtlichen getroffen, die überzeugt und aufrichtig beteuerten, es herrsche völlige Pluralität und Meinungsfreiheit in ihrer Redaktion – schließlich könnten sie ja sagen, was sie wollten. Können sie sicher auch – weil ihre Grundüberzeugung eben zu der dort vorherrschenden passt. Wie wäre es aber, wenn sie Anhänger der AfD wären? Oder auch nur der CSU? Wenn sie skeptisch in Sachen Einwanderung wären oder massive Probleme mit dem Islam hätten? Würden sie das dann auch frei sagen können, ohne Sorge um die Karriere? Die Antwort ist immer ein „theoretisch ja, natürlich“. Blöd ist nur, dass es praktisch in den Programmen genau umgekehrt aussieht.Was die Insider berichten, bestätigt die These, die kürzlich der Medienforscher Norbert Bolz äußerte: „Die öffentlich-rechtlichen Journalisten leben in einer Parallelwelt, die erst zusammenbrechen wird, wenn sie keine Gebühren mehr kassieren.“
Es spricht Bände, wenn etwa WDR-Intendant Tom Buhrow sein Jahresgehalt von 399.000 Euro – mehr als die Bundeskanzlerin bekommt – wie folgt rechtfertigt, „Man kann das immer weiter treiben mit dem Neid. Ich kann absolut zu den Gehältern stehen. Man kann immer sagen „weniger, weniger, weniger“. Dabei ist die Prüfkommission KEF zu einem eindeutigen Schluss gekommen: „Die Gehälter bei den Öffentlich-Rechtlichen sind zu hoch“.
Es seid dahingestellt, ob es nur ein Zufall ist, dass die Regierungstreue der Öffentlich-rechtlichen ausgerechnet seit dem Zeitpunkt traurige Urstände feiert, als unter Angela Merkel 2013 die frühere Fernsehabgabe zu einer Zwangsgebühr umformiert würde, die auch diejenigen zu bezahlen haben, die gar keinen Fernseher ihr eigen nennen. Die Zeitpunkte des Millionen-Regens und des politischen Männchen-Machens sind verdächtig synchron.
Die massive Verschärfung des Systems wurde mit Verbal-Kosmetik verbunden: Die „GEZ“, berüchtigte und bei vielen verhasste Gebühreneinzugszentrale, wurde, wie es ganz milde auf Wikipedia heißt, im Zuge der Umstellung der Rundfunkfinanzierung am 1. Januar 2013 in „ARD ZDF Deutschlandradio Beitragsservice“ umbenannt. Eine neudeutsche Manier, die an Orwell erinnert: Begriffe, die negativ besetzt sind, durch neue zu ersetzen – statt die Probleme anzugehen, durch die sie negativ besetzt wurden.
Tatsächlich erfordert das GEZ-System – wie es auch heute noch von vielen aller Sprach-Kosmetik zum Trotz genannt wird – eine umfangreiche Reform. Am massiven Vertrauensverlust in die Sender hat die Umbenennung nämlich nichts geändert. Im Gegenteil. Das Misstrauen in ARD, ZDF und Co. wächst rapide. Die Sender neigen zum „betreuten Informieren“, dazu, allzu oft „Haltung“ den Vorrang vor Fakten zu geben. Etwa bei der Berichterstattung von den Grünen-Parteitagen. Die gleicht zuweilen eher Groupie-Fanpost als kritischem Journalismus.
Beim CDU-Parteitag blendete der gebührenfinanzierte Sender „Phoenix“ Anfang Dezember laut Zuschauern jedesmal die sonst kontinuierliche Live-Übertragung aus, sobald Vertreter der „Werte-Union“ zu Wort kamen – insgesamt vier Mal. Dabei war die Werte-Union spätestens ab dem Moment relevant, als sie Parteichefin AKK in ihrer Parteitagsrede attackierte. Auf entsprechende Nachfragen, ob wirklich jedes Mal weggeschaltet wurde, reagierte die Pressestelle von Phoenix mit einer Arroganz, ja Dreistigkeit, wie ich sie selbst in 16 Jahren in Russland bei staatlichen Stellen nur selten erlebt habe (siehe hier und hier)
Belege für die fehlende Neutralität und für die stramme politische Ausrichtung ihrer führenden Köpfe gibt es schier unendlich. Hier nur noch einige wenige Beispiele:
Faszinierend auch die ARD-Berichterstattung nach der Europawahl im Mai: Den europaweiten EU-kritischen Trend als Ausnahme zu sehen und das deutsche Wahlergebnis als die Regel darzustellen, wie es ARD-Chefredakteur Rainald Becker, der schon einmal vor laufender Kamera von einem grünen Kanzler träumte, in den Tagesthemen tat, ist faszinierend. Motto: Lauter Geisterfahrer kommen uns entgehen! Zu blöd, dass so viele in Europa nicht am grün-deutschen Wesen genesen wollen – aber das kann man in der eigenen TV-Welt ja ausblenden.
Das Fazit: Wenn Johnson Ernst macht mit seinem Vorstoß gegen die BBC, dann könnte das auch in Deutschland die Debatte um die Zukunft der öffentlich-rechtlichen Sender anstoßen würde. Nicht auszuschließen, dass ihm dann künftige Generationen von (hoffentlich haltungsfreien) Journalisten dankbar sein müssten. Würde sich am Ende ausgerechnet der Lieblingsfeind von ARD, ZDF und Co. (nach Donald Trump) damit Verdienste um unsere Medienlandschaft, ja sogar auch um unsere Demokratie erwerben? Heute klingt dieser Gedanke ketzerisch. Doch lautet das Motto eines bekannten britischen Film? Sag niemals nie!