Alles nur halb so schlimm, alles nur aufgebauscht: Solche Informationen über die Corona-Epidemie kursieren derzeit breit im Internet, werden Hunderttausendfach abgerufen – wohl auch, weil viele Menschen gerne etwas beruhigendes hören wollen in diesen Tagen. Viral – auch wenn dieser Ausdruck makaber ist in diesen Zeiten – verbreitete sich etwa das Video von Wolfgang Wodarg, einem Lungenarzt und ehemaligem Bundestagsabgeordneten der SPD. Wodarg sagt, die Pandemie sei Panikmache, und wenn man nicht gezielt auf das Virus testen würde, würden die Erkrankungs- und Todesfälle in den Grippestatistiken gar nicht weiter auffallen. Mit solchen Aussagen erreicht Wodarg derzeit ein gewaltiges Publikum. Was mir dabei selbst auffiel, war, dass er die dramatische Situation in Italien in seinen Analysen völlig unterschlägt.
Ich bin kein Mediziner. Und man muss immer auf der Hut sein – gerade als Journalist mit einem breiten Aufgabenprofil – dass man nicht in die Falle tappt, sich in Fachgebieten für gut informiert oder gar kompetent zu halten, in denen man es nicht ist (heute hat man in den sozialen Netzwerken zuweilen den Eindruck, wir seien ein Volk von lauter Viren-Experten). Deshalb habe ich meinen Bruder gefragt. Der ist ein sehr erfahrener Arzt, und ich habe zu ihm blindes Vertrauen. Nicht nur zu seinen medizinischen Fähigkeiten, sondern auch zu seinen Erklärungskünsten. Und weil seine Antwort auch mich als Laien überzeugte, und mir half, den durchaus nicht ganz simplen Sachverhalt zu verstehen, habe ich mich entschlossen, sie als Service für Sie hier kurz aufzuschreiben – denn vielleicht geht es Ihnen ja auch so wie mir, dass Sie sich über jede vertrauenswürdige Quelle freuen in diesen Tagen.
Mein Bruder sagt, die Angaben in Sachen Pandemie und großer Gefahr und Risiken, wie wir sie jetzt in den Medien hören und lesen, seien in seinen Augen sehr logisch und nachvollziehbar. Er hat keine Zweifel an ihrer Seriosität – wenn man berücksichtigt, dass die Faktenlage noch dünn ist und somit auch die Fehlerwahrscheinlichkeit nicht gering. Er hat mir auch ausführlich und sehr überzeugend erklärt, warum er das so sieht – und die Aussagen von Wodarg – „alles nur Panikmache“ – für unsinnig hält: Entscheidend sei vor allem die fehlende Immunität, die auf die Neuartigkeit des Virus in seiner jetzigen, konkreten Form zurückzuführen sei, und um seine Fähigkeit, sich schnell zu verbreiten, die die aktuelle Infektionswelle zeige. Dies führe zu der großen Gefahr, dass gleichzeitig sehr, sehr viele schwere Krankheits-Fälle auftreten und diese zu eine völliger Überlastung des Gesundheitswesens führen, also dass die Kapazitäten nicht ausreichen.
Mein Bruder brachte folgendes Beispiel zur Veranschaulichung dafür, dass es gar nicht so sehr um das konkrete Virus, sondern um die Zeitabläufe geht: „Ein Autounfall ist nicht schlimm für unser Gesundheits-System, auch zehn gleichzeitig sind es nicht, aber viele, viele Tausende gleichzeitig bringen das System zum kollabieren.“ Eben darin bestehe die große Gefahr bei Corona, im Gegensatz etwa zur gemeinen Grippe. Und eben genau diesen Faktor – die Gefahr, dass gleichzeitig sehr, sehr viele Schwerstkranke der Intensivmedizin bedürfen und diese überfordert ist – den wollten eben viele nicht wahrnehmen, so mein Bruder. Mich hat er damit überzeugt – und nachdem ich gerade vom Chef-Virologe der Berliner Charité Christian Drosten eine ähnliche, nur viel komplizierter erklärte Einschätzung gelesen habe (siehe hier), habe ich mich entschlossen, Ihnen die in meinen Augen anschaulichere und leichter verständliche Erklärung meines Bruders nicht vorzuenthalten.
Bild: Pixabay