Ein Freund machte mich heute auf eine Meldung aufmerksam, die mich aufgerüttelt hat – allein schon die Überschrift: „Bewährungsstrafe für 19-Jährigen wegen Missbrauchs einer 10-Jährigen“. Weiter heißt es in dem Artikel der Badischen Zeitung: „Ein zur Tatzeit 19-jähriger Mann ist glimpflich um eine deutlich schwerere Strafe herumgekommen. Weil er ein umfassendes Geständnis ablegte, das Amtsgericht zudem wegen mangelnder Reife das Jugendstrafrecht anwendete und das Opfer angeblich keine psychischen Schäden davontragen werde, muss er nicht ins Gefängnis. Das Urteil: neun Monate Freiheitsstrafe auf Bewährung. Der junge Mann hatte ein zehnjähriges Mädchen sexuell schwer missbraucht, war zudem im Besitz von kinderpornografischen Fotos und Videos.“
Der Beitrag vom 17. Januar ist hinter einer Registrierschranke versteckt – doch ich war – als Vater von zwei Töchtern – so aufgewühlt, dass ich mich sofort registrierte. Ich hoffte instinktiv, im Rest der nachricht weitere Hinweise zu finden, die erklären könnten, warum „schwerer sexueller Missbrauch“ bei einer zehnjährigen angeblich „keine psychischen Schäden“ angerichtet haben soll. Doch ich fand nichts, was mich beruhigte. Im Gegenteil. „Die Mutter habe später von einer „Wesensveränderung gesprochen“, so wird die Richterin zitiert. Der zur Tatzeit 19-Jährige hat die Zehnjährige über das Internet kennengelernt. Laut Staatsanwalt war das Mädchen „für ihr Alter körperlich schon sehr weit gewesen, vom Auftreten her aber eindeutig ein Kind.“
Vor Gericht sagte der 19-Jährige, der eine erste Lehre abgebrochen und eine zweite als Maurer begonnen hat: „Sie hat halt angefangen, mich zu küssen.“ Ihr Alter sei ihm bekannt gewesen. Laut dem Bericht der „Badischen Zeitung“ zeigte der Mann einen „Anflug von Reue.“
Warum reicht ein „Anflug von Reue“ – mitsamt der Abschiebung der Verantwortung auf das Opfer („selbst angefangen“) – bei schwerem Missbrauch einer Zehnjährigen und Besitz von Kinderpornos aus, um mit einer Bewährungsstrafe davon zu kommen? Was sind das für Sachverständige, die einem 10-jährigen Mädchen nach schwerem sexuellen Missbrauch bescheinigen, es habe „keine psychischen Schäden“ davongetragen? Selbst wenn sie dem Täter, so liest sich das zumindest zwischen den Zeilen, selbst Avancen machte, selbst wenn im Prozess von „Liebeskummer“ die Rede ist – verringert das die Schuld des 19-Jährigen wirklich erheblich? 10-Jährige sind Kinder, und leicht manipulierbar.
Weil mich der Fall so aufgewühlt hat, recherchierte ich im Internet, ob so eine Milde des Gerichts wenigstens eine Ausnahme ist. Und ich traute meinen Augen nicht. Es gibt so viele derartige Fälle (unten eine kurze, auszugsweise Dokumentation), dass es unmöglich ist, hier nicht zu fragen, ob es sich um eine Tendenz handelt. Und sich noch weitere Fragen zu stellen: Warum habe ich keine Artikel über diese Entwicklung gefunden – und immer nur Einzelfallberichte?
In meinen Augen müssen sich hier nicht nur Gesetzgeber und Gerichte kritische Fragen stellen lassen – sondern auch die Medien. Ihre Aufgabe ist es, nicht nur Einzelfälle zu dokumentieren (hier ohnehin fast ausschließlich in lokalen oder regionalen Medien) – sondern mögliche Tendenzen aufzuspüren, zu erforschen und zu thematisieren. Genau das geschieht aber offenbar hier kaum (ich hoffe, dass ich einfach schlecht gesucht habe und es vielleicht doch den einen oder anderen zusammenfassenden Bericht gibt).
Fatal ist diese Tendenz zum milden Umgang mit Kindesmissbrauch gerade vor dem Hintergrund, dass Deutschland inzwischen faktisch ein Einwanderungsland ist. In vielen ausländischen Kulturen, die ich selbst erlebt habe, ist der Schutz von Kindern noch ein weitaus heftigeres Sakrileg als in Deutschland. Hier stellt sich die Frage: Was für ein Bild gibt unsere Gesellschaft in den Augen von Menschen aus traditionelleren Kulturen ab, wenn sie derart nachsichtig mit dem Missbrauch ihrer schwächsten, schutzbefürftigsten Mitglieder umgeht? Ich denke, solche Tendenzen machen es Radikalen und Extremisten leicht, andere Menschen gegen unsere Gesellschafts- und Rechtsordnung aufzuhetzen. Und, genauso schlimm: Die Abschreckungswirkung des Strafrechts leidet so erheblich.
Besonders heikel wird die Thematik vor dem Hintergrund, dass noch vor Jahrzehnten Straffreiheit für Pädophilie eine Forderung der Grünen war – einer Partei, die heute maßgeblichen politischen Einfluss hat und den Zeitgeist stark bestimmt. Gerade deshalb sollte das Thema besondere Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit genießen. Und es muss alles getan werden, dass auch nicht einmal der Anschein aufkommt, dass die Forderungen von damals heute über Umwege zu einer Verharmlosung dieses schweren Delikts geführt haben.
Leider hat man in Deutschland den Eindruck, dass diejenigen, die auf solche Probleme hinweisen, weitaus mehr Unmut auf sich ziehen, als diejenigen, die diese Probleme zu verantworten haben. Wenn sich das nicht ändert, hat unser Land keine Zukunft.
Und hier die – völlig unvollständige Fallchronik. Jeder Einzelfall mag anders gelagert sein, manche Umstände besonders – aber insgesamt deckt sich der Verdacht einer Tendenz zur Milde hier doch massiv auf:
Am 12. Januar 2020 berichtete die Fuldaer Zeitung: „Wegen schweren Missbrauchs von Kindern in drei Fällen ist ein 19-Jähriger aus Steinau am Donnerstag vor dem Jugendschöffengericht am Amtsgericht Gelnhausen zu einer Strafe von einem Jahr und acht Monaten verurteilt worden.“ Interessant ist, wie die Überschrift das Thema verschleiert: „Bewährungsstrafe für 19-Jährigen – Fahrdienst vergisst, Angeklagten abzuholen.“
Im Dezember berichtete RBB: Ein „früherer Berliner Youtube-Kanal-Betreiber Junus W. ist am Freitag in Berlin zu einer achtmonatigen Bewährungsstrafe verurteilt worden. Zwei Mal hatte er eine Jugendliche missbraucht.“ Im Dezember berichtete der Bayerische Rundfunk: „Ein Konditormeister aus Nürnberg ist von der Jugendkammer am Nürnberger Landgericht zu einer Bewährungsstrafe von zwei Jahren verurteilt worden. Der 33-Jährige hatte Auszubildende mehrfach sexuell belästigt und vergewaltigt.“
Im November, berichtete der „Zollern Alb Kurier“: „Vor dem Albstädter Amtsgericht wurde ein Mann wegen sexuellen Missbrauchs Minderjähriger zu eineinhalb Jahren auf Bewährung verurteilt.“ Laut Richterin war der Mann Richterin, „in der Vergangenheit zwei Mal wegen sexuellen Missbrauchs an Kindern verurteilt worden.“
Im November berichtete PZ-News: „Wegen ,Augenblicksversagen´ ist ein 69-jähriger Kroate vom Amtsgericht zu einer Bewährungsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten verurteilt worden. Der Angeklagte hatte den Tatvorwurf von sexuellem Missbrauch in zwei Fällen gegen eine Minderjährige eingeräumt.“
Im November berichtete der SWR: „Ein 57-jähriger Mann hat nach Auffassung des Amtsgerichts Albstadt ein Mädchen unsittlich angefasst. Der vorbestrafte Mann weigert sich, das deutsche Rechtssystem anzuerkennen. Die Anklage lautete auf sexuellen Missbrauch einer Minderjährigen. Dafür wurde der Mann zu einer Bewährungsstrafe von einem Jahr und einem Monat verurteilt. “
Im September berichtete der NDR: „Vor dem Landgericht Schwerin ist ein 47-Jähriger Mann zu zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt worden. Er soll ein minderjähriges Mädchen mehrfach missbraucht haben“,: „Die Taten liegen über 15 Jahre zurück…Er gestand auch, die Taten gefilmt und auf seinem Handy gespeichert zu haben.“
Ebenfalls im September berichtete die Süddeutsche Zeitung: „Weil er die Tochter von Freunden missbraucht hat, ist ein 55-Jähriger vom Landgericht Lüneburg zu zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt worden…. Verurteilt wurde er laut Sprecher wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in drei Fällen, einmal in Tateinheit mit Vergewaltigung. In fünf Fällen wurde er des einfachen sexuellen Missbrauchs für schuldig befunden.“
Die Lübecker Nachrichten berichteten im Juli: „Ein Polizist, der in seiner Freizeit eine Fußball-Mädchenmannschaft in Neustadt betreut hat, ist wegen sexuellen Missbrauchs einer 14-Jährigen verurteilt worden. Der Beamte wurde vom Dienst enthoben und auf einen anderen Posten versetzt. Der 43-Jährige erhielt sechs Monate Haft auf Bewährung und muss eine Geldstrafe von 3000 Euro bezahlen.“
Der Westfäliche Anzeiger berichtete im Februar: „Ein 72-Jähriger aus Bergkamen musste sich vor dem Amtsgericht Unna wegen sexuellen Missbrauchs einer minderjährigen Bergkamenerin verantworten….Der Bergkamener erhielt eine Haftstrafe von einem Jahr, die auf Bewährung ausgesetzt wurde.“ Obwohl die Eltern ihm gerichtlich die Annäherung an ihre lernbehinderte Tochter verboten hatten, suchte sie der 72-Jährige in der Schule auf und nahm im Keller sexuelle Handlungen an ihr vor, gegen die sie sich nicht wehren konnte.
Die Mainpost schrieb im Januar: „Dass sie erst elf Jahre alt war, wusste er. Das teilte ihm die Schülerin schon wenige Minuten nach Chatbeginn über den Online-Nachrichtendienst „WhatsApp“ mit. Auch dass Nacktbilder einer Minderjährigen kinderpornografische Schriften sind, war dem gelernten Maler und Lackierer klar. Dennoch forderte der damals 22-Jährige aus dem Landkreis Schweinfurt Nacktfotos von dem Kind – und bekam sie auch. Wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in zwei Fällen und des Besitzes kinder- und jugendpornografischer Schriften verurteilt ihn das Amtsgericht Schweinfurt nun zu einer Bewährungsstrafe von zehn Monaten.“
Ebenfalls im Januar berichtete der Südkurier: Ein 23-Jähriger aus dem westlichen Landkreis Waldshut wurde gestern vor dem Amtsgericht Bad Säckingen zu einer Bewährungsstrafe von elf Monaten und drei Wochen wegen schwerem sexuellen Missbrauch verurteilt.“
Die Märkische Oder-Zeitung berichtete im Dezember 2017: „Vor dem Landgericht Neuruppin ist am Dienstag ein 20-jähriger Wittstocker verurteilt worden, weil er ein zwölfjähriges Mädchen sexuell missbraucht hat. Der junge Mann zeigte sich geständig, nachdem vereinbart worden war, dass er in diesem Fall nicht gleich ins Gefängnis muss.“
Die Peiner Allgemeine berichtete im März 2017: „Wegen des Verdachts der Vergewaltigung und des schweren sexuellen Missbrauchs in zwei Fällen an seiner damaligen minderjährigen Nichte musste sich am Montag ein 59-Jähriger vor dem Hildesheimer Landgericht verantworten. Der einschlägig vorbestrafte Berufskraftfahrer gestand die Taten gleich zum Prozessbeginn. Das Urteil lautete schließlich zwei Jahre Haft, die auf drei Jahren zur Bewährung ausgesetzt werden.“
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