Das Vertrauen in den Staat leidet immens unter der Corona-Politik. Auch, weil die Halbwertszeit von „Verschwörungstheorien“ gegen null geht: Was Politiker und Medien gerade noch als solche abtaten, ist teilweise binnen Tagen schon die regierungsamtliche Wahrheit. So sagte Gesundheitsminister Jens Spahn noch im Februar sinngemäß in der ARD, Corona sei mit einer Grippe vergleichbar. Heute ist er Corona-Hardliner. Angela Merkel stellte noch im März den Nutzen von Alltagsmasken in Abrede. Kurz vor den massiven Corona-Beschränkungen im März verkündete das Gesundheitsministerium noch offiziell, dass es keine solche gebe. Selbst öffentlich-rechtliche Medien stellen Warner vor dem Virus noch im Januar als rechte Verschwörungstheoretiker hin. Die Liste ließe sich lange fortsetzen.
Wundert es da jemanden, dass viele Menschen dem Staat inzwischen sehr viel zutrauen? Auch Dinge, die sie früher für unmöglich gehalten hätten? Seit gestern bekomme ich sehr viele Zuschriften mit dem Hinweis auf einen Gesetzestext auf der Seite der Bayerischen Staatskanzlei. Also ausgerechnet aus dem Haus von Markus Söder. Den bezeichnen humorbegabte Geschichtskundige als den Corona-Andropow: Der Ex-KGB-Chef und Vor-Vorgänger von Michail Gorbatschow war bekannt für seine harte Hand, die viele als Schikane empfanden. Am helllichten Tag ließ er Kinosäle durchfilzen, um zu überprüfen, ob keiner der Besucher die Arbeit schwänzte. Seitdem gilt Andropow in Russland als Inbegriff von überzogener staatlicher Kontrolle (wenigstens nicht von staatlicher Brutalität und Mörderei wie Stalin).
Auf Söders Webseite ist im Haushaltsgesetz eine „Kreditermächtigung zur Finanzierung von Kapitel 13 19 – Sonderfonds Corona-Pandemie“ zu finden, über der in Kleinbuchstaben steht: „Text gilt ab: 01.01.2020, Fassung: 24.05.2019.“
Es ist mehr als verständlich, dass dies viele Menschen vor den Kopf schlug. Und sie sich Fragen stellten.
Bei genauerem Hinsehen entpuppt es sich aber als unglückliche Darstellung – und nicht als versehentliche Entlarvung einer Verschwörung. Denn sieht man sich das Gesetz genauer an, und blättert man durch die Seiten, findet man schon ganz zu dessen Beginn den Hinweis: „Haushaltsgesetz 2019/2020 (HG 2019/2020) vom 24. Mai 2019 (GVBl. S. 266, BayRS 630-2-22-F), das zuletzt durch § 1 des Gesetzes vom 27. April 2020 (GVBl. S. 238) geändert worden ist.“
Sucht man dann noch weiter, findet man das „Gesetz zur Änderung des Haushaltsgesetzes 2019/2020 (Nachtragshaushaltsgesetz 2019/2020 – NHG 2019/2020) vom 19. März 2020.
Genau in diesem wurden auch die oben erwähnte Kreditermächtigung zu Corona beschlossen.
So zulässig, ja notwendig Kritik an der Corona-Politik ist – so entscheidend ist es, dabei Genauigkeit an den Tag zu legen. Und im vorliegenden Fall ist der Regierung nichts vorzuwerfen – außer einer unglücklichen Webseiten-Gestaltung. Wobei man angesichts von horrenden Steuern in Deutschland erwarten könnte, dass auch hier sorgsamer vorgegangen wird.
Was wirklich bemerkenswert ist an der Geschichte: Sie zeigt, wie massiv das Vertrauen in unsere Regierung gefallen ist. Dieser Vertrauensverlust ist nachvollziehbar. Und er ist längerfristig für unsere Gesellschaft viel gefährlicher als das Virus.
Auch das lässt sich widerlegen. Die Seite mit dem Nachtragshaushalt auch in einem unabhängigen Webarchiv am 29.3. dokumentiert worden: http://web.archive.org/web/20200328185007/https://www.verkuendung-bayern.de/gvbl/2020-153/
Dass es bereits unabhängiger Webarchive bedarf, um Regierungshandeln bei vielen Menschen glaubhaft zu machen, ist ein Alarmsignal.
Sehr geehrter Herr Reitschuster,
vielen Dank für Ihre Anfrage – Sie haben die Dinge richtig zugeordnet: Art. 2a Haushaltsgesetz („Sonderfonds Corona-Pandemie“) ist durch dasNachtragshaushaltsgesetz 2019/2020 vom 19. März 2020 nachträglich in das seit 24.5.2019 existierende Haushaltsgesetz 2019/2020 eingefügt worden. Es gab also ein Gesetz, lange vor Corona, das im März 2020 ergänzt wurde.
Der von Ihnen angefragte Screenshot stammt von der Datenbank Bayern.Recht. Hier veröffentlicht die Staatskanzlei fortlaufend alle bayerischen Gesetze und Verordnungen auf aktuellem Stand.
Der Begriff „Fassung“ in der Kopfzeile benennt dabei das Datum des Haushaltsgesetzes 2019/2020, welches – wie bereits erwähnt – vom 24.5.2019 datiert. Das Datum der Fassung bleibt unverändert, sofern kein komplett neues Gesetz erlassen wird – man könnte es untechnisch auch Ursprungsfassung nennen. In diesem Gesetz werden fortlaufend Änderungen vorgenommen, teils mit rückwirkendem, teils mit zukünftigem Inkrafttreten einzelner Normen. Der Begriff „Stand“ in der Kopfzeile sagt aus, dass einzelne Normen des Haushaltsgesetzes 2019/2020 zum 1.1.2020 in Kraft getreten sind. Der Stand des Gesetzes wird fortlaufend angepasst, z.B. dann, wenn einzelne Normen zum 1.1.2021 in Kraft getreten sind. Ab dann lautet die Kopfzeile Fassung: 24.5.2019 Stand: 1.1.2021.
Mit freundlichen Grüßen,
Dr. XX XX
Pressesprecherin
Bayerische Staatskanzlei
Bild: Alexander Supertramp/Shutterstock
Text: red