Lock down oder Knock down? Warum die Schweden doch Recht haben könnten

Ein Gastbeitrag von Gregor Amelung*

Angesichts dessen, dass wir uns im 2. Tag des 2. Lockdowns befinden, erscheint eine Rückschau auf den ersten und seine Genese angebracht. Dabei beginnt die Geschichte nicht etwa im chinesischen Wuhan, sondern in London. Dort veröffentlichte das Imperial College am 16. März 2020 eine Simulation, die Großbritannien im Fall von „do nothing“ hunderttausende von Corona-Toten und viele weitere durch den Zusammenbruch der Gesundheitsversorgung vorhersagte.

Insgesamt kamen die Modellierer auf 510.000 Tote im Königreich und 2,2 Millionen in den USA. Als Medizin gegen diese Horrorzukunft empfahlen die Experten um den Epidemiologen Prof. Neil Ferguson social distancing und einen Lockdown. Das würde den Druck vom Gesundheitssystem nehmen, so das Papier, das Christian Drosten in seinem Podcast zwei Tage später eine „sehr wichtige Studie“ nannte.

24 Stunden nach ihrem Erscheinen schien sich die Londoner Dystopie zu bewahrheiten. Im italienischen Bergamo fuhren Militärlaster Corona-Tote zum Einäschern.

Es war Nacht und entsprechend bedrohlich war die Szenerie. Zusätzlich wies der Sprecher die deutschen Zuschauer darauf hin, dass die Krematorien bereits überlastet seien.

Dass das vielleicht nicht nur am Virus lag, sondern auch daran, dass Italiener meist katholisch sind und dass Katholiken ihre Toten traditionell nicht einäschern und die Kapazität der Krematorien in Italien eben deswegen begrenzt ist, fand keine Erwähnung in den deutschen Leitmedien. Genauso wenig wie ein zeitgleich erschienener Artikel des weltweit anerkannten Stanford-Professors John Ioannidis, der davor warnte, Entscheidungen ohne gesicherte Daten zu fällen. Das könne, so der Epidemiologe, in einem „Once-in-a-centruy evidence fiasco“ münden. Auch in Deutschland mahnten einzelne Experten zur Besonnenheit. Zum Beispiel Dr. Wolfgang Wodarg oder Prof. Suharit Bhakdi. Beide wurden öffentlich kalt gestellt. Zum Schutz der Bevölkerung vor einem ganz anderen Virus, dem der Verschwörungstheoretiker.

Parallel machten sich Fachleute für das Bundesinnenministerium daran, mit den Daten, die man hatte, zu rechnen. Am 22. März kamen sie für Deutschland auf ähnliche Horrorzahlen wie Neil Ferguson zuvor für Großbritannien. Bis zu 1,2 Millionen Menschen würden sterben, wenn man nichts unternimmt. Davon geschockt ging man in Deutschland in den Lockdown, genauso wie der Rest von Europa. Nur in Schweden verweigerte man sich der allgemeinen Einsicht.

Im Land der Elche navigierte der Staatsepidemiologe Anders Tegnell wie ein Geisterfahrer durch die Pandemie und wurde dafür heftig kritisiert. Tegnells Vorgänger, Prof. Johan Giesecke, verteidigte den schwedischen Kurs und griff seinerseits die Vorhersagen von Neil Ferguson in einem Interview am 17. April an. Fergusons Annahmen seien „viel zu pessimistisch“ und ein Lockdown der falsche Weg.

Schützenhilfe bekam der Skandinavier ausgerechnet von Fergusons Kollegin Prof. Sunetra Gupta aus Oxford. Die Frage, ob man in Großbritannien besser gefahren sein könnte ohne Lockdown, wenn man einfach gar nichts getan hätte, beantwortete die Epidemiologin im Mai 2020 mit: „Ja, ich denke, das ist möglich.“

Von all dem erfuhren Hörer des NDR-Postcasts von Christian Drosten nichts. Stattdessen informierte sie der Berliner Virologe am 20. April darüber, dass Fergusons Team „eine der weltweit führenden Epidemiologengruppen“ sei. Einige Wochen später musste der Chef dieser Gruppe seinen Posten räumen. Er hatte sein eigenes Social-Distancing-Gebot nicht eingehalten, indem er sich mit seiner Geliebten getroffen hatte.

In Deutschland hatte währenddessen der Oberregierungsrat im BMI, Stephan Kohn, ein Positionspapier erarbeitet, in dem er zu dem Schluss kam, dass es sich bei der alles lahm legenden Coronakrise um einen „globalen Fehlalarm“ handeln muss. Mit seiner „kritischen Privatmeinung“ stieß der „Corona-Rebell“ in Seehofers Ministerium allerdings auf wenig Gegenliebe. Stattdessen gab’s Hausverbot und ein Disziplinarverfahren.

Dann kam der Sommer und mit ihm der August, in dem das RKI den 9.000. Corona-Todesfall in Deutschland meldete. Und obwohl das eigentlich ein Grund zum Feiern gewesen wäre, feierte niemand. Auch nicht im BMI, wo man Ende März drei Szenarien ausgerechnet hatte:

1. „worst case“ = 1.159.441 Tote
2. „Dehnung“ also flatten the curve = über 200.000 Tote Anfang August
3. „Hammer and Dance“ also Lockdown und Wachsamkeit = 11.777 Tote

Alle drei Horrorzahlen hatte man erfolgreich unterschritten und damit Tausende Menschenleben gerettet. Aber nirgends hörte man ein Hurra! Grund hierfür war wahrscheinlich, dass alle den heimlichen Verdacht hatten, dass die guten Zahlen nicht am eigenen Krisenmanagement lagen, sondern daran, dass sich die Fachleute im BMI vor dem 1. Lockdown verrechnet hatten. Nicht, weil sie ihre Taschenrechner nicht bedienen konnten, sondern weil die Parameter, die ihnen die Virologie rüber geschoben hatte, schlichtweg falsch waren. So war man etwa davon ausgegangen, dass das Virus über den Sommer aktiv sein würde und hatte zu seiner Bekämpfung mit „zusätzlich 60.000 Betten in Hotels und Messehallen“ gerechnet. Nun hatte man die sensationelle Zahl von nur 9.000 Covid-19-Toten erreicht – allerdings mit Kurzarbeit in vielen Krankenhäusern. Die Schere zwischen Prognose und Realität war derart groß, dass man sie nicht übersehen konnte, wenn man hinsah. Aber das tat man nicht. Lieber giftete man gegen „Covidioten“ und „Maskenmuffel“, die nicht nur das Leben von Berlinerinnen und Berlinern mit unnötigen Demos gefährden, sondern obendrein auch noch die Stabilität des ganzen schönen Landes, indem sie den Reichstag stürmten. Eine Schande!

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Ende September 2020 kam das Virus, das man in Deutschland bis dahin mit der AHA-Formel erfolgreich in Schach gehalten hatte, zurück. Es störte sich nicht am 50er-Grenzwert der 7-Tage-Inzidenz, steckte den Gesundheitsminister an und trieb die täglichen Fallzahlen rasch auf Höhen jenseits dessen, was man aus dem April gewöhnt war.

Eigentlich wäre nun ein guter Zeitpunkt gewesen, um die Bevölkerung darauf hinzuweisen, dass man im Kampf gegen das Virus inzwischen viermal so viel testet wie im April und man somit die alten April-Werte noch lange nicht erreicht habe. Stattdessen erklärte Prof. Karl Lauterbach am 19. Oktober, dass man bis Weihnachten mit 50.000 Toten rechnen müsse, und die Kanzlerin wandte sich in einer Videobotschaft an uns alle. Dabei fühlte sich der Zuseher oder –hörer, als habe er die Tagesnachrichten verpasst und das Land sei bereits wieder im Lockdown.

„Bitte bleiben Sie zu Hause!“, war Merkels öffentliche Botschaft. Kurz darauf beschloss man das, was man im Sommer noch kategorisch ausgeschlossen hatte: einen 2. Lockdown. Diesmal in der überarbeiteten Light-Version und nicht (wie im März), um das Gesundheitswesen hochzufahren, sondern um das hochgefahrene Gesundheitssystem vor einer Überlastung durch zu viele Covid-19-Patienten zu schützen. Das klang irgendwie paradox und erinnerte an einen General, der seinen teuren neuen Panzer in die schützende Garage fährt, anstatt ihn im Kampf mit dem bösen Feind zu riskieren.

Allerdings sah man sich auch im benachbarten Frankreich zu einer „brutalen Bremsung“ gezwungen, denn das Land lief Gefahr 400.000 Tote zusätzlich zu riskieren, so Emmanuel Macron am 27.10.

Also schoben Franzosen und Deutsche das soziale und wirtschaftliche Leben ihrer Bürger abermals ins Lockdown-Gefrierfach. Das, so Merkel am 29.10. im Bundestag, sei nicht nur „verhältnismäßig“, sondern auch „milder“ als jedes andere Mittel. Mit freundlichen Grüßen an alle Juristen, die nach den gekippten Beherbergungsverboten bereits wieder die Messer wetzten.

Nachdem Merkel den 2. Lockdown so vor dem Parlament begründet hatte, schritt die Opposition in der Person von Alexander Gauland ans Rednerpult und giftete, dass man ja auch nicht das Autofahren in Deutschland verbieten würde nur wegen der Verkehrstoten. Ein Vergleich, der nicht nur falsch ist, sondern obendrein auch noch geschmacklos. Eben ein typischer Gauland. Aber hätte man die Redepassage des 79-jährigen an den Stanford-Professor John Ioannidis in Kalifornien geschickt, dann hätte der wohl nichts Verwerfliches an ihr gefunden.

Ioannidis’ Bewertung von SARS-Cov-2, die inzwischen auch von der WHO publiziert worden ist, attestiert dem Virus eine Infektionssterblichkeit von etwa 0,25 Prozent. Und um dieses Risiko zu veranschaulichen, bemüht auch der Stanford-Professor den Straßenverkehr; für eine Person unter 65 entspricht die Möglichkeit, an COVID-19 zu sterben, in etwa der, auf einem durchschnittlichen Anfahrtsweg zur Arbeit mit dem Auto tödlich zu verunglücken. Eine derartige Verharmlosung „einer Pandemie von nationaler Tragweite“ ist man aus Übersee sonst nur von Donald Trump gewöhnt.

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Der US-Präsident, so die einhellige Meinung in der deutschen Medienlandschaft, gefährdet schon seit Längerem das Leben seiner Landsleute mit seiner Maskenverweigeritis und – wie unlängst gesehen – auch sein eigenes. Und so bleibt für die amerikanische Bevölkerung wohl nur zu hoffen, dass Joe Biden die Wahl gewinnt, denn der ist kein von Geld und Börsennotierungen getriebener Lockdown-Gegner und zeigt seinen Mitmenschen gegenüber Respekt, indem er eine Maske trägt, so der Tenor in den deutschen Medien. Deren Wert im Kampf gegen das Virus bewertet einer von Trumps Beratern allerdings völlig anders als der in Deutschland so hoch geschätzte Biden. „Wer denkt, dass man das Virus mit Masken für die Bevölkerung stoppen kann, ist naiv. Das ist keine Wissenschaft, das ist Müll“, so Dr. Scott Atlas, Chef der Neuroradiologie an der Universität Stanford.

Mit derart kecken Sprüchen würde Atlas beim Berliner Ordnungsamt wohl auf Granit beißen und aus der S-Bahn fliegen. Auf dem Bahnsteig angekommen könnte er dann ja noch zum Besten geben, was er von einem Lockdown hält: „Das ist eine völlig destruktive Politik. Und ich rede dabei nicht von den finanziellen Kosten, ich rede von Kosten an Leben und Lebensjahren… Das Land darf nicht in den Lockdown gehen.“

Danach hätte man den US-Amerikaner wohl kaum zu einem weiteren Gedankenaustausch in die Charité oder das Kanzleramt gebeten, sondern die Polizei gerufen, um den verwirrten Aluhutträger aus der Öffentlichkeit zu entfernen.

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*) Der Autor ist in der Medienbranche tätig und möchte aus Angst vor negativen Folgen kritischer Töne anonym bleiben, darum schreibt er hier unter Pseudonym.
Bild: Claudio Divizia/Shutterstock
Text: gast
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