Was für ein Hütchenspiel: In Medien und Politik wird Thüringen so „geframt“, als ob es eine Kooperation mit der AfD geben würde. Kein Wort, dass ein Ministerpräsident von linksaußen, der früheren SED, abgewählt wurde. Dass eine freie Wahl des Regierungschefs nun mal Demokratie ist. Warum diese Hysterie? Aus Angst: Weil das System Merkel bröckelt.
Mein aktuelles Wochenbriefing:
Guten Tag aus Charlottengrad,
der Journalist denkt, und Merkel lenkt: Eigentlich wollte ich dieses Wochenbriefing meinem Moskau-Besuch widmen und einmal etwas ablenken von der Politik in Deutschland. Aber das muss ich jetzt verschieben.
Als ich am Mittwoch gerade in Berlin-Tegel gelandet bin, und das Handy anmachte, kam als erste Meldung, dass der FDP-Politiker Kemmerich gerade zum Ministerpräsidenten gewählt wurde. Ich dachte zuerst, dass müsse eine Ente sein, konnte es gar nicht glauben. Es dauerte eine Weile, bis ich es verifiziert und verdaut hatte. Da man in Tegel gewöhnlich lange aufs Gepäck wartete, hatte ich Zeit, gleich auf twitter eine Kurzmeldung abzusetzen:
Die Wahl von Kemmerich in Thüringen sprengt Risse in die politische Grabplatte, die Merkel & Co. auf unsere Politik gelegt haben. Ihre „Alternativlosigkeits“-Strategie droht zu scheitern. Der Aufschrei ist so gewaltig, weil Linksgrün jetzt um seine Hegemonie fürchten muss.
Damit hatte ich Recht und Unrecht zugleich. Denn tatsächlich gab es diese Risse. Aber auch der Widerstand war so gewaltig, wie man es sich kaum vorstellen konnte. Die ganze Woche über kam ich aus dem Staunen und Wundern nicht mehr heraus. Auf meiner Seite habe ich das ausführlich beschrieben, und ich will es hier nicht wiederholen. Hier nur kurz meine Video-Analyse vom Sonntag:
Meine Video-Analyse zu Thüringen
Was mich zutiefst beängstigt, ist die völlige Spaltung unserer Gesellschaft. Dass es zwei Wahrheiten gibt. Die eine ist, dass es in der AfD starke Kräfte gibt, die einem Angst machen, die rechtsradikal sind. Ein Mann wie Höcke, der mit der Ästhetik des Nationalsozialismus kokettiert, erschreckt mich. Und ich kann jeden verstehen, dem die AfD aufgrund ihres radikalen Flügels Angst macht – auch wenn ich für diese Kritik immer wieder von AfD-Sympathisanten massiv attackiert werde.
Die zweite Wahrheit ist, dass in der AfD und unter ihren Sympathisanten sehr viele Bürgerliche sind, die für die CDU und CSU vor Merkel stehen, die verzweifelt sind angesichts dessen, was in unserem Land passiert. Die es sich nicht bieten lassen wollen, dass kritische Fragen zu Migration, Sicherheit, Ausländerkriminalität, dem Einfluss des Islams, dem faktischen Geld-Drucken der Europäischen Zentralbank und vielen anderen Themen heute tabuisiert sind, dass auch bürgerliche Parteien wie die Union und die FDP diese Themen ausklammern, und sie der AfD überlassen.
So gefährlich es wäre, die radikalen Tendenzen in der AfD zu verharmlosen oder gar zu verschweigen, so fatal ist es, sie ständig pauschal zu verteufeln und mit den Nazis gleichzusetzen. Eben diese Dämonisierung ist aber leider der Zement, ohne den das System Merkel in sich zusammenbrechen würde (was umgekehrt auch für die AfD gelten würde ohne Merkel). Zu diesem Teufelskreislauf habe ich einen Artikel geschrieben, den ich wärmstens empfehle:
Sehr interessant in diesem Zusammenhang ist ein Artikel in der Frankfurter Allgemeinen von heute – hier ein kurzer Auszug:
Falsche Faschisten – Vernebelte Vergleiche
Wer die AfD eine Partei von Faschisten nennt, der verharmlost den Schrecken, der mit diesem Begriff im 20. Jahrhundert einherging und seitdem beschrieben wird. Wer von „Nazis“ (und nicht wenigstens von „Neonazis“) spricht, vernebelt geschichtsvergessen die reale Monstrosität des nationalsozialistischen Regimes. Deutsche Zeithistoriker wie Michael Wildt oder Heinrich August Winkler warnen in diesem Sinne mit Blick auf die Thüringer Unruhen verstärkt vor inflationären historischen Parallelisierungen und dem missbräuchlichen Gebrauch von Kampfbegriffen wie „faschistisch“. Die Wahl eines Ministerpräsidenten in Thüringen mit Hilfe der AfD sei nicht mit der Situation im Deutschen Reich auf dem Weg zur Machtübernahme vergleichbar, so Winkler in einem Interview mit der „Welt am Sonntag“. Die AfD sei „am ehesten mit den Deutschnationalen der Weimarer Zeit zu vergleichen“. Mit falschen Analogien werde die gegenwärtige Situation der deutschen Demokratie in ein falsches Licht gerückt.
Die Frankfurter Allgemeine spricht mir damit aus dem Herzen.
Und es erschüttert mich, wie weit der Hass inzwischen auch in die Mitte der Gesellschaft vorgedrungen ist. Die Sprache und Denke des Kommunismus hält jetzt auch in der CDU Einzug. Der Merkel-nahe Elmar Brok, lange Jahre Ausschutzvorsitzender im EU-Parlament und einflussreicher Christdemokrat, nannte seine Parteifreunde aus der WerteUnion ein „KREBSGESCHWÜR“, das man rausschneiden müsse. Was geht vor in solchen Menschen, die gleichzeitig ständig zum Kampf gegen Haß und Hetze aufrufen?
Ich bin ratlos in diesen Tagen. Im Gegensatz zu den ganzen Ideologen bilde ich mir nicht ein, im Besitz der Wahrheit zu sein, oder die richtigen Antworten zu haben. Ich habe nur Fragen über Fragen. Und es verunsichert mich zu tiefst, wie viel von dem, was ich Putins Demokratur erlebt habe, heute in Deutschland wieder erkenne. Nein, Berlin und Moskau zu vergleichen wäre absurd, ja sträflich, die Unterschiede sind gewaltig. Aber sträflich fände ich es auch, gewisse Tendenzen, gewisse ähnliche Phänomene auf die leichte Schulter zu nehmen.
Hier wie da wird eine Gesellschaft massiv gespalten, wir ein riesiges Feindbild aufgebaut (in Moskau der Westen, bei uns die die Rechten), um von Problemen abzulenken und eine Wagenburg-Mentalität zu schaffen.
Ich habe Angst in diesen Tagen. Und auch Hoffnung. Allein wegen der vielen, vielen wunderbaren Menschen, die mir in diesen Tagen schreiben, die mich unterstützen. Die Reaktionen sind überwältigend (ich bitte um Verzeihung, dass ich mit dem Antworten nicht nachkomme), und sie zeigen mir: ganz, ganz viele Menschen in diesem Land haben ihr Herz am richtigen Fleck, neigen weder zum rechten noch zum linken Rand – sondern zum nüchternen Blick auf das, was passiert.
Das macht mich optimistisch. Trotz allem. Zumindest ein bisschen.
Zum Schluss noch eine Neugkeit zur Klage des ARD-Chef-Faktenfinders Gensing gegen mich (Details siehe hier): Das Gericht hat jetzt eine Verhandlung angesetzt, am 14. Mai um 10.30 Uhr in Köln (Amtsgericht, Luxemburger Straße 101, 50939 Kön, Sitzungssaal 101, 1. Etage).
Und so wie es bei Didi Hallervorden früher am Ende immer noch einen gespielten Witz gab, hier noch der Witz der Woche, der leider kein Witz war:
Ganz herzlichen Dank und beste Grüße
Ihr
Boris Reitschuster