Die neue Rechte: Stalin und Mao Jung und naiv mit merkwürdigem politischen Kompass

Anmerkung zu diesem Beitrag: Zwischenzeitlich hat mich Tilo Jung kontaktiert und mir gesagt, dass er den Tweet, der diesem Artikel zugrunde liegt, als Fehler erkannt und umgehend gelöscht habe. Aus Gründen der Fairness stelle ich das hier voraus, denn Fehler machen wir alle, wichtig ist nur, sie zu erkennen und einzugestehen. Aus Gründen der Dokumentation ändere ich aber auch nichts an dem Beitrag.

Was haben Stalin, Mao und die DDR gemeinsam? Alle drei waren kommunistisch und links – das wäre die Antwort, die ich geben würde – und wohl auch die meisten von Ihnen. Aber – Pustekuchen! Vom Journalisten Tilo Jung musste ich mich nun belehren lassen, dass es genau umgekehrt ist. Stalin, Mao und die DDR waren allesamt Rechte, verkündete „Tilo“ nun auf Twitter. Tilo wer? – werden Sie nun vielleicht fragen. Aber wenn Sie die Hoffnung hegen, es handle sich um irgendein Mauerblümchen im Journalistenbetrieb, ist diese Hoffnung leider falsch.

Mit seinem Youtube-Format „Jung und Naiv“ – der Name ist offenbar Programm – erreicht der stets modisch frisierte Jung 372.000 Abonnenten und gilt als Shooting-Star der neudeutschen Journalisten-Szene. „Für die jungen Generationen gehört Jung – ebenso wie Böhmermann – zu den wichtigsten politmedialen Orientierungslichtern der Republik“, schreibt der Politikberater Robert Willacker. Politiker stehen regelrecht Schlange, um interviewt zu werden von dem Mann, der wie eine Mischung aus dem Baywatch-Star David Hasselhoff und Robert Habeck wirkt. Erst kürzlich durfte Bundesinnenminister Horst Seehofer bei ihm vor die Kamera. Jung, 1985 geboren und stramm auf Linie des Zeitgeistes marschierend, wurde mehrfach ausgezeichnet: „Top 30 unter 30“-Preis des Medium Magazins für Nachwuchstalente im Journalismus, Axel-Springer-Preis, Grimme Online Award, Nominierung für den Deutschen Fernsehpreis sowie den „Goldenen Blogger des Jahres“. Spätestens seit dem Relotuis-Skandal ist solch eine Häufung von Journalisten-Preisen verdächtig.

Stalin, Mao und die DDR – alle rechts. Die beiden ersteren – „autoritäre Herrscher, Diktatoren… rechter geht’s gar nicht“, und die DDR „ein autoritäres Regime – ergo rechts.“ Man muss diese Aussagen wiederholen, damit sie sich setzen und entfalten können in ihrer ganzen Ungeheuerlichkeit, ja Dreistheit. Sie sind symptomatisch dafür, wie sich heute erstens (auch) Journalisten fakten- und bildungsfrei ein Weltbild nach eigenem Gusto zusammenkleistern. Und wie massiv der politische Kompass verstellt ist. Auch Vize-SPD-Chef Stegner meinte ja nach den gewalttägigen Protesten gegen den G-20-Gipfel in Hamburg, die Gewalttäter seien keine Linken gewesen, weil jemand, der Gewalt anwende, damit kein Linker mehr sei. Was für eine geistige Schlichtheit! Nach dieser Denkweise ist alles Gute auf der Welt links, alles Böse rechts. Was für ein Triumph der Infantilität.

Es wäre interessant, Jung mit der Aussage des großen Historikers Arnulf Bahring von 2013 zu konfrontieren: „Ich frage Sie, waren die Nazis rechts? Die Nazis waren nicht rechts, sie waren eine Linkspartei! Nationalsozialistisch.“ (anzusehen hier). Unter dem Titel „War Adolf Hitler ein Linker“ schrieb der Historiker Joachim Fest 2003 noch ausgerechnet in der „tageszeitung“, der Nationalsozialismus habe „Zeit seines Bestehens mehr mit dem Totalitarismus Stalins gemein (gehabt) als mit dem Faschismus Mussolinis“. Fest: „Manche guten Gründe sprechen dafür, dass der Nationalsozialismus politisch eher auf die linke als auf die rechte Seite gehört.“ So habe Hitler „nicht anders als die Sozialisten aller Schattierungen die soziale Gleichschaltung vorangetrieben“. Und ebenso wie die Kommunisten hätten die Nazis vom „neuen Menschen geträumt“.

Dass in Deutschland strikt unterschieden werde zwischen Nationalsozialismus und Sozialismus, sei abwegig, mahnt etwa der frühere litauische Staatschef Vytautas Landsbergis: „Das ist der größte Betrug, dass man jetzt immer so tut, als gäbe es einen Unterschied zwischen den Totalitarismen, zwischen nationalem und internationalem Sozialismus. Aber den gibt es nicht. Nur die Lackierung ist anders.“‚ Zumindest unterbewusst scheint der Journalist Jung das zu ahnen, denn er setzt ja Stalin und Hitler eigentlich gleich – wenn auch unter merkwürdigen Prämissen und mit bemerkenswerter Schlichtheit.

Für Landsbergis These spricht ein Wahlaufruf der SED von 1946 aus Thüringen, der sich gezielt an ehemalige NSDAP-Mitglieder richtete. Dort heißt es:

Die SED ruft Dich zur Mithilfe am Neuaufbau Deutschlands! Sie ruft Dich dann, wenn Du nicht aus materiell-egoistischen Gründen, sondern aus Überzeugung und Idealismus einstmals zur NSDAP gegangen bist, wenn Du dorthin gingst im Glauben, das Gute, den Sozialismus zu finden. Dann komme zu uns! Denn was Hitler Dir versprochen hat und niemals hielt, das wird Dir die SED geben:Verstaatlichung der Banken, Brechung der Zinsknechtschaft, Zertrümmerung der Konzerne und Truste, Abschaffung des Bildungsprivilegs, Gleichberechtigung aller Schaffenden, Bodenreform, Schutz der friedlichen Entwicklung und des Friedens überhaupt, die SED hat es verwirklicht!“

Interessant in diesem Zusammenhang ist auch ein sorgsam vergessenes Zitat Hitlers in einer am 24. Februar 1945 abgehaltenen Tagung der Reichs- und Gauleiter: „Wir haben die linken Klassenkämpfer liquidiert, aber leider haben wir dabei vergessen, auch den Schlag gegen rechts zu führen. Das ist unsere große Unterlassungssünde.“ Eine Klage Hitlers darüber, dass er den Kampf gegen rechts nicht erfolgreich genug geführt hat – das dürfte heute – auch wenn er sich im gleichen Satz als Zerstörer der Linken bezeichnet – bei vielen kognitive Dissonanz auslösen (und wohl auch heftige Angriffe auf denjenigen, der an dieses Zitat erinnert).

Auch wenn Historiker darauf verweisen, dass in den frühen Jahren der Bundesrepublik Hitler für viele noch keinesfalls als rechts galt, und die heute übliche feste politische Verortung erst viel später erfolgte (auch als Spätfolge entsprechender Propaganda-Bemühungen Stalins) – es sei dahingestellt, wo (und ob überhaupt) sich der größte Verbrecher in der deutschen Geschichte eindeutig politisch in den heute üblichen Schemata verorten lässt. Dramatisch ist, wie heute die politischen Koordinaten in Deutschland verschoben, ja auf den Kopf gestellt werden – damit sie sich in der Tagespolitik instrumentalisieren lassen.

Eine Schülerin der achten Klasse eines Berliner Gymnasiums eröffnete vor einiger Zeit im privaten Gespräch, es sei doch Hitler gewesen, der die Berliner Mauer baute. Als ich ihr entgegnete, dass dies Sozialisten waren, war sie verwundert. Sie meinte, das seien doch die Guten. Für alle Übel in der Geschichte waren, so ist es bei ihr in der Schule hängengeblieben, die Nazis verantwortlich, und gleichzeitig lernte sie, dass die AfD eine Nazi-Partei ist. Was Demokratie, was eine Regierung ist und ein Minister, konnte sie nicht beantworten – aber sie hatte dafür eine stramme Haltung anerzogen bekommen und musste sich in der achten Klassen schon in der Schullektüre mit Oral- und Analsex befassen (Kommentar: „Das ist so eklig, ich will das nicht lesen!“) Dabei stammt sie aus einem politisch sehr interessierten, nicht-linken Elternhaus, und ihr sehr Sozialismus-resistenter Vater fuhr extra mit ihr in die Stasi-Gedenkstätte Hohenschönhausen – wo dann aber dank Framing im Gymnasium offenbar hängenblieb, an all den dort gesehenen Schrecken seien die Nazis schuld.

Nicht nur an Schulen etwa in Berlin läuft das Weißwaschen der SED-Diktatur und der Partei, die für sie verantwortlich war, auf Hochtouren. Jüngstes Beispiel: Heribert Prantl, Aushängeschild der Süddeutschen Zeitung. Die Gleichsetzung der Linkspartei mit der AfD sei eine Verharmlosung der AfD, schreibt er da. Auf so etwas muss man erst einmal kommen: Die Diktaturpartei, die für unzählige Morde verantwortlich ist und die sich nie überzeugend von ihrer Vergangenheit distanzierte, von der sieben Gruppen vom Verfassungsschutz beobachtet werden, die immer noch Sozialismus als ihr politisches Ziel im Programm hat, bei der Bodo Ramelow erst vor kurzem wieder die Opfer der SED-Diktatur verhöhnte (siehe hier) und die sich freundlich zu Stalin äußerte – diese mit der AfD (die übrigens im Verfassungsschutzbericht überhaupt nicht erwähnt ist) gleichzusetzen, verharmlost letztere? Da sind nicht nur alle Maßstäbe verrückt, da wird auch versucht, dem Leser den Kompass zu verstellen.

Was besonders abstrus ist: Prantl und alle seine Gesinnungsgenossen sind geradezu angewiesen auf die AfD – denn all ihre Versuche, die Ex-„Linke“ in Dauerschleife weißwaschen, würden sofort in sich zusammenbrechen, wenn sie nicht die AfD als (Nazi-)Teufel an die Wand malen könnten.

Die FDJ, der kommunistische Jugendverband der DDR, der in der Bundesrepublik verboten war und dem Angela Merkel laut Zeitzeugen als Sekretärin für Agitation und Propaganda diente, treibt indes wieder sein Unwesen – und tritt an die Öffentlichkeit mit Parolen, die einen erstarren lassen: 30 Jahre Demokratie seien genug, es sei wieder Zeit für eine Revolution und Sozialismus. Erstaunlicherweise ist von solcher Diktatur-Nostalgie (die Beispiel-Liste ließe sich lange fortsetzen) in den meisten großen Medien kaum die Rede. Die Blindheit auf dem linken Auge ist erstaunlich.

Zusammenfassend muss man den bitteren Schluss ziehen, dass die Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit in Deutschland gescheitert ist. Man muss gar nicht so weit gehen wie Landsbergis, und den Sozialismus und den Nationalsozialismus gleichsetzen, um die Relativierung des Unrechts von links beängstigend zu finden. Besonders tragisch: Nicht nur die DDR-Aufarbeitung ist gescheitert – durch die ständige Instrumentalisierung des Nationalsozialismus für die innenpolitische Debatte wird auch dieser verharmlost, ja bagatellisiert. Wenn sich heute etwa viele junge Leute überzeugen lassen, ein Nazi sei jemand wie Gauland, dann müssen sie zu dem Schluss kommen, dass die Nazis so schlimm dann auch wieder nicht waren.

Seit 20 Jahren halte ich meinen vielen Freunden und Bekannten in Russland vor, dass ohne eine ehrliche Aufarbeitung der Verbrechen des Kommunismus eine gesellschaftliche Aussöhnung und eine wirkliche Abkehr von den Übeln der totalitären Vergangenheit nicht möglich ist. Ich habe dabei Deutschland als Beispiel dafür angeführt, wie Vergangenheitsbewältigung funktionieren kann. Inzwischen bin ich überzeugt: Sie ist auch in Deutschland weitgehend gescheitert. Nur ganz anders als in Russland.

Wenn die bürgerliche Mitte nicht ihre Stimme erhebt und aktiv wird, wenn sie weiter den Rändern die Dominanz über Politik und Diskurs überlässt (auch innerhalb der Parteien), werden wir uns entweder in einer öko-konsum-sozialistischen Gesinnungsdiktatur wiederfinden oder in einem stramm nationalistischen „Volksstaat“ – im schlimmsten Fall beidem nacheinander.


Bild: WIX

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