Neue Studie: Kaum Infektionen an Schulen. Waren Schließungen unnötig?

Erinnern Sie sich noch an den großen Streit zwischen der „Bild“-Zeitung auf der einen und Professor Drosten und großen Teilen der deutschen Medien auf der anderen Seite? Die Empörung über das Boulevard-Blatt war riesig, nachdem es die Frage gestellt hatte: „Schulen und Kitas wegen falscher Corona-Studie dicht?“. Das Blatt zitierte Fachleute, die heftige Kritik an Methodik und Schlussfolgerungen einer Studie von Drostens Institut äußerten. Große Teile der regierungstreuen Medien hyperventilierten, es gab große Schlagzeilen. Viele Journalisten warfen sich schützend vor Drosten wie Schwanenmütter vor bedrohte Jungtiere. Dass Drosten seine Warnung vor Schulöffnungen später selbst revidierte und damit faktisch einen Rückzieher machte, wurde dann eher in den hinteren Spalten der Medien vermeldet.

Und jetzt das: Keine einzige Ansteckung – das ist das Ergebnis einer Studie an den Schulen in Sachsen, die sich mit der Corona-Gefahr dort befasste. Im Mai und Juni wurden an Bildungsstätten im Freistaat 2600 Schüler und Lehrer untersucht. Bei keinem einzigen wurde eine Infektion gefunden. „Die akute Ansteckung lag bei null“, sagte Professor Wieland Kiess vom Leipziger Universitätsklinikum am Montag bei der Vorstellung der Ergebnisse in Dresden. Zudem seien nur in 14 von über 2300 Blutproben Antikörper gefunden worden. In vielen Medien werden diese als „Hinweis auf eine überstandene Erkrankung“ bezeichnet. Aber auch hier ist umstritten in der Wissenschaft, ob die Antikörper nicht von vorherigen Infektionen mit auch vor Covid-19 sehr verbreiteten anderen Variationen von Corona-Viren stammen können.

In einer weiteren Studie mit 900 Teilnehmern untersuchte das Team des Leipziger Professors erstmals die psychischen Folgen von Schulschließungen. Nach den Angaben von Kiess wurden dabei bei Kindern und Jugendlichen ein Verlust an Lebensqualität festgestellt, noch stärkere Mediennutzung sowie Zukunftssorgen. Diese Studie kam auch zu dem Ergebnis, dass mehr als drei Viertel der Kinder wieder ganz normal in die Schule gehen wollen. Schulschließungen könnten nur das letzte Mittel sein, mahne Kiess. „Kein Land kann es sich leisten, eine ganze Generation nicht zu bilden“, sagte Kiess.

Ich musste in diesem Zusammenhang an die Zuschrift eines Lesers denken. Der schrieb mir kürzlich: „Sollten Sie mal das Thema ‘verlorene Generation‘ (Titel aus WELT.de) aufgreifen, so informieren Sie doch vielleicht den Leser über die verlorene Generation 1966/67. Es gab damals zwei Kurzschuljahre mit je 8 Monaten um den Beginn des Schuljahres auf den Sommer zu verlegen. Laut WELT leidet die Jugend ja ganz immens und unaufholbar unter den damalfehlenden drei Monaten Schule. Uns wurden 1966/67 gleich 8 Monate gestrichen. Warum ich das hier erwähne? Ich habe es tatsächlich noch nirgends sonst erwähnt gesehen!“

Tatsächlich warnten Experten schon frühzeitig vor schweren Folgen der Schulschließungen. In dem von meinem Leser zitierten Welt-Bericht heißt es, sie seien ein schwerer Eingriff in die Lebenswelt der Schüler, in ihre Grundrechte und beeinträchtigten ihre psycho-soziale Entwicklung. Noch drastischer die Einschätzung von Boris Cyrulnik in seinem Artikel ebenfalls in der „Welt“ . Er befürchtet eine soziale Deprivation, welche noch 20 bis 30 Jahre anhalten wird.

Mein Leser schrieb zu Cyrulniks Thesen: „Das ist natürlich absurd. Auch von einer Generation zu sprechen, die Corona ausbaden muss ist schon hart. Wir (Jahrgang 1953) mussten ausbaden, dass unsere Eltern noch kein Mittel gegen Diphterie, Tuberkulose, Typhus und last not least Polio gefunden hatten.“

Bemerkenswert ist die Medienberichterstattung zu der Studie aus Sachsen. Obwohl sie eine schallende Ohrfeige für Drosten ist und deswegen dessen Versagen eigentlich breit diskutiert werden müsste, habe ich nirgends die Herstellung eines Zusammenhangs gefunden. Meine Suche war nur schnell und oberflächlich, aber eine Tendenz lässt sich sicher herauslesen.

Spannend auch die Berichterstattung in der Tagesschau, auf die mich ebenfalls ein Leser aufmerksam gemacht hat. Die begann gestern mit einem langen Beitrag darüber, welche Corona-Schutzmaßnahmen an den Schulen jetzt notwendig seien. Ein Vertreter des Lehrerverbandes machte sich für mehr Einschränkungen stark. Erst im zweiten Beitrag wurde dann auf die Studie aus Sachsen verwiesen – aber nur Zuschauer, die zwischen den Zeilen lesen, wurde bewußt, dass diese eigentlich den ersten Beitrag ad absurdum führte. Die Redaktion griff diesen Widerspruch nicht auf.

Schlimmer noch: Die eiligen Zuschauer, die nicht aufmerksam hinsehen, wurden in die Irre geführt. Der Tenor der Studie ist ganz klar: Keine Infektionsgefahr an Schulen. Und jetzt raten Sie mal, welche Überschrift die Millionen Zuschauer der wichtigsten Nachrichtensendung des Landes eingeblendet bekamen:

Ob das wirklich noch Unfähigkeit bzw. Dummheit ist oder schon Manipulation, wage ich zu bezweifeln. Fakt ist, dass visuelle Botschaften bei sehr vielen Menschen viel stärker hängen bleiben als sprachliche, insbesondere längere und komplizierte. Bemerkenswert ist auch, wie wenig der Widerspruch zwischen einer generellen Maskenpflicht für Schüler etwa in Nordrhein-Westfalen und einer modifizierten in vielen anderen Bundesländern mit den Ergebnissen der neuen Studie groß thematisiert wird. Nach meinem Verständnis von Journalismus müssten die Schlagzeilen heute zumindest in den betroffenen Bundesländern diesem Thema gewidmet sein. Und es müsste eine breite Diskussion mit Für und Wider geben.


Bild: Screenshot WDR/bearbeitet/Ekaterina QuehlText: red

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