Ganz offen gestanden war es manchmal etwas nervig, dass die Polizeiberichte auch noch die kleinsten Vorfälle aufzählten, als ich in den 1990er Jahren regelmäßig für die Augsburger Allgemeine und die Nachrichtenagenturen dpa und Agence France-Presse (AFP) Polizeiberichterstattung machte. Dafür entstand so mit manchem Polizisten eine fast schon freundschaftliche Atmosphäre.
Erstaunlich, wie sich da die Zeiten gewandelt haben. Inzwischen hat man den Eindruck, dass die Polizei eher Ereignisse verschweigt, als allzu sehr ins Detail zu gehen. Das jüngste Beispiel ist alles andere als dramatisch, aber dafür umso symbolträchtiger. Ein Leser (m/w/d) schrieb mir am Donnerstag, dass er Augenzeuge einer unfreundlichen Attacke auf die Polizei geworden ist. Wörtlich: Gestern um 20:15 Uhr heckten rund 30 Migranten in der Nähe des Fellbacher Polizeireviers ganz offensichtlich etwas aus. Plötzlich gingen sie unvermittelt auf einen Streifenwagen los und warfen rohe Eier auf diesen.
Kein weltbewegendes Ereignis, aber doch ein Zwischenfall, der gewisse Rückschlüsse auf die Atmosphäre und Probleme im Land erlaubt, und deswegen zumindest für die lokale Presse von Interesse sein sollte. Der Leser wunderte sich aber, dass nicht berichtet wurde. Also machte ich mich auf die Suche nach den Polizeimeldungen des zuständigen Polizeipräsidiums Aalen. Fehlanzeige. Da ich mir nicht vorstellen konnte, dass mein Leser alles erfunden hat, schrieb ich das Präsidium an. Und siehe da – der Vorfall hatte sich ereignet. Das Präsidium schrieb mir:
„Die Polizei berichtete bislang nicht über den Vorfall in der Presse. Es ist richtig, dass am letzten Mittwochabend gegen 20.15 Uhr ein Streifenwagen der Polizei, der vor dem Revier in Fellbach auf der Straße geparkt war, mit einigen Eiern beworfen wurde. Der Vorfall wurde unmittelbar nach der Ausführung festgestellt. Der Wagen wurde zwischenzeitlich gereinigt. Augenscheinlich ist an diesem kein Schaden entstanden.
Nicht verifiziert ist Ihre These, dass an der Tat ca. 30 Migranten beteiligt gewesen sind. Dieser Umstand ist gar zu bezweifeln, da der Streifenwagen nur mit wenigen Eiern beworfen wurde. Trotzdem könnte es sein, dass einzelne dieser dort anwesenden Jugendlichen die Eierwürfe verübten. Ermittlungen dazu dauern an.“
Ob der Augenzeuge das Ereignis dramatisiert, oder die Polizei es verharmlost, weiß ich nicht. Ohne dem Vorfall besondere Wichtigkeit und Dramatik zuzusprechen – wenn ich mir ansehe, was in der einschlägigen Zeit alles sonst vom Polizeipräsidium Aalen in Pressemitteilungen veröffentlicht wurde, stellt sich doch die Frage, warum der Eier-Vorfall einfach verschwiegen wurde. Hier ein Auszug (die Liste ließe sich lange fortsetzen):
Bei den Eierwürfen stellt sich auch die Frage, warum darauf verzichtet wurde, dass durch eine Veröffentlichung Zeugenaussagen eingehen, die bei der Ermittlung der Täter helfen.
Mich persönlich überrascht das Schweigen nicht mehr. Ich verlor meine „Unschuld“, was Polizeiberichte angeht, an die ich früher glaubte wie Marxisten an Karl Marx „Kapital“ – als ich im März 2019 Zeuge eines Polizei-Großeinsatzes mit acht Beamten und zwei Notärzten in der Wilmersdorfer Straße in Berlin wurde. Und, als ich weder in den Pressemeldungen noch in den Zeitungen etwas davon las, eine Presseanfrage an die Polizei schickte. Dass keine schriftliche Antwort kam, sondern nur mündlich, überraschte mich zunächst nicht. Die Pressesprecherin fragte, ob ich die Messerattacke meinte in der Wilmersdorfer. Ich fragte nach der Adresse, wo diese stattfand. Doch die Attacke war in einer ganz anderen Ecke der Straße. Warum die denn nicht im Pressebericht zu finden war, fragte ich die Beamtin. Die Antwort: Da sei ja nichts schlimmes passiert. Interessant. Über den Einsatz mit den acht Beamten und den zwei Notärzten konnte mir die Sprecherin nichts sagen: „Ist mir nicht bekannt“.
Damit kein falscher Eindruck entsteht: Ich habe immer noch großes Vertrauen in die einzelnen Beamten und große Achtung vor ihnen. Da ich persönlichen Kontakt pflege, weiß ich aber, wie groß teilweise der Druck auf die Polizei ist, sich der „politischen Korrektheit“ anzupassen. Noch hält sie dem zumindest teilweise stand – die Behörden in Frankfurt etwa sprachen nach der Krawallnacht dort erfreulichen Klartext, während ihre Kollegen in Stuttgart eher verschleiern wollten, indem sie von „Partyszene“ sprachen (aber dennoch auch den Migrationshintergrund ansprachen).
Wir stehen hier vor einer fatalen Entwicklung: Es sind teilweise die gleichen Kräfte, die mit pauschaler Verunglimpfung, Rassismus- und Extremismus-Vorwürfen die Polizei diskreditieren, die andererseits in politischer Verantwortung sitzen und sie unter Druck setzen, keinen Klartext zu sprechen. Wie Frankfurt und Stuttgart zeigen, leben wir aber in Zeiten, in denen eine gut funktionierende und respektierte Polizei für uns alle geradezu von existentiellem Interesse ist.
Bild: Matthew Murdoch/flickr.com/Sebastian Rittau / Wikicommons/CC BY 4.0/ bearbeitet/ ReitschusterText: br